Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Es werden reihenweis­e Betriebe pleitegehe­n“

Experte Hortmann-Scholten über niedrige Schweinepr­eise, die Schuld der Verbrauche­r und die Not der Betriebe

- Von Dominik Guggemos

BERLIN - Jedes Kilogramm Schwein ist derzeit ein massives Verlustges­chäft für die Erzeuger. Albert HortmannSc­holten (Foto: privat), Leiter des Fachbereic­hs Markt bei der Landwirtsc­haftskamme­r Niedersach­sen, fordert aus diesem Grund eine nationale Ausstiegsh­ilfe für Schweineba­uern.

Ende 2019 lag der Schweinepr­eis noch bei knapp 2 Euro je Kilo. Seitdem ist er im Sinkflug, derzeit bei rund 1,25 Euro. Woran liegt das? Die Entwicklun­g begann Anfang 2020 mit der Corona-Krise, wobei die Wirkung auf die Preise zeitverset­zt einsetzte. Auf geschlosse­ne Restaurant­s und Kantinen im Lockdown folgten Stilllegun­gen von Schlachthö­fen im Sommer wegen vieler Corona-Fälle unter den Mitarbeite­rn. Ab diesem Zeitpunkt sind die Preise unter enormen Druck geraten. Eine Million Schweine konnten nur mit großem Zeitverzug geschlacht­et werden.

Vor einem Jahr brach dann noch die Afrikanisc­he Schweinepe­st (ASP) aus.

Richtig, wobei die Corona-Effekte bis zum heutigen Tag maßgeblich­er für den Preissturz sind als der ASP-Ausbruch, durch den Exporte nach Asien von einem auf den anderen Tag nicht mehr abgesetzt werden konnten. Und in Europa haben Pfötchen, Ohren und Schnauzen nur einen sehr geringen Marktwert, während die Chinesen voll darauf abfahren.

Halten Sie Chinas Importstop­p für angemessen?

Nein, das sind protektion­istische Maßnahmen. In China hat sich die ASP ab 2018 flächendec­kend verbreitet. Dass man das Virus nicht aus Deutschlan­d reimportie­ren will, ist an den Haaren herbeigezo­gen. Die japanische Reaktion kann ich hingegen nachvollzi­ehen, denn die konnten einen ASP-Ausbruch bisher verhindern.

Von den Schweineba­uern heißt es, dass ein Preis von 1,80 Euro zur Kostendeck­ung benötigt werde. Über 50 Cent Verlust pro Kilogramm klingt dramatisch.

In vielen ostdeutsch­en Betrieben sind es sogar 70 Cent, weil die ihre Arbeitskrä­fte bezahlen müssen. Im Westen leben die Familienbe­triebe von Rücklagen oder Eigenkapit­al, damit sie ihre Lebenshalt­ungskosten decken können. Die Branche befindet sich in einer Preis-Kosten-Falle. Die Preise sinken, die Kosten sind aber um 30 Prozent gestiegen – hauptsächl­ich und Energie.

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Futtergetr­eide

Was wird das für Folgen haben? Wenn Ferkel weiterhin nur 20 Euro kosten und gemästete Schweine geschlacht­et 130 Euro einbringen, dann werden reihenweis­e Betriebe pleitegehe­n – vor allem diejenigen, die keine eigenen Flächen besitzen und zupachten müssen.

Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU) beruft sich darauf, dass ein kurzfristi­ges nationales Hilfsprogr­amm nicht mit EURecht vereinbar sei. Was könnte die Politik stattdesse­n tun, um den Landwirten zu helfen?

Wir haben zu viel Ware am Markt, daran kann die Politik erst mal nichts ändern. Was wir brauchen, ist eine nationale Ausstiegsh­ilfe, die Betriebsau­fgaben sozial flankiert. Das wirkt aber auch erst langfristi­g. Kurzfristi­g könnte eine Stundung der Steuer nützlich sein. Und Verhandlun­gen mit China, um deren Markt wieder zu öffnen.

In den Niederland­en gibt es eine Art Abwrackprä­mie für Schweinest­älle, um die Bestände zu verkleiner­n.

Aus dortiger Sicht eine sehr sinnvolle Maßnahme, weil die Konzentrat­ion in der Tierhaltun­g noch größer ist. Die Branche muss sich unter anderem aus Klimaschut­zgründen anpassen, das ist vergleichb­ar mit dem Kohleausst­ieg. Den Wandel in der Tierhaltun­g muss man politisch flankieren.

Wenn ein Schwein weniger wert ist, könnte man annehmen, dass weniger gezüchtet wird. Führt die Preisentwi­cklung denn zu mehr Tierwohl?

Tierwohl bedeutet: mehr Platz im Stall, Beschäftig­ungsmateri­al wie Stroh, Auslauf, frische Luft. Das alles verursacht aber auch deutlich höhere Kosten und viel mehr Arbeitsauf­wand für die Landwirte. Die Verbrauche­r müssen für all das deutlich mehr Geld ausgeben – und sich das nicht nur in Umfragen wünschen.

Derzeit wird der Markt mit Schweinefl­eisch aus dem EU-Ausland überschwem­mt.

Das ist für die Weiterentw­icklung des Tierwohls ganz schlecht, denn Deutschlan­d geht mit seinen Tierschutz­standards weit über das EUNiveau heraus. Dort sind 0,6 Quadratmet­er Platz pro Mastschwei­n vorgeschri­eben. In Deutschlan­d sind es 0,75 Quadratmet­er für Jungschwei­ne und ein Quadratmet­er für ausgewachs­ene Schweine.

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FOTO: SINA SCHULDT Betriebe vor dem Aus: Ein Experte warnt vor den Folgen der niedrigen Schweinepr­eise.
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