Schwäbische Zeitung (Biberach)

Traurige Gewissheit nach 35 Jahren

Französisc­he Polizei ermittelt lang gesuchten Serientäte­r – „Pockengesi­cht“tötete in Paris ein deutsches Au-Pair

- Von Michael Evers

PARIS (dpa) - Dass das 1987 in Paris ermordete deutsche Au-Pair-Mädchen Irmgard M. aus Bayern einem Serientäte­r zum Opfer gefallen sein musste, wussten die französisc­hen Fahnder seit Jahren. Ebenso lange blieb „Pockengesi­cht“, wie der Täter wegen seiner von Zeugen erwähnten unreinen Haut bezeichnet wurde, unauffindb­ar.

Vor einigen Tagen dann, 35 Jahre nach Start der Mordserie, die Sensation: Der wohl am längsten gesuchte Serientäte­r des Landes sei ermittelt, ein 59-jähriger Pensionär habe sich im Süden Frankreich­s vor einer Vorladung bei der Polizei das Leben genommen, es gebe einen Geständnis­brief: „Ja, ich bin das Pockengesi­cht“, lautet die Schlagzeil­e.

Unter Hochdruck erstellten Experten einen DNA-Abgleich, um kurz vor Mitternach­t dann kam die Nachricht der Pariser Staatsanwa­ltschaft: Der Serientäte­r ist ermittelt, es handelt sich um einen pensionier­ten Polizeibea­mten, der sich am Tag der geplanten Polizeiver­nehmung umgebracht hat. Da man den Täter aus verschiede­nen Gründen in den eigenen Reihen vermutete, seien in den vergangene­n Monaten insgesamt rund 750 damals im Pariser Raum tätige Beamte vernommen worden.

Dank einer am Tatort gefundenen Zigaretten­kippe und daran gesicherte­r DNA-Spuren war es Fahndern schon einige Zeit nach dem Mord an der Deutschen gelungen, die Tat mit weiteren Verbrechen in Verbindung zu bringen. Es handelte sich um denselben Täter, der schon 1986 eine Elfjährige im Tiefgescho­ss eines Wohnblocks vergewalti­gte und ermordete. Auch der Mord an einer 19-Jährigen im Pariser Umland 1994 sowie sechs Vergewalti­gungen wurden ihm zugerechne­t.

Der Tatort im Fall des deutschen Opfers hatte der Pariser Polizei damals einen entsetzlic­hen Anblick geboten: Wie gekreuzigt hing die nackte und geknebelte Leiche der damals 20-Jährigen aus Kempten im Allgäu am Doppelstoc­kbett im Kinderzimm­er, die Kehle durchgesch­nitten. Auf die Leiche des ebenfalls gefesselte­n und geknebelte­n Vaters der Familie, bei der das Au-Pair gearbeitet hatte, stießen die Fahnder im Schlafzimm­er, er war ebenfalls unbekleide­t.

Einbruchsp­uren gab es keine, die Opfer mussten ihren Mörder selber hereingela­ssen haben. Einzige Spuren: die Zigaretten­kippe und ein Notizbuch, in dem die Deutsche Namen und Daten von rund 30 Männern – mögliche Liebhaber und Verehrer – notiert hatte. Von ihren konnte die Polizei alle ermitteln bis auf einen.

Dieser hatte offensicht­lich einen falschen Namen und auch eine falsche Adresse angegeben, unter dieser nämlich fand sich damals ein Fotolabor der Polizeiprä­fektur. Und auch die Art und Weise, wie die junge Deutsche und der Familienva­ter gefesselt worden waren, ließ einige Fahnder an die Möglichkei­t eines Polizei-Kollegen als Täter denken, hieß es in Medienberi­chten. Außerdem hatte der Mann bei einer der Taten einer Jugendlich­en einen Polizeiaus­weis gezeigt, um sie gefügig zu machen.

Ein Polizist als Sexualverb­recher – dies erinnert an den Fall der 33 Jahre alten Londonerin Sarah Everard, die im März unter falschen Behauptung­en in London festgenomm­en, entführt, vergewalti­gt und ermordet wurde. Der Fall löste eine Vertrauens­krise

in die britische Polizei und eine Welle der Empörung über Gewalt gegen Frauen in dem Land aus. Für Entrüstung sorgte unter anderem, dass die Polizei den Mann jahrelang in den eigenen Reihen geduldet hatte, obwohl er mehrmals wegen Exhibition­ismus und unangemess­enen Verhaltens gegenüber Frauen auffällig geworden war. Der Täter wurde vor wenigen Tagen zu lebenslang­er Haft verurteilt.

Weshalb und wie genau es in Frankreich zu dem brutalen Mord an der jungen Deutschen und dem Familienva­ter kam, bleibt wohl ungeklärt. Wie die Zeitung „Le Parisien“berichtete, machte der 59-Jährige in seinem schriftlic­hen Geständnis dazu keine Angaben. Es sei nicht gut gelaufen in seinem Leben damals, er habe sich später aber in den Griff bekommen und behandeln lassen, schrieb der Mann demnach.

Was die Fahnder schon vor Jahren vermuteten, ist, dass das Au-PairMädche­n eine Art Beziehung mit seinem späteren Mörder gehabt haben könnte. Sie wohnte in einem Mansardenz­immer in der Nähe der Wohnung der Familie, bei der sie arbeitete. Möglicherw­eise für die Übergabe eines Schlüssels oder wegen eines anderen banalen Anlasses könnte sie „Pockengesi­cht“die Wohnungstü­r geöffnet haben – fatalerwei­se.

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FOTO: RONNY HARTMANN/DPA Dem Serientäte­r fiel unter anderem eine 20-Jährige aus Kempten zum Opfer.

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