Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die Deutschen fühlen sich immer weniger frei
Eine Umfrage befasst sich mit der Haltung zu Verboten und Freiheit – Das Gemeinschaftsgefühl steigt
BERLIN - Lockdowns, Maskenpflicht und andere Corona-Maßnahmen haben das subjektive Freiheitsgefühl der Deutschen offenbar sehr beeinträchtigt: Nur noch 36 Prozent haben das Gefühl, sehr frei zu sein. Das ist ein Rückgang um 15 Prozentpunkte im Vergleich zu 2017 und der tiefste Stand seit 16 Jahren. Das ergab der sogenannte Freiheitsindex, eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach in Zusammenarbeit mit den Medienforschern von Media Tenor, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.
„Die Corona-Situation ist ein Teil der Erklärung dieser Werte“, sagt Thomas Petersen, der Projektleiter von Allensbach. Allerdings gehe der Wert seit dem Höhepunkt vor vier Jahren durchgängig zurück. Es gebe in der Wahrnehmung der Freiheit keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern, dem Alter der Befragten sowie zwischen Ost und West, so der Demoskop. Petersen betont aber, dass Freiheit den Menschen nicht weniger wichtig geworden sei und auch die Medien das Thema aufgreifen würden. „Stark zurückgegangen ist nur das Gefühl: Ich bin frei.“
Kurz vor der Bundestagswahl gibt die Umfrage auch Hinweise darüber, wie die Deutschen zu Verboten stehen – und was sie gerne verbieten würden, weil der Staat die Menschen vor sich selbst schützen müsse. Ganz oben auf der Liste stehen harte Drogen (82 Prozent) sowie das Klonen von Menschen (74). Darauf folgen schon, mit Abstand auf die weiteren
Plätze, rechtsradikale Parteien; zwei Drittel wünschen sich hier ein Verbot. Weitaus weniger Menschen sprechen sich hingegen für den Zwang zu Tempo 130 auf der Autobahn aus: 22 Prozent.
Und nur jeder zehnte Deutsche findet, dass man Menschen vor sich selbst schützen müsse, indem man Sterbehilfe verbietet. Von einzelnen Aspekten gelöst sinkt jedoch die Anzahl jener Menschen, die viel verbieten wollen. Im Jahr 2011 wollten noch 44 Prozent der Befragten möglichst viele Verbote aussprechen. Seitdem liegt der Wert konstant bei etwa 38 Prozent. „Die Vermutung, dass die Bevölkerung immer intoleranter wird, bestätigt sich bei dieser Frage also nicht“, sagt Petersen. Als besonders verbotsaffin gilt für Allensbach, wer sich bei 16 der 23 vorgelegten Themenfeldern einen gesetzlichen Zwang wünscht.
Rückläufig ist auch die Zahl derer, die glauben, dass „die da oben“ohnehin tun, was sie wollen. 47 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu: „Der Staat, das sind wir alle. Es liegt an uns, wie sich Deutschland entwickelt.“Vor einem Jahrzehnt waren das noch zehn Prozent weniger. Die Gegenposition dazu, dass Bürger wenig Einfluss darauf hätten, wie sich der Staat entwickelt, ist im gleichen Zeitraum sogar um zwölf Prozentpunkte auf 42 Prozent gesunken. Zusammenfassend kann man also sagen: Das Gefühl der gemeinsamen Verantwortung nimmt zu, und doch wird die individuelle Freiheit wertgeschätzt.