Schwäbische Zeitung (Biberach)
Stromautobahn kommt nur mühsam voran
Netzbetreiber warnt vor Verzögerungen bei der Energiewende
RAVENSBURG - Die letzten Atomkraftwerke in Süddeutschland gehen nächstes Jahr vom Netz: Isar 2 bei Landshut und Neckarwestheim 2 bei Heilbronn. Schon in zwei Monaten wird der Meiler in Gundremmingen (Landkreis Günzburg) abgeschaltet. Auch aus der Kohle steigt Deutschland bis 2038 aus. Ersatz sollen erneuerbare Energien bringen, auch große Windparks in der Nordsee. Doch dieser Strom muss erst einmal zu den Verbrauchern in den Süden transportiert werden – und hier sehen die Betreiber der Stromtrassen dringenden Nachholbedarf.
„Die Ausbaugeschwindigkeit reicht bei Weitem nicht aus“, warnt Werner Götz, Geschäftsführer von TransnetBW. Die Stuttgarter EnBWTochter ist einer von vier Übertragungsnetzbetreibern in Deutschland, zuständig für die großen Stromautobahnen in Baden-Württemberg. Und damit für das Gelingen der Energiewende, wie Götz betont: „Wenn der Netzausbau in dem Tempo weitergeht wie bisher, ist Deutschland nicht 2045 dekarbonisiert, sondern 50 Jahre später.“
Immer wieder müssen im Norden Windräder abgeschaltet werden, weil die Leitungen in den Süden nicht genug Kapazität für den Strom haben. Mehrere Großprojekte sollen das ändern. Zentraler Baustein ist die Trasse SuedLink, die von Wilster in Schleswig-Holstein nach Süddeutschland führen soll, mit zwei Endpunkten in Großgertach bei Heilbronn und im unterfränkischen Bergrheinfeld. Von den zukünftig 700 Kilometern Kabel ist bislang aber nicht ein einziger Meter verlegt worden, eine Inbetriebnahme 2026 gilt vielen als unrealistisch, auch 2028 scheint noch ambitioniert. Das zweitwichtigste Projekt für TransnetBW ist die Trasse Ultranet von Osterath bei Düsseldorf nach Philippsburg. Dort wurden die Kühltürme des abgeschalteten Atomkraftwerks abgebrochen, an ihrer Stelle entsteht nun ein Umspannwerk. Ultranet wird aber auch nicht vor 2026 fertig, frühestens sieben Jahre nach Abschaltung des letzten Philippsburger Meilers. Für Bayern ist außerdem SuedOstLink wichtig, eine Höchstspannungsleitung, die in Wolmirstedt (Sachsen-Anhalt) beginnen und am Atomkraftwerk Isar enden soll.
Zwar herrscht in der Bundespolitik weitgehende Einigkeit über die Notwendigkeit neuer Stromautobahnen.
Entlang der künftigen 525-Kilovolt-Trasse SuedLink erlebt Götz aber eine andere Wirklichkeit. „Wir bekommen vor Ort nicht die Akzeptanz, die wir brauchen“, beklagt der TransnetBW-Chef.
Dabei werden für die Nord-SüdVerbindung gar keine Hochspannungsmasten aufgestellt. 2015 hatte Horst Seehofer, damals bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef, nach wütenden Bürgerprotesten vor allem in Franken durchgesetzt, dass die Stromautobahn weitgehend unterirdisch verlegt wird, als Erdkabel. Den Protest hat das aber nur verlagert: Statt gegen sichtbare „Monstertrassen“wettern Bürgerinitiativen nun gegen Baggerschneisen und Böden, die sich durch die unterirdischen Stromleitungen erwärmen könnten. Landwirte fürchten Ernteausfälle wegen der Erdkabel. „Es ist bisher völlig unklar, welche Auswirkungen diese auf Wasserhaushalt, Pflanzenwuchs oder Bodenleben haben“, gibt Ariane Amstutz, Sprecherin des baden-württembergischen Landesbauernverbands zu bedenken. Teils bekommen die Trassengegner Unterstützung von Lokalund Landespolitikern. Im Moment gilt das vor allem für Thüringen, wo man das Gefühl hat, eine direkte Trasse hätte eigentlich über hessisches Territorium laufen müssen.
TransnetBW teilt sich die Verantwortlichkeit für SuedLink mit Tennet, einem weiteren Übertragungsnetzbetreiber. Die Baden-Württemberger sind dabei für den kompletten Südteil der Trasse etwa ab Hildesheim zuständig, also auch die Abschnitte in Hessen, Thüringen und Bayern. Das bedeutet bei vielen Verfahrensschritten, dass die Bürger mit eingebunden werden sollen. Die Bürgerbeteiligung sei zwar wichtig, müsse aber stringenter organisiert werden, fordert TransnetBW-Chef Götz von der Politik. „Sie wird von vielen Bürgerinitiativen genutzt, um uns Steine in den Weg zu legen.“Ein Beispiel: Allein beim Bau von SuedLink haben Grundbesitzer in 4500 Fällen Betretungsverbote gegen Transnet-Mitarbeiter ausgesprochen. Sie wollen so verhindern, dass die Arbeiter das Gelände für den zukünftigen Trassenverlauf erkunden. „Das muss dann erst von der Bundesnetzagentur aufgelöst werden“, sagt Götz. „Die Zeit fehlt uns dann beim Bauen.“
Solche Verhinderungstaktiken kritisiert auch das Umweltministerium in Stuttgart. Eine frühe Bürgerbeteiligung sei zwar richtig und unbedingt notwendig, weil sie zu einer höheren Akzeptanz beitrage, teilt ein Sprecher mit. „Sie muss am Ende aber zu einer tragfähigen Entscheidung führen, damit wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien konsequent vorankommen“. 2019 haben die Länder ein Controlling für den Bundesbedarfsplan zum Netzausbau vereinbart, um zu schauen, wo und warum Termine nicht eingehalten werden.
Die Bauern, in deren Grund die Erdkabel vorrangig verlegt werden, kritisieren unterdessen die Stromfirmen für ihre Entschädigungspraxis. Die sei „mehr als unbefriedigend“, sagt Verbandssprecherin Ariane Amstutz. Bei großen Überlandleitungen habe es in Vergangenheit eine Entschädigung eines Schutzstreifens von 60 Metern mit bis zu 25 Prozent des Verkehrswertes der Fläche gegeben. Bei den Erdkabeln seien es zwar 35 Prozent des Verkehrswertes, aber lediglich auf zehn Metern Schutzstreifen – obwohl der Eingriff in die Fläche massiv und die Folgen nicht absehbar seien. „Wir erwarten hier Unterstützung durch die Politik.“
Auf die Frage, ob die Verlagerung der Trasse unter die Erde der Sache am Ende dienlich war, zögert TransnetBW-Chef Götz. Die Akzeptanz bei den Bürgern sei gestiegen, die Landwirte aber sähen die Erdkabel kritischer, sagt er dann. Klar sind jedenfalls die finanziellen Auswirkungen: Die Kosten für den Trassenbau haben sich von drei auf zehn Milliarden Euro mehr als verdreifacht.