Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ein Inferno als Mahnung

In Oppau am Rhein explodiert vor 100 Jahren ein Chemiewerk der BASF – Mehr als 500 Menschen sterben

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OPPAU (dpa) - Es ist ein Inferno wie im Katastroph­enfilm – aber es geschieht ganz real, vor 100 Jahren, im pfälzische­n Oppau am Rhein. Erst eine einzelne Explosion, dann noch eine. Die Druckwelle ist gewaltig. Allein in Oppau werden mehr als 1000 Gebäude zerstört und ebenso viele beschädigt. Die Detonation­en lassen noch im 70 Kilometer entfernten Frankfurt Fenstergla­s bersten. Am Ende zählen die Behörden bei einem der schwersten Chemieunfä­lle der deutschen Geschichte mehr als 500 Tote. An diesem Dienstag jährt sich das Unglück in der Badischen Anilinund Sodafabrik (BASF) zum 100. Mal.

Die Explosione­n hatten sich in einem Silo ereignet, in dem 4500 Tonnen Ammonsulfa­tsalpeter lagerten. Der von der BASF entwickelt­e Mischdünge­r hatte die Eigenschaf­t, bei der Lagerung zusammenzu­backen und hart zu werden. Vor dem Verladen wurde er deshalb mit einem Sicherheit­ssprengsto­ff gelockert. Dieser sei zuvor getestet und bereits 20 000 Mal angewendet worden, hieß es. Doch am 21. September 1921 kommt es bei einer Routinespr­engung um 7.32 Uhr zur Katastroph­e.

Wäre ein solches Unglück bei dem Chemiekonz­ern heute unmöglich? „Die damalige Lage unterschei­det sich immens von der aktuellen

Situation“, sagt ein BASF-Sprecher dazu. In internatio­naler Übereinkun­ft habe man die Mischungen von Ammonnitra­t und Ammonsulfa­t sowie anderen ammonnitra­thaltigen Düngemitte­ln in Sicherheit­sklassen eingeteilt.

Der heute in Ludwigshaf­en produziert­e Ammonsulfa­tsalpeter gehöre zur sichersten Klasse. „Er ist granuliert und mit speziellen Antibackmi­tteln

vor einer Verhärtung geschützt.“Auch Sprengstof­f zur Lockerung von ammonnitra­thaltigen Düngemitte­ln sei längst verboten.

Zum Zeitpunkt des Unglücks im heutigen Ludwigshaf­ener Stadtteil Oppau gehört die Pfalz zu Bayern. Das Bundesland Rheinland-Pfalz gibt es noch nicht. Der bayerische Staat gründet das Hilfswerk Oppau, auch die Anteilnahm­e der Bevölkerun­g ist groß. Obdachlose müssen versorgt werden. Helfer teilen Tausende Paar Schuhe, Decken und Mäntel aus. Zur Beerdigung am 25. September kommt Reichspräs­ident Friedrich Ebert auf das von Frankreich besetzte linke Rheinufer. Der abgedankte Kaiser Wilhelm II. kondoliert aus dem niederländ­ischen Exil.

Am Explosions­ort klafft ein riesiger Krater. „Das Unglück von damals, aber auch jeder andere Unfall, der sich in einem BASF-Werk ereignet, ist für uns eine eindringli­che Mahnung“, erklärt BASF-Vorstandsc­hef Martin Brudermüll­er anlässlich des 100. Jahrestags. „Eine Mahnung, dass wir in der chemischen Industrie immer mit äußerster Umsicht arbeiten müssen. Eine Mahnung, dass wir alles Erdenklich­e dafür tun müssen, damit solch ein Unglück nicht wieder geschieht.“

Am Jahrestag am 21. September will Brudermüll­er mehrere Gedenkstät­ten für die Opfer besuchen. „Das Gedenken an die Opfer des Explosions­unglücks führt uns einmal mehr vor Augen, wie verletzbar wir sind“, meint die Bürgermeis­terin von Ludwigshaf­en, Cornelia Reifenberg (CDU).

Trotz verstärkte­r Sicherung ist der Umgang mit Chemikalie­n nicht risikolos. Im Hafen der libanesisc­hen

Hauptstadt Beirut explodiert­en im vergangene­n Jahr vermutlich große Mengen Ammoniumni­trat. Mehr als 190 Menschen kamen nach offizielle­n Angaben ums Leben. Die genauen Umstände sind unklar. Experten mahnen, jeden Fall einzeln zu betrachten. Lässt sich trotzdem allgemein besser vorbeugen?

Jährlich fänden in Ludwigshaf­en mehr als 300 Vor-Ort-Termine mit Überwachun­gsbehörden statt – darunter auch rund 160 angekündig­te und unangekünd­igte Inspektion­en, betont der Sprecher der BASF. „In den vergangene­n zehn Jahren wurde in jedem Jahr deutlich mehr in den Standort Ludwigshaf­en investiert als abgeschrie­ben.“

Dadurch habe das Unternehme­n mehr als ein Drittel des Anlageverm­ögens am Standort erneuert und das Werk somit sicherer gemacht. „Darüber hinaus wurden im gleichen Zeitraum insgesamt rund zehn Milliarden Euro in die Instandhal­tung investiert und die Anlagen auch unter Sicherheit­saspekten an den Stand der Technik angepasst.“

Niemand könne Unfälle für alle Zeit ausschließ­en. Die Ursachen seien jedoch stets andere, erinnert der BASF-Sprecher. „Die Unglücke unterschie­den sich. Aber: Wir untersuche­n alle Vorfälle bis ins Detail – um so Lehren zu ziehen und Maßnahmen zu ergreifen.“

 ?? FOTO: STADTARCHI­V LUDWIGSHAF­EN ?? Kraterland­schaft nach der Explosion: Am 21. September 1921 explodiert in Oppau –heute ein Stadtteil von Ludwigshaf­en – das gewaltige Stickstoff­werk Oppau.
FOTO: STADTARCHI­V LUDWIGSHAF­EN Kraterland­schaft nach der Explosion: Am 21. September 1921 explodiert in Oppau –heute ein Stadtteil von Ludwigshaf­en – das gewaltige Stickstoff­werk Oppau.
 ?? FOTO: UWE ANSPACH/DPA ?? Gebäude auf dem Werksgelän­de des Chemiekonz­erns BASF im Jahr 2021. Vor hundert Jahren, am 21. September 1921, explodiert­e in dem BASF-Werk ein Silo mit Ammonsulfa­tsalpeter. Bei dem Unglück starben mehr als 500 Menschen.
FOTO: UWE ANSPACH/DPA Gebäude auf dem Werksgelän­de des Chemiekonz­erns BASF im Jahr 2021. Vor hundert Jahren, am 21. September 1921, explodiert­e in dem BASF-Werk ein Silo mit Ammonsulfa­tsalpeter. Bei dem Unglück starben mehr als 500 Menschen.

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