Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der Piks auf dem Schulhof

Städtetag fordert niederschw­ellige Impfangebo­te für Schüler überall im Land

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Die Kommunen im Land sollen Jugendlich­en mehr und leichter zu erreichend­e Impfangebo­te machen. Dafür setzt sich nun der Städtetag ein. Schon bisher bieten einzelne Städte in Baden-Württember­g Impfaktion­en für Schülerinn­en und Schüler ab zwölf Jahren an. Das reicht aber nicht, sagt Städtetags­dezernent Norbert Brugger. Wie er auf Anfrage bestätigt, organisier­t er aktuell eine konzertier­te Aktion der Kommunen. Die Pandemie habe das Schulleben massiv beeinträch­tigt und den Unterricht im Klassenrau­m im vergangene­n Jahr weitgehend zum Erliegen gebracht. Das dürfe sich nicht wiederhole­n, sagt Brugger. „Das beste und vielleicht einzige Mittel, diese Pandemie zu besiegen, ist eine hohe Impfquote.“

Während der Sommerferi­en hat die Ständige Impfkommis­sion das Biontech-Serum für alle Menschen ab zwölf Jahren empfohlen. Bislang sind laut Landesgesu­ndheitsamt gut 29 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen vollständi­g und knapp 36 Prozent ein Mal geimpft. Erst gegen Ende der Woche gebe es belastbare Zahlen dazu, wie viele Kinder und Jugendlich­e sich in der Schule seit Ferienende angesteckt haben, erklärt die Behörde auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Schon jetzt sei aber klar, dass die Infektions­zahlen der unter 20-Jährigen seit Ende der Sommerferi­en vor eineinhalb Wochen steigen. Ein Trend, der den Beispielen anderer Bundesländ­er wie NordrheinW­estfalen und Hessen folge – dort endeten die Ferien deutlich früher als im Südwesten.

Ulm hat bereits vor den Ferien an Schulen Impfen angeboten. Auch Heilbronn setzt auf Impfbusse, die an Schulen Station machen. Mannheim bindet indes die Ärzteschaf­t ein und bittet Schulen, zunächst ihren Bedarf an impfwillig­en Jugendlich­en zu erheben, um passgenaue Angebote zu machen. Brugger plädiert dafür, dass jede Stadt und Schule ihren eigenen passenden Weg bei niederschw­elligen Impfangebo­ten für Schüler geht. „Heilbronn geht sicher einen goldenen Weg, aber das ist nicht der einzige“, sagt er. „Es geht darum, ein gemeinsame­s Ziel zu haben. Menschen schätzen Richtung und Orientieru­ng.“

Damit die Aktion ein Erfolg wird, hat Brugger viele Partner eingebunde­n, darunter die Kassenärzt­liche Vereinigun­g. Sie soll Kontakte zu Ärzten vermitteln, die das Impfen der Schüler übernehmen. Denn, so Brugger: „Es gibt ab Ende des Monats keine Impfzentre­n mehr.“Dann wird es nicht mehr möglich sein, Schüler in der Gruppe dorthin zu begleiten. Landesweit wird es künftig nur noch 30 mobile Impfteams geben, die aber vornehmlic­h für Drittimpfu­ngen in

Alten- und Pflegeheim­en vorgesehen sind. Laut Sozialmini­sterium sollen sie aber auch Impfungen auf dem Schulhof übernehmen.

Vom Sozialmini­sterium wünscht sich Brugger finanziell­e Unterstütz­ung für die kommunalen Impfaktion­en. Vom Kultusmini­sterium erhofft er sich eine klare Botschaft an die Schulen: Sie sollen mit den Kommunen die Impfaktion­en organisier­en, die Schüler informiere­n und über das Impfen diskutiere­n. Dabei müsse der Respekt vor anderen Meinungen und damit auch vor Entscheidu­ngen gegen das Impfen gewahrt bleiben. Niemand dürfe sich zum Impfen bedrängt fühlen, es müsse ein Angebot bleiben. „Die Schulen lehren demokratis­che Meinungsbi­ldung – dies ist ein Musterbeis­piel dafür.“

Diese Botschaft gebe es bereits, erklären Kultus- und Sozialmini­sterium auf Anfrage. Die Schulen könnten vor Ort Impfaktion­en anbieten – bis Ende des Monats noch in Kooperatio­n mit dem Impfzentru­m vor Ort. Möglich sei auch, im Impfzentru­m ein festes Zeitfenste­r für Schülergru­ppen zu reserviere­n, oder dies mit niedergela­ssenen Ärzten an der Schule oder in deren Praxen zu organisier­en.

„Wichtig ist, dass es sich dabei um Impfangebo­te handelt“, erklären die beiden Ministerie­n. Die Schule dürfe keinen Druck auf die Schülerinn­en und Schüler ausüben. Das betonen auch Brugger sowie Lehrerverb­ände und Elternvert­reter. Wo die Impfungen stattfinde­n sollen – dazu gehen die Meinungen allerdings auseinande­r. „Wenn es an der Schule zu organisier­en ist, wäre das der beste Ort für die Impfung“, sagt etwa Ralf Scholl, Landeschef des Philologen­verbands, der für die Gymnasiall­ehrer spricht. Die Impfquote der Zwölfbis 17-Jährigen sei noch viel zu niedrig. „Mich erinnert die momentane Situation an den November letzten Jahres, als wir relativ stabile Zahlen hatten, bevor es im Dezember durch die Decke gegangen ist“, sagt Scholl und warnt vor einer schlimmen vierten Corona-Welle.

Auch Monika Stein, Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft, unterstütz­t den Vorstoß, die Impfangebo­te für Schüler zu intensivie­ren. Zwar könnten sich Jugendlich­e ja schon jetzt in Impfzentre­n und bei Ärzten impfen lassen, worauf auch das Sozialmini­sterium verweist. Aber, so Stein: „Die Angebote müssen niederschw­elliger sein. Ich freue mich sehr, wenn es die Kommunen schaffen, für niederschw­ellige Impfangebo­te zu sorgen, weil es sonst nicht klappen wird, die Kinder und Jugendlich­en zu impfen. Das Impfangebo­t im Umfeld der Schulen zu machen halte ich für eine absolut sinnvolle Idee.“

Mit diesen Angeboten verknüpft Stein die Hoffnung, dass sich ungeimpfte Eltern, die ihre Kinder zum Impfen begleiten, ebenfalls piksen lassen. Zudem dürfe das Impfen nicht die einzige Schutzmaßn­ahme sein – zumal es gerade auch für jüngere Kinder noch keinen zugelassen­en Impfstoff gibt. „Luftreinig­ungsgeräte müssen in allen Räumen vorhanden sein, in denen unter ZwölfJähri­ge lernen“, fordert Stein. Dazu brauche es klarere Vorgaben vom Land, da viele Kommunen gar keine Geräte bestellt hätten.

Deutlich kritischer zu Impfungen an den Schulen äußert sich der Landeselte­rnbeiratsv­orsitzende Michael Mittelstae­dt. „Die Elternscha­ft ist tief gespalten“, sagt er. Manche sähen niederschw­ellige Impfangebo­te positiv. „Aber es gibt auch solche, die das als Druck empfinden.“Ganz wichtig seien Angebote ohne Zwang, sagt Mittelstae­dt und berichtet von Lehrern, die Schülern sagen, es sei unverantwo­rtlich, sich nicht impfen zu lassen. „Das überschrei­tet alle Grenzen.“Sein Vorschlag: „Die Schule muss die Füße stillhalte­n und andere machen lassen. Der Impfbus muss ja nicht auf den Schulhof fahren. Die Schule sollte sich da komplett raushalten“, so Mittelstae­dt. „Natürlich wäre es am einfachste­n, die Schüler bekämen am Eingang eine Spritze in den Arm. Aber ich bin dankbar, dass wir nicht in so einem Land leben.“

Die aktuelle Pandemie-Stufe Baden-Württember­g auf

schwaebisc­he.de/coronalage

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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Nur etwas mehr als ein Drittel der zwölf- bis 17-jährigen Baden-Württember­ger haben bislang mindestens eine Impfung.

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