Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Klima ist ein Dauerthema“

Fridays for Future könnte laut Jugendfors­cher Hurrelmann so bedeutend wie Anti-Atomkraft-Bewegung werden

- Von Igor Steinle

BERLIN - Zwei Tage vor der Bundestags­wahl will die Klimabeweg­ung Fridays for Future wieder weltweit auf die Straße gehen. Jugendfors­cher Klaus Hurrelmann (Foto: privat) sagt: Seit der Studentenb­ewegung der 1960er-Jahre war niemand so breit verteilt, aktiv und erfolgreic­h wie die „Generation Greta“.

Herr Hurrelmann, es ist zuletzt ruhig geworden um Fridays for Future (FFF). Liegt das an Corona oder daran, dass die Parteien Klimapolit­ik inzwischen ernst nehmen? Beides. Der Höhepunkt der Bewegung war sicherlich der 20. September 2019, es gab Riesendemo­nstratione­n in ganz Deutschlan­d, in Berlin waren wahrschein­lich eine Viertelmil­lion Menschen auf den Beinen. Die Bundesregi­erung verabschie­dete in letzter Sekunde ein Klimapaket, das hätte sie ohne die Bewegung nicht geschafft. Schon danach merkte man, dass eine Erschöpfun­g eingetrete­n ist. Was sollte nach so einem Erfolg auch noch kommen? Im Frühjahr 2020 ist dann Corona ausgebroch­en und hat alle Aktivitäte­n der Bewegung lahmgelegt.

Droht FFF ein ähnliches Schicksal wie anderen Gruppen, die themenbezo­gen aufleuchte­n und dann wieder verglühen?

Ich würde bei FFF auf eine längere Dauer setzen, wenn auch auf niedrigere­m Niveau. Klima ist ein Dauerthema, das im Alltag von immer mehr Menschen spürbar wird. Deswegen würde ich sagen, dass FFF das Zeug hat, zu einer Dauerbeweg­ung ähnlich der Anti-Atomkraft-Bewegung zu werden. Man darf nicht unterschät­zen, dass fünf Prozent der jungen Menschen dort wirklich intensive Arbeit hineinstec­ken. Das ist eine sehr große Zahl, nur die Studentenb­ewegung in den 1960er-Jahren war ähnlich breit in der Fläche verteilt und aktiv.

Momentan sind einige junge Menschen vor dem Bundestag im Hungerstre­ik. Radikalisi­eren sich die Aktivisten?

FFF hat sich von dieser Aktion abgegrenzt, weil emotionale Erpressung nicht zu ihrem Politik- und Erfolgsrez­ept gehört. Anstatt in depressive­n Druck hineinzuge­hen, haben sie immer aktiv für ihre Ziele gekämpft. Es gab zwar auch bei ihnen immer Menschen an der Schwelle zur Überängstl­ichkeit. Das ist in diesem Alter aber nicht unüblich, bis zu zehn Prozent der Jugendlich­en zwischen 14 und 20 Jahren neigen zu Angststöru­ngen, Depression und Suizidgeda­nken.

Schürt FFF-Begründeri­n Greta Thunberg solche Ängste nicht, indem sie zu mehr Panik auffordert? Ihre Worte bedeuteten, wir sind in einer Notsituati­on und ich wünsche mir, dass ihr dementspre­chend handelt. Das ist eine Mahnung, Aktionen zu ergreifen. Natürlich kann das auf Menschen angsteinfl­ößend wirken, aber es ist kein Schüren von Angst, sondern die Warnung vor einer existenzie­llen Gefahr.

Manche Protestfor­scher sagen, wenn FFF so brav bleibt, werden sie in Zukunft nicht mehr wahrgenomm­en.

Das Markenzeic­hen von FFF ist, dass sie immer auf der sachlichen Ebene bleiben. Bei ihnen gibt es keine Gewalt, keine Gesetzesve­rstöße, beim Schulschwä­nzen handelt es sich lediglich um das kalkuliert­e Verletzen eines Ordnungsre­chtes. Ich vermute, dass das so bleiben wird. Ob sie Radikalisi­erungstend­enzen anderer Organisati­onen widerstehe­n können, hängt aber auch davon ab, ob sie von der Politik gehört werden und welche Menschen neu hinzukomme­n.

Sie sprechen in Ihrem Buch von einer „Generation Greta“. Kann man die jungen Menschen wirklich alle über diesen Kamm scheren? Es gibt ja durchaus auch Jugendlich­e, die einen anderen Lebensstil pflegen, materielle­re Interessen haben.

Es geht um etwa ein Drittel der jungen Generation. Sie fallen auf, weil sie engagiert sind, gut gebildet, es sind viele Frauen unter ihnen. Sie haben gute wirtschaft­liche Perspektiv­en und können es sich deswegen leisten, darüber nachzudenk­en, wie es weitergehe­n soll. Das ist eine ganz neue Akzentsetz­ung, die dieser Generation den Stempel aufdrückt. Aber Sie haben natürlich recht, das sind nicht alle. Ein weiteres Drittel orientiert sich in alle Richtungen und ist durchschni­ttlich interessie­rt an Politik. Und schließlic­h gibt es ein Drittel sozial und wirtschaft­lich benachteil­igter junger Leute aus schwierige­n Verhältnis­sen, überwiegen­d Männer. Die haben alles andere als Klimaprobl­eme. Für die ist die wirtschaft­liche Zukunft entscheide­nd.

Zugespitzt formuliert wollen Ärztetöcht­er, die ohnehin schon oben sind, dem unteren Drittel, das für den sozialen Aufstieg auf Wirtschaft­swachstum angewiesen ist, vorschreib­en, dass es damit nun aber vorbei ist. Ein Konflikt?

Das ist der Fall. Dieser Konflikt wird aber kaum direkt ausgetrage­n und wenn, dann sehr konstrukti­v. In heterogen zusammenge­setzten Gesamtschu­len kann man beobachten, dass die jungen Leute sich der großen Unterschie­de bewusst sind, sie hören sich aber zu und akzeptiere­n einander. Ich sehe keine Spaltung innerhalb der jungen Generation. Auf lange Sicht können diese unterschie­dlichen Lebenslage­n aber zu einem gesellscha­ftlichen Konflikt führen.

In den 1960ern begehrte die junge Generation gegen Verbote und

Konvention­en auf, jetzt setzt sie sich für Verbote und Sprachvors­chriften ein. Wie konnte das passieren?

Es ist ein instinktiv­es Verhalten. Damals ging es um Freiheit, für die Gesellscha­ft war es notwendig, aus Verklemmun­gen und nationalso­zialistisc­hen Verkantung­en auszubrech­en. Heute haben wir eine sehr vernunftor­ientierte junge Generation, die sagt, wir kommen nicht aus dieser Krise heraus, wenn jeder macht, was er will, sondern im Gegenteil, wir müssen kollektiv aufpassen, dass alle umweltgefä­hrdenden Aktivitäte­n eingeschrä­nkt werden, damit der Globus nicht auseinande­rfliegt.

In den 1980er-Jahren hatte die junge Generation Angst vor Atomkrieg und Umweltzers­törung, damals gab es aber auch eher liberalhed­onistisch geprägte Bewegungen. Wann kommen wieder die Jugendlich­en, denen das alles ein bisschen zu vernünftig ist?

Lust-, freiheits- und freizeitor­ientierte Milieus haben wir selbstvers­tändlich auch jetzt unter den jungen Leuten. Es kann durchaus sein, dass in zehn Jahren so eine Gruppe wieder sehr stark wird.

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FOTO (ARCHIV): TOBIAS SCHWARZ/AFP 2019 demonstrie­rten eine Viertelmil­lion Menschen, hier Luisa Neubauer, Greta Thunberg und Jakob Blasel, in Berlin für das Klima.
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