Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wahlmarathon in Berlin
Warum sich Bürger in der Hauptstadt am Sonntag gleich viermal entscheiden müssen
BERLIN - Am 26. September wird in Berlin nicht nur der Bundestag gewählt, sondern auch das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen. Auch ein Volksentscheid steht an.
Wie ist die Bilanz des rot-rot-grünen Senats?
Auf der einen Seite steht ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum bis zum Corona-Sommer 2020. Fünf der neuerdings 40 DaxKonzerne haben hier ihren Sitz. Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) spricht von einer „Zeitenwende“. Die Zahl der Beschäftigten stieg, die der Arbeitslosen sank, um dann wegen Corona wieder auf über zehn Prozent anzuwachsen. Der Berliner Mietendeckel wurde vom Bundesverfassungsgericht gekippt, manche Mieter müssen nun nachzahlen. Trotzdem findet der Versuch, die Mietsteigerungen in den Griff zu bekommen, Anklang. Ähnlich ist es bei der „Verkehrswende“. Nur wenige befestigte Radwege wurden neu gebaut. Andererseits hat Berlin 2018 als erstes Bundesland ein Gesetz verabschiedet, das dem öffentlichen Nahverkehr, Radfahrern und Fußgängern Vorrang einräumt.
Was sind die Probleme Berlins? Ein Thema überlagert alle anderen: das Wohnen. Betrug der durchschnittliche Quadratmeterpreis laut Statista 2012 noch 6,65 Euro, liegt er nun bei 10,49 Euro. Zwischenzeitlich wurde der Anstieg durch den Mietendeckel gestoppt. Entgegen vielen Gerüchten wird in Berlin auch gebaut. „20 000 Wohnungen sahen die Planungen in diesem Jahr vor“, sagt Tobias Schulze, der Die Linke im Abgeordnetenhaus vertritt. „19 000 werden es. Frau Giffey verspricht 200 000 Wohnungen in zehn Jahren. Das entspricht in etwa dem Stand, den wir jetzt haben“, ergänzt Schulze in Richtung der SPD-BürgermeisterKandidatin. Das Problem sei nicht, so der Linke, dass zu wenig Wohnungen gebaut werden. „Das Problem besteht darin, dass es viel zu wenig sind, die sich Normalverdiener leisten können. Und unter diesen Normalverdienern sind immer mehr Akademiker und andere Menschen mit mittlerem Einkommen.“Eine Initiative will nun per Volksentscheid eine Lösung herbeiführen.
Worum geht es im Volksentscheid? Es geht um Enteignung. Die „Deutsche Wohnen“und andere Immobiliengesellschaften, die mehr als 3000 Wohnungen vermieten, sollen ihr Eigentum der Stadt Berlin übergeben. Es handelt sich um etwa 200 000 Wohnungen (von 1,5 Millionen in Berlin insgesamt). Genossenschaften sollen ausgenommen werden. Über die Höhe der Entschädigungen gibt es unterschiedliche Angaben. Die Gegzirke ner der Enteignung, zu denen SPDSpitzenkandidatin Franziska Giffey gehört, rechnen mit 35 Milliarden Euro oder mehr. Die Enteignungsinitiative geht von neun Milliarden aus und die Linken, die beim Entscheid für ein Ja plädieren, rechnen mit etwa 20 Milliarden Euro. Die Mieten sollen so hoch sein, dass die für die Entschädigungen aufgenommenen Kredite bedient werden können.
Wie stehen die Umfragen?
Die letzten Umfragen sahen die SPD vorn, gefolgt von Grünen, CDU und Linken. In einer Umfrage rückten die Grünen zuletzt auf einen Prozent Abstand an die SPD heran. Der CDU, den Linken und der AfD drohen leichte Verluste und die FDP hat ein bisschen Auftrieb.Worüber wird am Sonntag noch entschieden? Auch die Bezirksverordnetenversammlungen werden am 26. September gewählt. In den zwölf Bezirken wird, wie immer, am Tag der Abgeordnetenhauswahl gewählt. Wie viel Macht die Be
tatsächlich haben, ist umstritten. Das Kompetenzgerangel zwischen Landes- und Bezirksebene hat Tradition. Dabei muss man bedenken, dass die Berliner Stadtbezirke jeder für sich die Ausmaße einer Großstadt haben. Die wenigsten Einwohner hat Spandau (245 000), die meisten Pankow (400 000).
Wer wird Regierender Bürgermeister oder Regierende Bürgermeisterin?
Im Moment spricht sehr viel für Franziska Giffey. Die Sozialdemokratin hat zwar den Malus, bei wissenschaftlichen Arbeiten abgeschrieben zu haben, ist aber recht beliebt. Laut Statista waren 42 Prozent der Berliner mit ihrer politischen Arbeit zufrieden oder sehr zufrieden. Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) kommt als Zweiter nur auf 32 Prozent. Dass es nicht immer auf Beliebtheit oder Bekanntheit ankommen muss, zeigt Bettina Jarasch. Zunächst angesichts des Umfragehochs
Auch nach der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am Sonntag kommender Woche wird die SPD voraussichtlich die Regierung in Schwerin anführen. Offen ist, welche Koalitionspartner sich die Sozialdemokraten für die kommenden fünf Jahre ins Boot holen. Sofern die Umfragen zutreffen, könnten zum ersten Mal sechs Parteien in den Landtag einziehen. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) schloss öffentlich bislang nur die AfD als mögliche Partnerin aus.
Nach der Wahl 2016 war die Fortsetzung der Koalition aus SPD und CDU die einzige Möglichkeit, in Mecklenburg-Vorpommern abseits der AfD eine Regierung zu bilden. Die AfD wurde damals mit 20,8 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft im Landtag.
In den jüngsten Umfragen baute die SPD ihren Vorsprung vor allen anderen Parteien immer weiter aus. Zuletzt lag sie bei 38 bis 40 Prozent. Bislang hatte sie nur 2002 ein besseres Ergebnis eingefahren, als sie mit Harald Ringstorff an der Spitze 40,6 Prozent erreichte. Mit zuletzt zwölf bis 15 Prozent muss die CDU hingegen einen historischen Absturz befürchten. Bereits bei der Landtagswahl 2016 kam sie im politischen Heimatland von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nur auf 19 Prozent.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern macht sich wohl der Bundestrend bemerkbar, der zuletzt gegen die CDU lief. (AFP)
für die Grünen Favoritin, dann zurückgefallen und nun möglicherweise bei der Aufholjagd. Mit ihr würde eine, wie sie selbst sagt, „sehr katholische“Schwäbin Nachfolgerin von Michael Müller werden.
Welche Koalitionen sind auf der Landesebene denkbar?
Die Grünen wollen die Linken wieder im Boot haben, Franziska Giffey scheint sich eher nach anderen Lösungen umzusehen. Sollte bei einem Sieg der Grünen die SPD aus dem bisherigen Bündnis aussteigen, wäre die FDP gefragt. Aber dass Giffey eine Koalition mit der CDU und der FDP hinbekommt, ohne ihre Basis zu vergrätzen, ist auch schwer zu glauben. Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit sagte dem „Tagesspiegel“: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das in der SPD durchsetzen kann.“Und RotGrün mit der CDU als drittem Partner? Liest sich auch eigenartig. Andererseits: Die Zeiten ändern sich.