Schwäbische Zeitung (Biberach)
Bus-Shuttles vom See für die Deutsche Bahn
Der Konzern ZF entwickelt sich vom Zulieferer zum Komplettanbieter für autonome Transportsysteme
FRANKFURT/FRIEDRICHSHAFEN Der Automobilzulieferer ZF und die Bahn-Tochter DB Regio wollen gemeinsam autonom fahrende BusShuttles in großer Stückzahl auf deutsche Straßen bringen. Am Donnerstag haben die beiden Unternehmen in Frankfurt eine weitreichende strategische Partnerschaft bekannt gegeben. DB Regio rechnet bis zum Jahr 2035 mit einem Bedarf von mehr als 30 000 solcher fahrerlosen Minibusse in Deutschland, die im Linienverkehr sowohl in Städten als auch überland eingesetzt werden können. Sie sollen die Straßen vor allem in Ballungsräumen künftig entlasten und den ÖPNV lokal emissionsfrei möglich machen.
Einen möglichst großen Teil der von DB Regio benötigten Fahrzeuge will ZF liefern. Internen Planungen zufolge, rechnet sich der Konzern vom Bodensee einen Marktanteil von 40 bis 50 Prozent aus, was 12 000 bis 15 000 Shuttles entspräche.
ZF als Technologiepartner verfügt bereits über langjährige Erfahrungen mit autonom fahrenden BusShuttles. In der vergangenen Woche hat das Unternehmen die dritte Generation seines Minibusses Group Rapid Transport der Öffentlichkeit vorgestellt. Das von der ZF-Tochter 2getthere hergestellte Fahrzeug bietet 22 Personen Platz und kann aktuell mit bis zu 40 Stundenkilometern innerorts unterwegs sein. Perspektivisch sollen außerorts Geschwindigkeiten von 80 Stundenkilometern möglich sein.
Im Rahmen der Partnerschaft wird ZF nicht nur die Fahrzeuge bauen, sondern auch alle Leistungen übernehmen, die für Planung, Realisierung, Betrieb, Wartung und Reparatur der Transportsysteme notwendig sind. Das beinhaltet unter anderem das Streckenlayout, die Einrichtung und Inbetriebnahme der Shuttle-Systeme, anfallende Reparaturen sowie Softwarelösungen, die die Anbindung an die Verkehrsinfrastruktur oder die Kommunikation mit den Passagieren ermöglichen. „Wir werden damit vom Produktzum Systemanbieter“, erklärte Torsten Gollewski, bei ZF verantwortlich für den Bereich autonomes Fahren.
In der Praxis sollen die Shuttles zunächst auf baulich abgetrennten Fahrspuren unterwegs sein, und sich mithilfe eines dreifach redundanten Systems aus Radar- und Lidar-Sensoren,
GPS sowie einem im Fahrbahnbelag verbauten Magnetsystem im Verkehr bewegen. Gesteuert werden die Shuttles durch den ZF-Hochleistungsrechner Pro AI. Die Software für die autonomen Fahrfunktionen kommt vom britischen Start-up Oxbotica, an dem sich ZF nach der seit 2019 bestehenden Zusammenarbeit nun auch mit fünf Prozent beteiligt hat.
Der Vorteil dieser Lösung: Im Gegensatz zu Robotaxis, die als reguläre Verkehrsteilnehmer auf überlasteten Straßen unterwegs sind, können die Shuttles am Stau vorbeifahren. Darüber hinaus ist das System laut ZF bereits heute verfügbar und es bietet zusätzliche Sicherheit – etwa im Winter bei Blitzeis in einer Kurve, eine Situation, die sich mit Robotaxis im Mischverkehr laut Gollewski heute noch nicht beherrschen lässt.
Mit einer hohen Taktung, Pünktlichkeit und Sicherheit, so die Hoffnung der beiden Partner, könnte die Akzeptanz des Transportmittels in der Bevölkerung steigen, die Fahrzeugdichte in den Innenstädten abnehmen und ländliche Regionen besser angebunden werden. „Autonome Fahrzeuge müssen maximal zuverlässig und sicher sein, um im Linienbetrieb mitzufahren. Die autonomen Busse und die darin eingesetzten Technologien von ZF sind hier richtungsweisend“, sagte Frank Klingenhöfer, Vorstand von DB Regio Bus.
Die beiden Partner gehen davon aus, dass sich hochautomatisierte und autonom fahrende Transportsysteme zunächst im ÖPNV und bei Nutzfahrzeugen durchsetzen werden. In Mannheim und in Friedrichshafen sind ZF und DB Regio bereits in der Umsetzung erster Shuttle-Anwendungen,
die unter dem Projekt „Reallabor für den Automatisierten Busbetrieb im ÖPNV in der Stadt und auf dem Land“– kurz RABus – laufen. 2024 sollen die fahrerlosen und elektrisch angetriebenen Minibusse an den beiden Standorten im Linienverkehr fahren – in Mannheim in einem innerstädtischen Wohngebiet und in Friedrichshafen im Überlandverkehr.
Auch die Stadt Passau prüft zurzeit, zusammen mit ZF und DB Regio im Stadtgebiet elektrifizierte und autonom fahrende Bus-Shuttles einzusetzen.
Was die Umsatz- und Ergebnisbeiträge angeht, die ZF aus dem Shuttle-Geschäft erwartet, vermied Gollewski im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“konkrete Zahlen. Man sehe aber ein „riesiges Potenzial“, sagte der Manager, da zum einen der Klimawandel und die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Ziele eine Mobilitätswende erforderten und sich zum anderen der Mobilitätsbedarf in urbanen Ballungsräumen verdreifachen werde. Das lasse sich nicht mit Pkws erreichen, da deren Transportleistung zu schlecht sei. „Ich bin überzeugt, dass autonome Personentransportsysteme wie unsere Shuttles einen wesentlichen Beitrag für die Mobilität der Zukunft leisten“, gab sich Gollewski optimistisch.
Dabei sieht sich ZF im Wettbewerb gut aufgestellt. „Wir haben enorme technologische Stärken bei Sensorik und Fahrwerk und ein weltweites Servicenetz mit mehr als 10 000 Werkstätten in 115 Ländern. Eine solche Schlagkraft sehe ich bei unseren Wettbewerbern nicht“, sagte Gollewski.