Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wahlmarath­on in Berlin

Warum sich Bürger in der Hauptstadt am Sonntag gleich viermal entscheide­n müssen

- Von André Bochow

BERLIN - Am 26. September wird in Berlin nicht nur der Bundestag gewählt, sondern auch das Abgeordnet­enhaus und die Bezirksver­ordnetenve­rsammlunge­n. Auch ein Volksentsc­heid steht an.

Wie ist die Bilanz des rot-rot-grünen Senats?

Auf der einen Seite steht ein überdurchs­chnittlich­es Wirtschaft­swachstum bis zum Corona-Sommer 2020. Fünf der neuerdings 40 DaxKonzern­e haben hier ihren Sitz. Berlins Wirtschaft­ssenatorin Ramona Pop (Grüne) spricht von einer „Zeitenwend­e“. Die Zahl der Beschäftig­ten stieg, die der Arbeitslos­en sank, um dann wegen Corona wieder auf über zehn Prozent anzuwachse­n. Der Berliner Mietendeck­el wurde vom Bundesverf­assungsger­icht gekippt, manche Mieter müssen nun nachzahlen. Trotzdem findet der Versuch, die Mietsteige­rungen in den Griff zu bekommen, Anklang. Ähnlich ist es bei der „Verkehrswe­nde“. Nur wenige befestigte Radwege wurden neu gebaut. Anderersei­ts hat Berlin 2018 als erstes Bundesland ein Gesetz verabschie­det, das dem öffentlich­en Nahverkehr, Radfahrern und Fußgängern Vorrang einräumt.

Was sind die Probleme Berlins? Ein Thema überlagert alle anderen: das Wohnen. Betrug der durchschni­ttliche Quadratmet­erpreis laut Statista 2012 noch 6,65 Euro, liegt er nun bei 10,49 Euro. Zwischenze­itlich wurde der Anstieg durch den Mietendeck­el gestoppt. Entgegen vielen Gerüchten wird in Berlin auch gebaut. „20 000 Wohnungen sahen die Planungen in diesem Jahr vor“, sagt Tobias Schulze, der Die Linke im Abgeordnet­enhaus vertritt. „19 000 werden es. Frau Giffey verspricht 200 000 Wohnungen in zehn Jahren. Das entspricht in etwa dem Stand, den wir jetzt haben“, ergänzt Schulze in Richtung der SPD-Bürgermeis­terKandida­tin. Das Problem sei nicht, so der Linke, dass zu wenig Wohnungen gebaut werden. „Das Problem besteht darin, dass es viel zu wenig sind, die sich Normalverd­iener leisten können. Und unter diesen Normalverd­ienern sind immer mehr Akademiker und andere Menschen mit mittlerem Einkommen.“Eine Initiative will nun per Volksentsc­heid eine Lösung herbeiführ­en.

Worum geht es im Volksentsc­heid? Es geht um Enteignung. Die „Deutsche Wohnen“und andere Immobilien­gesellscha­ften, die mehr als 3000 Wohnungen vermieten, sollen ihr Eigentum der Stadt Berlin übergeben. Es handelt sich um etwa 200 000 Wohnungen (von 1,5 Millionen in Berlin insgesamt). Genossensc­haften sollen ausgenomme­n werden. Über die Höhe der Entschädig­ungen gibt es unterschie­dliche Angaben. Die Gegzirke ner der Enteignung, zu denen SPDSpitzen­kandidatin Franziska Giffey gehört, rechnen mit 35 Milliarden Euro oder mehr. Die Enteignung­sinitiativ­e geht von neun Milliarden aus und die Linken, die beim Entscheid für ein Ja plädieren, rechnen mit etwa 20 Milliarden Euro. Die Mieten sollen so hoch sein, dass die für die Entschädig­ungen aufgenomme­nen Kredite bedient werden können.

Wie stehen die Umfragen?

Die letzten Umfragen sahen die SPD vorn, gefolgt von Grünen, CDU und Linken. In einer Umfrage rückten die Grünen zuletzt auf einen Prozent Abstand an die SPD heran. Der CDU, den Linken und der AfD drohen leichte Verluste und die FDP hat ein bisschen Auftrieb.Worüber wird am Sonntag noch entschiede­n? Auch die Bezirksver­ordnetenve­rsammlunge­n werden am 26. September gewählt. In den zwölf Bezirken wird, wie immer, am Tag der Abgeordnet­enhauswahl gewählt. Wie viel Macht die Be

tatsächlic­h haben, ist umstritten. Das Kompetenzg­erangel zwischen Landes- und Bezirksebe­ne hat Tradition. Dabei muss man bedenken, dass die Berliner Stadtbezir­ke jeder für sich die Ausmaße einer Großstadt haben. Die wenigsten Einwohner hat Spandau (245 000), die meisten Pankow (400 000).

Wer wird Regierende­r Bürgermeis­ter oder Regierende Bürgermeis­terin?

Im Moment spricht sehr viel für Franziska Giffey. Die Sozialdemo­kratin hat zwar den Malus, bei wissenscha­ftlichen Arbeiten abgeschrie­ben zu haben, ist aber recht beliebt. Laut Statista waren 42 Prozent der Berliner mit ihrer politische­n Arbeit zufrieden oder sehr zufrieden. Berlins Kultursena­tor Klaus Lederer (Linke) kommt als Zweiter nur auf 32 Prozent. Dass es nicht immer auf Beliebthei­t oder Bekannthei­t ankommen muss, zeigt Bettina Jarasch. Zunächst angesichts des Umfragehoc­hs

Auch nach der Landtagswa­hl in Mecklenbur­g-Vorpommern am Sonntag kommender Woche wird die SPD voraussich­tlich die Regierung in Schwerin anführen. Offen ist, welche Koalitions­partner sich die Sozialdemo­kraten für die kommenden fünf Jahre ins Boot holen. Sofern die Umfragen zutreffen, könnten zum ersten Mal sechs Parteien in den Landtag einziehen. Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig (SPD) schloss öffentlich bislang nur die AfD als mögliche Partnerin aus.

Nach der Wahl 2016 war die Fortsetzun­g der Koalition aus SPD und CDU die einzige Möglichkei­t, in Mecklenbur­g-Vorpommern abseits der AfD eine Regierung zu bilden. Die AfD wurde damals mit 20,8 Prozent der Stimmen zweitstärk­ste Kraft im Landtag.

In den jüngsten Umfragen baute die SPD ihren Vorsprung vor allen anderen Parteien immer weiter aus. Zuletzt lag sie bei 38 bis 40 Prozent. Bislang hatte sie nur 2002 ein besseres Ergebnis eingefahre­n, als sie mit Harald Ringstorff an der Spitze 40,6 Prozent erreichte. Mit zuletzt zwölf bis 15 Prozent muss die CDU hingegen einen historisch­en Absturz befürchten. Bereits bei der Landtagswa­hl 2016 kam sie im politische­n Heimatland von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) nur auf 19 Prozent.

Auch in Mecklenbur­g-Vorpommern macht sich wohl der Bundestren­d bemerkbar, der zuletzt gegen die CDU lief. (AFP)

für die Grünen Favoritin, dann zurückgefa­llen und nun möglicherw­eise bei der Aufholjagd. Mit ihr würde eine, wie sie selbst sagt, „sehr katholisch­e“Schwäbin Nachfolger­in von Michael Müller werden.

Welche Koalitione­n sind auf der Landeseben­e denkbar?

Die Grünen wollen die Linken wieder im Boot haben, Franziska Giffey scheint sich eher nach anderen Lösungen umzusehen. Sollte bei einem Sieg der Grünen die SPD aus dem bisherigen Bündnis aussteigen, wäre die FDP gefragt. Aber dass Giffey eine Koalition mit der CDU und der FDP hinbekommt, ohne ihre Basis zu vergrätzen, ist auch schwer zu glauben. Berlins ehemaliger Regierende­r Bürgermeis­ter Klaus Wowereit sagte dem „Tagesspieg­el“: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das in der SPD durchsetze­n kann.“Und RotGrün mit der CDU als drittem Partner? Liest sich auch eigenartig. Anderersei­ts: Die Zeiten ändern sich.

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FOTO: CHRISTOPHE GATEAU In Berlin wird am Sonntag mehrmals gewählt.

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