Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mordmotiv Habgier
Ein Vater wird unweit von Stockach brutal umgebracht, seine beiden Kinder überleben nur knapp. Über einen ungewöhnlichen Prozess am Landgericht Konstanz.
KONSTANZ - Dass Kinder und Jugendliche bei einem Mordprozess vor der Öffentlichkeit aussagen, kommt äußerst selten vor. Dass sich ein junger Mensch, dessen Vater brutal zu Tode kam und der selbst nur um Haaresbreite mit dem Leben davongekommen ist, zu einer solchen Aussage vor Publikum entschließt, ist wohl beispiellos und zeugt von Mut und seltener Courage. Tim besitzt diesen Mut.
Der 13-Jährige hat an diesem Mittwochmorgen im Zeugenstand des Saals 160 im Landgericht Konstanz Platz genommen. Rechts hinter ihm sitzt der mutmaßliche Mörder seines Vaters. „Ich bin aufgeregt“, sagt Tim. „Das darfst du“, antwortet der Vorsitzende Richter Arno Hornstein und lächelt den Jungen an. „Es ist großartig, dass du dich dem hier stellst, auch vor der Öffentlichkeit.“Dann beginnt Tim seine Geschichte, sie ist traumatisch, entsetzlich, sie ist grausam und nichts für zarte Nerven.
Es ist Samstag, der 16. Januar dieses Jahres. In Hohenfels-Liggersdorf, nordöstlich von Stockach, liegt Schnee, die Luft ist feucht und kalt. Tim und sein neunjähriger Bruder Max verbringen das Wochenende bei dem von der Mutter getrennten Vater, der eine Firma für Gartenund Landschaftsbau betreibt. Am Nachmittag wollen die drei den Schlitten an einen Geländewagen binden, ein großer Spaß winkt, der Vormittag zieht sich jedoch hin. „Ich habe mich gelangweilt und bin deshalb ins Büro meines Vaters ins Erdgeschoss“, berichtet Tim.
Da Max für seine Hausaufgaben ein Schulheft braucht, fährt der Vater in den Einkaufsladen der kleinen Gemeinde. Kurz nach 12 Uhr klingelt es an der Tür. Vor dem Haus steht ein Mann in schlichter Jacke und mit Arbeitshandschuhen, ein rot-schwarzer Schal verdeckt das Gesicht, allein seine Augen sind zu erkennen. „Ist dein Vater da“, sagt er, „ich muss ihn sprechen.“
„Ich habe bei jedem Schlag ein Geräusch gehört. Ich war k.o., konnte nichts machen.“
Die beiden Jungs verneinen, Tim bietet jedoch an, den Vater anzurufen. Als er das Handy holen will, kommt ihm die Sache jedoch komisch vor, aber da ist es schon zu spät. Der Mann dringt in das Wohnhaus ein. Plötzlich herrscht Panik. „Mein Bruder ist sofort hochgerannt, ich bin ins Büro und habe einen Hechtsprung in die Ecke gemacht.“Seine vage Hoffnung dort unentdeckt zu bleiben, erfüllt sich nicht. Der Täter hat längst ein unter der Jacke verstecktes Beil in seiner Hand und schlägt nun mit der stumpfen Seite auf den Kopf des Jungen ein. „Mindestens vier, fünf Mal. Ich habe bei jedem Schlag ein Geräusch gehört“, berichtet der 13-Jährige vor Gericht. „Ich war k.o., konnte nichts machen.“
Bruder Max, so schildert es Oberstaatsanwalt JohannesGeorg Roth in der Anklageschrift, hat sich derweil im ersten Stock im Bad eingeschlossen und mit einem Handy den Vater alarmiert. Tim, schwerst verletzt, kommt zu sich, hört wie das Auto vor dem Haus stoppt. Der Vater stürmt durch den Flur am Büro vorbei, zieht Schubladen auf, offenbar auf der Suche nach einem Gegenstand, mit dem er sich verteidigen kann. Und ruft kurz darauf laut: „Adi, Adi, geh‘, geh‘, lass uns einfach in Ruhe ...“Da erkennt auch Tim, dass es sich bei dem Eindringling um Adrian S. handelt, einen früheren Mitarbeiter der Firma. Gehen will der aber nicht, er schlägt gnadenlos auf den Vater ein. Und sucht in der Folge nach dem Schlüssel für den Safe im Keller. Dass sich dort nicht das erhoffte Geld befindet, sondern nur Fahrzeugpapiere, ahnt der Täter nicht. Er macht sich in den ersten Stock auf, um die Badezimmertür aufzubrechen.
Tim sammelt derweil all seine Kräfte, steht auf, klammert sich fest, halb benommen, halb wach, rutscht aus, wankt zum Vater, der blutüberströmt im Wohnzimmer liegt und dem Jungen mit letzter Anstrengung sein Handy reicht. „Ruf Hilfe.“Dann verliert er sein Bewusstsein.
Tim (13), eines der Opfer
Tim versorgt den Papa so gut er kann, das Handy ist jedoch gesperrt. Vor dem Haus trifft er auf seinen Großvater, der ebenfalls auf dem Gelände lebt. Nachbarn alarmieren schließlich Polizei und Sanitäter. Adrian S. hört offenbar die anrückenden Rettungskräfte und lässt von dem kleinen Max ab, dem er zuvor mehrfach auf den Kopf geschlagen hat. Resigniert, so Staatsanwalt Roth, setzt der Mann sich auf den Badewannenrand, legt das Beil auf dem Waschbecken ab und zündet sich eine Zigarette an. Dann fügt er sich mit einem Messer tiefe Wunden an den Armen zu.
Der Täter sowie die beiden schwer verletzten Jungen werden in Krankenhäuser gebracht, ihnen geht es heute so weit wieder gut, zumindest körperlich. Für den Vater aber kam jede Hilfe zu spät.
Adrian S. ist vor dem Landgericht Konstanz des Mordes angeklagt sowie des zweifachen versuchten Mordes und wegen schwerer Körperverletzung. Sein Motiv laut Staatsanwaltschaft: Habgier.
Der Tatverdächtige habe „sein Ziel weiterverfolgt, die Opfer auszuschalten, um an das im Haus vermutete Geld zu gelangen und sich dieses nötigenfalls mit Gewalt anzueignen“. Insgesamt 38 Zeugen sind in dem bis Ende Oktober angesetzten Prozess geladen. Der Täter selber aber schweigt, zumindest weitestgehend.
In Handschellen wird der 35Jährige an diesem Morgen in den Gerichtssaal geführt, schmales Gesicht, untersetzte Erscheinung. Er trägt einen Jogginganzug in ausgewaschenem Rot. Den kahl rasierten Kopf bedecken nur kurze schwarze Stoppel, genauso wie das Kinn. Zur Tat selber will er sich nicht äußern, aber zu seiner Person. Wenn er spricht, dann mit leiser Stimme, das Haupt manchmal gesenkt. Eine Dolmetscherin übersetzt die Worte des Rumänen, der in Siebenbürgen zur Welt kam. Der, wie er berichtet, in der Heimat ganz normal zur Schule ging und nach der Fachhochschulreife eine Ausbildung als Installateur absolvierte. Vor etwa zehn Jahren beschloss er: „Ich versuche mein Glück in Deutschland.“
In Friedrichshafen kommt er anfangs bei einem Bekannten unter, später findet er eine Anstellung in
Liggersdorf bei seinem späteren Opfer. Dort bleibt er fünf, sechs Jahre, dann muss er gehen, wegen Diebstahls von Diesel, heißt es. Im Straßenbau bekommt er eine neue Chance, wohnhaft bleibt er in Hohenfels. Vor zwei Jahren hatte er einen Autounfall, erlitt schwere Kopfverletzungen, kann sich, so sagt er, seither manches nur schwer merken, vergisst die Dinge. Vor Gericht kommen seine Worte nur zögerlich, bisweilen im Flüsterton. Ein psychiatrischer Gutachter ist auch im Saal. An diesem Prozesstag bleibt der Mann jedoch ein Rätsel, bleibt nur das Entsetzen über seine Kaltblütigkeit.
„Wir alle sind noch immer bestürzt über die Tat“, sagt Florian Zindeler, Bürgermeister von Hohenfels, im Telefonat mit der „Schwäbischen Zeitung“. Zindeler ist damals durch die verschneiten Straßen die kurze Strecke vom Rathaus zum Tatort geeilt, da hatte die Spurensicherung jedoch schon alles mit rot-weißem Band abgesperrt. Zurück im Rathaus brach Hektik aus, weil in der Hohenfelshalle
eine Einsatzzentrale für die Kripo eingerichtet werden musste. Und auch unter den Einwohnern der kleinen Gemeinde herrschte anfangs Aufregung und Verunsicherung. „Glücklicherweise wurde der Tatverdächtige schnell gefasst“, sagt Zindeler. „Dadurch konnten sich Ängste und Spekulationen bald wieder legen.“Der Schock über das brutale Geschehen will dagegen nicht verschwinden. „Die Auswirkungen spüren wir noch immer“, sagt der Bürgermeister.
Was nicht verwundert, zählt Liggersdorf doch nur knapp 900 Einwohner, in der beschaulichen Ortschaft kennt noch jeder jeden. Als Treffpunkt dient der Gasthof Adler, auch den Bären gibt es. Ihre Besorgungen machen die Leute im Nahkauf an der Hauptstraße, traditioneller Höhepunkt im Jahr ist das Maifest, das Sport- und Musikverein im Wechsel organisieren.
Am Sonntag holen sich die Menschen Zuspruch und Segen in der Kirche St. Cosmas und Damian, was unmittelbar nach der Bluttat aber nur eingeschränkt möglich war. „Durch Corona fiel es schwer, sich zu treffen und das Geschehene im Gespräch aufzuarbeiten“, bedauert Zindeler. Immerhin, zur Beerdigung des Todesopfers kamen neben der Familie auch Freunde, um des Verstorbenen zu gedenken und ihn zu ehren. Der 46-Jährige war Vorsitzender des Gewerbevereins, ein fleißiger Mann, ein Freund und Ansprechpartner, ein Kollege und ein Kümmerer, aufgewachsen in Liggersdorf.
Der Prozess, so Zindeler, wird im Ort gebannt verfolgt, in der Hoffnung auf ein Urteil, das der Gerechtigkeit Genüge trägt. Für den Prozess hat das Gericht acht weitere Verhandlungstermine angesetzt. Ein Urteil ist demnach Ende Oktober möglich. Bei einer Verurteilung droht dem Angeklagten eine lebenslange Haftstrafe.
Wenn auch die Rechtsprechung nicht alles zu heilen vermag, wie der Bürgermeister betont: „Kein Urteil kann aufwiegen, was die Tat für die Familie bedeutet.“Zuvorderst für die beiden Söhne, die Momente voller Todesangst durchlitten, die miterleben mussten, wie ihr Vater grausam getötet wird. Und dessen Verlust für die Kinder nun lebenslänglich währt.