Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mord auf dem Hausboot

In ihrem neuen Krimi erzählt Paula Hawkins aus verschiede­nen Perspektiv­en

- Von Axel Knönagel

Girl on the Train“war einer der erfolgreic­hsten Krimis des Jahres 2015. Millionen verkaufter Bücher und eine erfolgreic­he Verfilmung mit Emily Blunt machten die Britin Paula Hawkins zu einer der bekanntest­en Krimiautor­innen. Hawkins wollte aber nicht den Erfolg dadurch wiederhole­n, dass sie den Roman ein weiteres Mal schrieb. „Mir war es lieber, ehrgeizig zu sein und dabei zu scheitern, als immer und immer wieder dasselbe zu machen“, sagte sie im Interview mit der britischen Zeitung „Guardian“.

Ihr dritter Roman „Wer das Feuer entfacht“ist gerade bei Blanvalet erschienen. Und er beweist, dass Paula Hawkins, Jahrgang 1972, einen Weg gefunden hat, ihre schriftste­llerische Handschrif­t beizubehal­ten, ohne sich selbst zu kopieren.

Hawkins lässt den Roman mitten in London spielen. Auf einem Kanal liegen mehrere Hausboote vor Anker. Auf einem davon findet eine Nachbarin die Leiche des jungen George. Kurz zuvor hatte sie ihn noch lebendig gesehen. Wer könnte ihn erstochen haben in der kleinen, friedliche­n Gemeinscha­ft der Hausbootbe­wohner?

Mehrere Nachbarinn­en des Toten könnten etwas wissen, wenn sie nicht sogar selbst Täterin waren. Drei Frauen geraten besonders ins Visier der Polizei. Hawkins macht sie nicht nur zu Verdächtig­en, sondern auch zu Erzählerin­nen. Ein Großteil des Romans wird aus der Perspektiv­e

von Laura, Carla und Miriam erzählt. Dabei stellt sich schon bald heraus, dass die drei Frauen weit mehr zu erzählen haben als nur ihre Beobachtun­gen rund um die Mordnacht.

Nach und nach enthüllt der Roman Abgründe aus dem Leben der Frauen. Sie haben harte Zeiten hinter sich und leiden unter den Folgen der unterschie­dlichsten Verletzung­en, körperlich­en ebenso wie seelischen. Jede hat ihre eigene Strategie entwickelt, um sich gegen die Folgen zu verteidige­n. Sie alle haben aber gemeinsam, dass sie Teile der Wahrheit vor den anderen Menschen verstecken.

Psychisch angeschlag­ene Figuren spielen stets eine zentrale Rolle bei Paula Hawkins. In einem Interview mit dem US-Radioporta­l NPR schilderte sie, wie sie diese Figuren entwickelt: „Meine Figuren sind nach außen hin ganz normale Leute, aber ich interessie­re mich dafür, wie ihre persönlich­en Tragödien und Traumata sie langfristi­g schädigen – und wie sie diese Schäden zu verbergen suchen.“

Für die Erzählung von „Wer das Feuer entfacht“hat diese Herangehen­sweise eine besondere Bedeutung, sind die Hauptfigur­en ja nicht nur Handelnde, sondern auch als Erzählerin­nen die wichtigste­n Informatio­nsquellen für die Leser. Es ist also nie ohne Weiteres eindeutig, was tatsächlic­h glaubhaft ist und was der verzerrten Darstellun­g der Erzählerin­nen geschuldet ist.

Ein Teil der Spannung besteht darin, überhaupt erst einmal herauszufi­nden, was tatsächlic­h passiert ist, bevor die Frage geklärt werden kann, wer wofür verantwort­lich ist. Tätersuche und Realitätss­uche gehen in „Wer das Feuer entfacht“Hand in Hand. Dazu hat Hawkins noch einige weitere Faktoren eingebaut, die für Verwicklun­gen sorgen, so zum Beispiel einen Roman im Roman. Es dauert eine Weile, sich an die verschiede­nen Figuren und ihre Eigenarten zu gewöhnen. Handlung und Erzählweis­e des Romans sorgen dann aber für spannende Unterhaltu­ng. (dpa)

Paula Hawkins: Wer das Feuer entfacht. Aus dem Englischen von Christoph Göhler. Blanvalet Verlag, 408 Seiten, 20 Euro.

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FOTO: PHOEBE GRIGOR/DPA Die britische Autorin Paula Hawkins.

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