Schwäbische Zeitung (Biberach)
Vier Tränen fürs Jugendsinfonieorchester
Junge Musikerinnen und Musiker geben hochklassiges Konzert nach langer Pause
BIBERACH - Nachdem pandemiebedingt gleich drei Konzerte ausgefallen waren, durfte das hochkarätig besetzte Biberacher Jugendsinfonieorchester nun endlich wieder vor großem Publikum auf die Bühne. Vor der begeistert herbeigeklatschten Zugabe nach dem letzten von zwei hochklassigen Konzerten an einem einzigen Sonntagnachmittag in der Gigelberghalle offenbarte der sichtlich gerührte Dirigent Günther Luderer, dass das Orchester nach diesem denkwürdigen Konzert einmal mehr einen gehörigen Aderlass verkraften muss.
Mit diesem Konzert wurde offenkundig, was das Publikum bei dieser Besetzung in der Pandemie verpasst hatte und – welch ein Glücksfall – das Orchester wuchs trotz einer äußerst knappen Vorbereitungsphase noch einmal über sich hinaus. Mit gekürztem Program, aber nahezu ohne künstlerische Abstriche setzten die hoch motivierten jungen Musikerinnen und Musiker ein kulturelles Glanzlicht in einer schwierigen Zeit.
Als Gast im Programm durften die Nachwuchskünstler vom Musikschulorchester mit der Orchestersuite zu „Carmen“von George Bizet unter der Leitung seiner jungen Dirigentin Chiara Stadler das Konzert eröffnen. Kurze Szenen mit erläuternden Texten von Corinna Palm und Akteuren der Bühnenpräsenz-AG stellten die inhaltlichen Zusammenhänge zwischen den Sätzen und zum Libretto der Oper her. Präzision und Intonation waren bei den jungen Künstlern bereits auf einem erstaunlich hohen Niveau.
Vier Orchesterwerke des Jugendsinfonieorchesters, unterstützt durch
Lehrkräfte der Bruno-Frey-Musikschule und einige Ehemalige, mittlerweile bereits junge Studentinnen und Studenten an deutschen Musikhochschulen, ließen unter der engagierten Leitung von Günther Luderer die Wogen der Begeisterung immer höher schlagen. Die filigranen Strukturen von Gustav Holsts „St. Paul’s Suite für Streichorchester“fielen nicht dem Schwung der tanzartigen Sätze zum Opfer, die kunstvolle Verarbeitung zweier englischer Volkslieder – darunter das bekannte „Greensleeves“– blieb trotz aller Opulenz in der klaren Transparenz des Orchesterklanges immer plastisch.
Einen ersten Höhepunkt setzte das Konzert in B-Dur op. 4 Nr. 6 für Harfe und Streichorchester von Georg Friedrich
Händel. Die junge Harfenlehrerin an der Bruno-Frey-Musikschule, Tatjana Mercedes von Sybel, übernahm das Solo in dem dreisätzigen barocken Werk voll positiver Lebensfreude und belohnte das geneigte Publikum auch gleich noch mit einer kleinen Barockkomposition als solistische Dreingabe: dem ebenso virtuos und souverän gespielten „Le Coucou“von Louis Claude Daquin.
Erstaunliche Tiefe und Reife entwickelte die „Valse triste“op. 44 Nr. 1 von Jean Sibelius, bevor mit Joseph Haydns großer Sinfonie Nr. 83 g-moll „La Poule“das Orchester, jetzt noch erweitert um Holz- und Blechblasinstrumente, das Konzert seinen absoluten Kulminationspunkt erreichte. Herausragend interpretierte das Orchester die Stellen,
wo Haydn etwa in Analogie zu dem Überraschungseffekt in der berühmten Symphonie „Mit dem Paukenschlag“nach anhaltend nichtssagenden Piano- oder Pianissimo-Passagen überraschend mit einem krachenden Fortissimo das mit dem Einschlafen kämpfende Publikum wachrüttelt. Köstlich zu sehen, wie Dirigent Luderer im Pianissimo die geringe Lautstärke suggerierend vor seinem Pult immer kleiner wurde, um dann aber wie von der Tarantel gestochen mit großen und markigen Bewegungen das willige Orchester in explosiver Lautstärkeentfaltung hineinzuzwingen. Das furiose Finale „Vivace“des vierten Satzes beendete ein kurzweiliges Konzert, dem man gerne länger gelauscht hätte.