Schwäbische Zeitung (Biberach)
200 Jahre Wendelinuskapelle gefeiert
Nach Corona-Pause wirken bei dem Flurritt circa 240 Reiter mit – Auch eine Fußwallfahrt
GUTENZELL/NIEDERNZELL - Nach einjähriger Pause war es in diesem Jahr wieder so weit: Der traditionelle Wendelinusritt wurde am Sonntag in der ehemaligen Klosterkirche St. Kosmas und Damian in Gutenzell mit einem festlichen Hochamt eröffnet. Die Festansprache hielt der Abtprimas emeritus Notker Wolf, der später gemeinsam mit Pfarrer Thomas Amann auch Reliquienträger war.
Die Wurzeln des Wendelinusritts gehen bis in die Barockzeit zurück. Der Pfarrer und spätere Dekan Erwin Sonntag führte ihn 1947 nach der Kriegsunterbrechung wieder ein. In diesem Jahr feierte die Wendelinuskapelle in Niedernzell den 200. Jahrestag ihrer Weihe. Die Festpredigt hielt Franziskanerpater Ignatius Huchler. Er war bei einer Wallfahrt nach St. Wendel in den Besitz einer echten Reliquie des Heiligen gelangt. Sie wird bis heute auf dem Wendelinusritt von einem auserwählten Reliquienträger getragen.
Seit 2008 wird der Wendelinusritt vom Arbeitskreis „Wendelinusritt“organisiert. Maria Dörner hat ehrenamtlich die Leitung des Arbeitskreises übernommen. Sie berichtet im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, dass der Wendelinusritt der drittgrößte Flurritt in Oberschwaben sei. Zu Hochzeiten kamen bis zu 600 Reiter mit ihren Pferden sowie zahlreiche Pilger und Musikkapellen aus ganz Oberschwaben.
Der heilige Wendelin, der Namensgeber, ist der Patron der Bauern, Hirten, des Viehs, aber auch der Umwelt und des Naturschutzes. Ihn bitten die Gläubigen um gute Ernte und gedeihliches Wetter. Beim Ritt und der dazugehörenden Fußwallfahrt werden jedoch nicht nur Wald, Flur und Tier gesegnet, sondern auch für die Nöte und Sorgen der Menschen im Rosenkranz gebetet. Für Maria Dörner nimmt dies einen besonderen Stellenwert ein: „Gerade in der jetzigen Zeit ist es doch besonders wichtig, zusammenzustehen und für einen guten Verlauf der Dinge zu bitten, nicht nur Flur und Feld zu segnen.“
Der Wendelinusritt bedeutet für sie „sehr viel Heimat, Tradition, Aufregung und Freude darüber, dass so viele Leute kommen. Am Ende steht dann eine große Dankbarkeit, dass keinem etwas passiert ist und alles gutgegangen ist.“
In seiner Predigt greift Notker Wolf die Schöpfungsgeschichte aus der Lesung auf. „Gott hat den Menschen die Welt gegeben zum Wohlfühlen und Leben. Was haben wir aus der Welt gemacht? Wir waren regelrecht unmenschlich, ungöttlich und haben sie ausgenutzt. Alle haben das Bedürfnis, möglichst viel aus der Welt für den eigenen Vorteil herauszuholen,“so Wolf. Das Problem sei, dass wir Menschen glauben, alles selber richten zu können, wie Götter. Die Umwelt zu schützen und das Zerstörte wiederherzustellen reiche aber nicht aus. Dabei vergäßen wir Menschen die „tiefe Dimension: Die Welt gehört Gott, wir müssen sie respektieren als seine Schöpfung und ihr mit Ehrfurcht begegnen. Er hat sie uns anvertraut, sie gehört uns nicht. In ihr zeigt sich seine große Liebe.“
Auch der Heilige Wendelin war eng mit Gottes Schöpfung verbunden: Er lebte als Schafhirte und zurückgezogener Einsiedler ganz nah bei Gott. „Je mehr man bei Gott lebt, umso mehr lebt man bei Menschen und Tieren. So kamen schnell die
Menschen mit ihren Nöten zu ihm. Mensch und Tier suchten seine Nähe!“Hier sieht er die größte Dimension erfüllt, die dazu beiträgt, dass alle gut in dieser Welt leben können: Die gelebte, von Liebe und Gott geprägte Beziehung zwischen Natur, Mensch und Tier. „Wenn wir die Welt mit Gottes Augen sehen, dann können wir alle wieder froh werden. Gott, wie schön ist deine Welt“, schloss er.
Dann stellten sich die 23 Reitergruppen in zwei Gruppen auf. Um 12 Uhr wurde die erste Gruppe von Wolf im Vorbeiritt an der Kirche gesegnet. Anschließend schloss sich ihnen Pfarrer Amann mit dem Reliquienkreuz an und segnete die am Wegesrand stehenden Menschen. Hinter ihm kam die zweite Reitergruppe, die dann an der Wendelinuskapelle in Niedernzell gesegnet wurde. Dieses Jahr fand der Ritt coronabedingt ohne die Begleitung von Musikkapellen statt. Auch die Fußwallfahrt fiel dieses Jahr ebenso aus wie der Wallfahrtsgottesdienst in Niedernzell. So ritten die Reitergruppen nach ihrer Segnung ohne Aufenthalt an der Wendelinuskapelle zurück zu ihren Quartieren.