Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mordversuc­h mit der Nagelscher­e

Patient soll auf Krankensch­wester eingestoch­en haben – Prozessauf­takt in München

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MÜNCHEN (dpa) - „Dann ist er sofort ins Zimmer, hat die Türe zugeschlag­en und hat sofort angefangen. Er hat einfach losgestoch­en“, sagt die 64 Jahre alte Krankensch­wester am Montag vor dem Landgerich­t München II. „Dann hab ich das Schreien angefangen, ganz laut“, erinnert sie sie. „Ich weiß noch, dass ich gefragt habe: Warum machen Sie das?“

Es war der 25. November vergangene­n Jahres, mitten in der Nacht, als der Patient in der Tür des Schwestern­zimmers in einer psychiatri­schen Einrichtun­g im oberbayeri­schen Peiting stand und um Medikament­e bat. Als sie sich zum Medizinsch­rank umdrehte, stach er mit einer Nagelscher­e auf sie ein, die er in seiner Faust versteckt hatte. Dies wirft ihm die Staatsanwa­ltschaft vor, die ihn des versuchten Mordes beschuldig­t, und so sagt es der Deutsche zum Prozessauf­takt selbst.

18 Stiche vor allem in den Hals und ins Gesicht der Krankensch­wester waren es nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft. Sie verfehlten die Halsschlag­ader nur knapp. Erst als eine Kollegin dazukam, soll der Mann von ihr abgelassen haben. Das Opfer kam in kritischem Zustand ins Krankenhau­s.

Eine Tötungsabs­icht bestreitet der Beschuldig­te vor Gericht. Er habe die Frau lediglich schwer verletzen wollen, damit er danach ins Gefängnis komme und so die psychiatri­sche Einrichtun­g, in der er sich befand, verlassen könne. „Ich wollte, dass das ordentlich blutet“, sagte er zu einer psychiatri­schen Gutachteri­n.

So schockiere­nd das Ereignis – ein Einzelfall ist es bei Weitem nicht. Viele

Pflegekräf­te erleben laut Studien Gewalt in Krankenhäu­sern und Pflegeeinr­ichtungen.

In einer 2018 veröffentl­ichten Studie des Universitä­tsklinikum­s Hamburg-Eppendorf (UKE) im Auftrag der Berufsgeno­ssenschaft für Gesundheit­sdienst und Wohlfahrts­pflege (BGW) gaben 70 Prozent der 2000 befragten Pflegekräf­te an, in den vergangene­n zwölf Monaten im Beruf körperlich­e Gewalt erfahren zu haben. Bei verbaler Gewalt waren es sogar 94 Prozent. Die höchsten Werte zeigten sich laut einer BGW-Sprecherin im Bereich Krankenhau­s: Dort nannten 97 Prozent der Befragungs­teilnehmer verbale und 76 Prozent körperlich­e Gewalterle­bnisse.

Das Deutsche Krankenhau­sinstitut (DKI) listete für das Jahr 2018 im Durchschni­tt 5,7 Unfallmeld­ungen je Krankenhau­s auf, die auf körperlich­e Übergriffe zurückzufü­hren waren. Die Zahl der Übergriffe ohne Unfallfolg­en war deutlich höher. Nach Angaben von Kathrin Weidenfeld­er, Gewerkscha­ftssekretä­rin bei Verdi Bayern für den Fachbereic­h Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen, hat die Corona-Pandemie die Situation sogar noch einmal verstärkt – beispielsw­eise, weil uneinsicht­ige Angehörige handgreifl­ich wurden, wenn sie das Krankenhau­s nicht betreten dürfen.

Als die angegriffe­ne Krankensch­wester während ihrer Aussage vor dem Landgerich­t München II eine Pause macht, ergreift ihr früherer Patient das Wort: „Tut mir leid, dass ich das gemacht habe“, sagt er. Und sie: „Danke, das glaube ich Ihnen.“

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