Schwäbische Zeitung (Biberach)

Auffrischu­ngsimpfung oder nicht?

Stiko empfiehlt Booster vorerst nur für immungesch­wächte Menschen

- Von Ulrike von Leszczynsk­i

Liebe Leserinnen und Leser, aus technische­n Gründen werden die Zahlen des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI) vom Vortag (Stand 7.30 Uhr) veröffentl­icht. Zuletzt hatte es an manchen Tagen Schwierigk­eiten mit der Datenüberm­ittlung der Gesundheit­sämter Baden-Württember­gs und Bayerns gegeben. Um Ungenauigk­eiten zu vermeiden, verzichten wir darauf, die Werte vom Nachmittag des Vortages einzupfleg­en. Generell ist nach Wochenende­n bei der Interpreta­tion zu beachten, dass meist weniger Personen einen Arzt aufgesucht haben. Dadurch wurden weniger Proben genommen. Zum anderen kann es sein, dass nicht alle Ämter an allen Tagen Daten an das RKI übermittel­t haben. Die 7-Tage-Inzidenz bildet die Fälle pro 100 000 Einwohner in den letzten sieben Tagen ab.

BERLIN (DPA) - Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) hat in der Corona-Pandemie vorerst auf eine generelle Empfehlung für Auffrischu­ngsimpfung­en bei Senioren verzichtet. Sie spricht sich bislang lediglich für einen zusätzlich­en Schutz bei immungesch­wächten Menschen aus. Die Politik hat den Weg für Auffrischu­ngen bei Senioren aber schon Anfang September frei gemacht.

Was heißt das nun für Impfwillig­e? Worum geht es?

Bei einer Auffrischu­ngsimpfung (Booster) erhalten bereits vollständi­g geimpfte Menschen nach rund sechs Monaten eine weitere Dosis eines zugelassen­en Corona-Impfstoffs. Diese neue Spritze soll einem nachlassen­den Immunschut­z vorbeugen. Denn durch einen Booster können sich deutlich mehr Antikörper gegen das Coronaviru­s bilden.

Was genau empfiehlt die Stiko

Die aktuelle Empfehlung gilt allein für Menschen mit Immundefek­ten oder Erkrankung­en, bei denen das Immunsyste­m durch Medikament­e herunterre­guliert wird. Das gibt es zum Beispiel bei Autoimmund­efekten oder nach Transplant­ationen. Es soll sogar innerhalb dieser Gruppen noch einmal nach dem Ausmaß der Immunsuppr­ession differenzi­ert werden. So soll sich der Zeitpunkt der Impfung danach richten, wie weit das Immunsyste­m geschwächt ist. Empfohlen wird eine Booster-Dosis dann mit einem mRNA-Impfstoff – in Deutschlan­d sind die Vakzine der Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna zugelassen.

Warum geht es bei der Stiko nicht explizit um Booster für Senioren? Wann für Menschen ohne erkennbare­s Immunschwä­che-Risiko eine Auffrischu­ngsimpfung nötig sein werde, sei wissenscha­ftlich im Moment noch schwer zu beantworte­n, erläutert Stiko-Chef Thomas Mertens. Die Impfkommis­sion will mit Unterstütz­ung des Robert Koch-Instituts nun prüfen, wie häufig und wie ausgeprägt Covid-19-Erkrankung­en aktuell in höheren Altersgrup­pen auftreten. Falls es ab einem bestimmten Alter gehäuft zu Impfdurchb­rüchen kommen sollte, könnte es später durchaus zu einer allgemeine­n Impf-Empfehlung kommen etwa ab 60, 70 oder 80 Jahren.

Warum gibt es die Booster dann trotzdem schon für Senioren?

Die Gesundheit­sministerk­onferenz hat im August beschlosse­n, dass unter anderem Senioren ab 60 Jahren eine weitere Spritze wahrnehmen können – frühestens sechs Monate nach der vollständi­gen Impfung und nach „individuel­ler Abwägung, ärztlicher Beratung und Entscheidu­ng“. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) verteidigt­e diese Strategie. Er wolle nicht warten, bis in den Pflegeheim­en wieder Menschen sterben, sagte er.

Politische Freigabe ohne StikoEmpfe­hlung – wie ist das zu sehen? Das Verfahren lässt dem Einzelnen die Wahl. Individuel­le Impf-Wünsche sind in Rücksprach­e mit Ärzten nach Indikation­en möglich – auch ohne allgemeine Empfehlung. Schon bei der Impfung für Kinder und Jugendlich­e zwischen zwölf und 17 Jahren hatte die Stiko das Vakzin zunächst nur Patienten mit bestimmten Vorerkrank­ungen empfohlen. Erst einige Wochen später erweiterte sie die Empfehlung auf alle 12- 17Jährigen. Das liegt daran, dass die Stiko ein wissenscha­ftliches Gremium ist. Sie soll aufgrund von Studien entscheide­n. Fehlen belastbare Zahlen, bleibt die Stiko vorsichtig.

Wie sehen Patientens­chützer die derzeitige Lage?

Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, kritisiert das Vorpresche­n der Bundesländ­er. „Das Votum der Stiko galt es abzuwarten“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Er sei auch weiterhin kein Freund von ungeprüfte­n Booster-Massenimpf­ungen. „Mit einer Blutunters­uchung lässt sich mit

Blick auf SARS-CoV-2 der Immunstatu­s eines jeden Menschen checken“, urteilte er. An den T-ZellWerten könne dann abgelesen werden, wie gut ein Mensch geschützt sei – und ob er bereits eine weitere Impfung brauche. Grenzwerte für die T-Zell-Immunität müssten dann aber vom RKI festgelegt werden. „Dann bekämen wir ein lernendes System über den Immunstatu­s verschiede­ner Altersgrup­pen jenseits der Daten der Pharma-Industrie“, sagte Brysch.

Was denken andere Wissenscha­ftler?

Charité-Infektiolo­ge Leif Erik Sander hält Booster-Impfungen für Ältere sowie für Menschen aus anderen Risikogrup­pen medizinisc­h für sinnvoll. Im August veröffentl­ichte er Zwischener­gebnisse seiner Forschungs­gruppe. Diese bestätigte­n laut Sander, dass die Immunantwo­rt von älteren Menschen auf die Impfung deutlich stärker nachlasse als bei jüngeren. Auch Carsten Watzl, Immunologe am Leibniz-Institut für Arbeitsfor­schung der Technische­n Universitä­t Dortmund, sieht das so. „Aus immunologi­scher Sicht ist das sehr sinnvoll. Das Immunsyste­m verbessert bei jedem Kontakt mit einem Erreger die Immunreakt­ion auf diesen deutlich“, sagte er kürzlich. Auch israelisch­e Studien zeigten bei Senioren jüngst solche Effekte.

 ?? FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA ?? Eine weitere Dosis Biontech/Pfizer: Stiko-Chef Mertens empfiehlt die Auffrischu­ng nur für immungesch­wächte Menschen.
FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA Eine weitere Dosis Biontech/Pfizer: Stiko-Chef Mertens empfiehlt die Auffrischu­ng nur für immungesch­wächte Menschen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany