Schwäbische Zeitung (Biberach)
Kurz im Fokus der Ermittler
Staatsanwaltschaft wirft Österreichs Kanzler Korruption vor – Es droht eine Regierungskrise
WIEN - Er klang so wehleidig wie noch nie. „Warum soll immer ich an jedem Unrecht schuld sein? Wieso soll ich dafür verantwortlich sein?“Mit Dackelblick, aber durchaus offensiv, antwortete der österreichische Kanzler Sebastian Kurz am Mittwochabend im ORF auf kritische Fragen.
Am Mittwoch hatten Fahnder im Kanzleramt, in der ÖVP-Zentrale, im Finanzministerium und in einem Medienhaus Datenträger, Server, Handys und Laptops gesichert. Kurz und sein Team sollen ein österreichisches Medienhaus für geschönte Umfragen mit mehr als einer Million Euro aus Steuermitteln bezahlt haben. Sowohl Kurz als auch das Medienhaus bestreiten die Vorwürfe vehement.
Die Vorwürfe umfassen die Delikte Bestechlichkeit, Bestechung und Untreue. Es geht um die Zeit vor dem glanzvollen Aufstieg des Politikers, um eine Clique, die gezielt an dem „Projekt Ballhausplatz“arbeitete und die schließlich ihre Entlohnung dafür einforderte, als Kurz an der Spitze der Macht angekommen war.
Im Zentrum der Truppe steht Thomas Schmid, ein enger Vertrauter von Kurz, der damals, im Jahr 2016, Generalsekretär im Finanzministerium war. Kurz selbst war zu dem Zeitpunkt Außenminister. Ziel der Kurz-Treuen war es in diesen Tagen, den damaligen ÖVP-Chef und Vize-Kanzler Reinhold Mitterlehner zu stürzen und die ÖVP mit Kurz an der Spitze zur Kanzler-Partei zu machen. Das Projekt war bekanntlich sehr erfolgreich.
Doch die Praktiken, die damals genutzt wurden, werden nun vor Gericht geklärt. SMS, die nun bekannt wurden, legen nahe, dass die ÖVP positive Berichterstattung bei den beschuldigten Medienhäusern einfach gegen finanzielle Leistungen bestellen konnte. So tauchten in den angeblich in den Skandal verwickelten Publikationen Schlagzeilen auf wie „Liste Kurz zieht allen davon“, „KurzTurbo für ÖVP“oder „Mit Kurz hängt die ÖVP alle ab“.
Eine wahre Fundgrube für Beweise ist für die Ermittler der Staatsanwaltschaft das Mobiltelefon von Schmid. Der Kurz-Vertraute fühlte sich offenbar ganz sicher und gab vollkommen schamlos die Kommandos per Handy aus. Nachdem Kurz an die Macht gekommen war, wurde Schmid 2019 zum Vorstand der Öbag bestellt, die die Unternehmensanteile der Republik im Wert von 22,9 Milliarden Euro, also das Familiensilber aller Österreicher, verwaltet. Von diesem Amt muss Schmid, der auch in die Ibiza-Affäre verwickelt ist, aber nun zurücktreten.
Gegen Kanzler Kurz wird seit Monaten auch in einer anderen Causa ermittelt, die mit Schmid zu tun hat. Der Kanzler wird beschuldigt, eine Falschaussage getätigt zu haben, als er behauptete bei der Bestellung von Schmid zum Alleinvorstand der Öbag nur informiert, aber nicht eingebunden gewesen sei. In der aktuellen Affäre sieht die Staatsanwaltschaft in Kurz die zentrale Figur. „Sebastian Kurz ist die zentrale Person: sämtliche Tathandlungen werden primär in seinem Interesse begangen“, heißt es in der Durchsuchungsanordnung.
Alle beteiligten Personen „mussten sich dem übergeordneten Ziel – ihn zur Position des Parteiobmanns und in weiterer Folge des Bundeskanzlers zu führen und diese danach abzusichern –unterordnen“, so die Ermittler.
Der Kanzler selbst tut so, als sei seine Name Hase und schiebt alles auf „Mitarbeiter im Finanzministerium“. „Es gibt keinen Hinweis, dass ich involviert war“, resümiert Kurz. Die Opposition sieht das natürlich anders und verlangt den Rücktritt des Kanzlers und will einen Misstrauensantrag stellen.
Während der ÖVP-Politiker August Wöginger wieder einmal Attacken gegen die Staatsanwälte reitet und von einer „Show“spricht, reagierte der grüne Koalitionspartner diesmal mit einer klaren Distanzierung zu Kurz. Die Parteispitze lud die Klubobleute aller Parlamentsparteien zu Gesprächen. Vize-Kanzler Werner Kogler sprach von einem „verheerenden“Eindruck, die „Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers“sei „infrage gestellt“, der Sachverhalt müsse aufgeklärt werden. An der Basis gärt es.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen traf alle Chefs der Parlamentsparteien zu „Gesprächen aufgrund der aktuellen Situation“. Eine Möglichkeit zur Entschärfung könnte sein, dass Kurz, dessen Freundin hochschwanger ist, in die Babypause geht.