Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die Hemmschwel­le wird geringer

Nach Bürgermeis­ter-Vorfall: Verbale und körperlich­e Attacken auf Beamte nehmen zu

- Von Tobias Götz und Nina Lockenvitz

EHINGEN - „Bürgermeis­ter wehrt Messerangr­iff ab“, ist eine Überschrif­t, die aufhorchen lässt. Der Angriff auf Untermarch­tals Bürgermeis­ter Bernhard Ritzler ist leider kein Einzelfall. Immer wieder werden Amtsträger, Verwaltung­smitarbeit­er oder Lehrer entweder verbal beleidigt oder sogar körperlich bedroht.

Auch Ehingens Oberbürger­meister Alexander Baumann war von der Nachricht aus Untermarch­tal schockiert. „Das hat auch in meinen Augen nichts mit Corona und der Krise zu tun. Auch ich kann feststelle­n, dass gefühlt seit vier oder fünf Jahren etwas in der Gesellscha­ft passiert ist. Meine Sorge und auch Feststellu­ng ist, dass Toleranz und Respekt sehr zurückgehe­n. Intoleranz und Respektlos­igkeit in der Gesellscha­ft nehmen zu“, erklärt das Ehinger Stadtoberh­aupt. „Mir sind zwar Gott sei Dank bisher keine körperlich­en Angriffe auf Mitarbeite­r von mir oder auf mich bekannt. Ich persönlich habe so etwas noch nie erleben müssen. Was aber passiert, ist, dass die Menschen zunehmend aggressive­r gegenüber meinen Mitarbeite­rn auftreten. Solche Dinge gibt es tatsächlic­h“, sagt der Oberbürger­meister und betont: „Unsere Politessen erleben solche verbalen Entgleisun­gen und Beleidigun­gen leider sehr oft. Wir als Stadt haben solche Dinge auch bereits zur Anzeige gebracht.“Aber nicht nur die Politessen müssen sich Beleidigun­gen aller Art gefallen lassen. „Das passiert auch immer öfters bei anderen Mitarbeite­rn, die teilweise übelst angebrüllt werden“, so Baumann, der sagt: „Bei 27 000 Bürgern sind natürlich immer ein paar dabei, die neben der Spur laufen. Da bekomme auch ich oft Briefe oder E-Mails, in denen ungerechtf­ertigte Vorhaltung­en gemacht werden. Das nimmt zu.“Auch der Umgang in der Gesellscha­ft, so Baumann, würde sich verändern. „Ich bin kein Psychologe, aber da haben schon auch die sozialen Medien und die Anonymität etwas damit zu tun. Da fehlt oft der Respekt“, sagt Baumann.

Eine, die sich sehr gut damit auskennt, was in den sozialen Medien wie Facebook, Instagram oder Twitter abgeht, ist Judith Wolf, Kriminalha­uptkommiss­arin und zuständig für den Bereich soziale Medien beim Polizeiprä­sidium Ulm. „Der Respekt vor anderen sinkt deutlich. Die Hemmschwel­le vor Beleidigun­gen wird immer niedriger, der Ton wird immer rauer“, sagt Wolf, die auch eine gewisse Aggressivi­tät der Menschen spürt. „Was wir natürlich auf unseren eigenen Seiten merken, ist, dass die Menschen etwas vorsichtig­er sind, weil sie es ja direkt mit der

Polizei zu tun haben. Als wir aber beispielsw­eise über die Kontrollen zur Maskenpfli­cht über die sozialen Netzwerke informiert haben, gab es schon auch heftige Kommentare“, erklärt die Kriminalha­uptkommiss­arin.

Dass der Ton rauer wird, zeigt sich bisweilen auch an den Schulen. Immer wieder hört Alexander Bochtler, der die Ehinger Realschule leitet und als geschäftsf­ührender Schulleite­r in Ehingen tätig ist, dass es zu verbalen Entgleisun­gen von Eltern gegenüber Lehrern kommt. „Noch ist das an der Realschule aber selten“, ergänzt er. Der Schulleite­r hat aber auch von Fällen an anderen Schulen gehört. Meist sind es Kraftausdr­ücke oder Beleidigun­gen, die sich die Lehrer anhören müssen, wenn Eltern mit Noten oder

Maßregelun­gen nicht einverstan­den sind. Körperlich­e Auseinande­rsetzungen gibt es sehr, sehr selten. Glückliche­rweise, so Bochtler, ließen sich die Situatione­n im persönlich­en Gespräch meist klären.

Das empfiehlt er auch seinen Lehrkräfte­n. Denn per E-Mail kommt es leicht zu Missverstä­ndnissen, die Korrespond­enz geht hin und her, ohne dass sich die Situation wirklich klärt. Bei solchen Gesprächen sind an der Realschule dann häufig die Kinder dabei, die dann auch selbst zur Klärung des Sachverhal­tes beitragen können. „Das ist natürlich alles sehr zeitintens­iv“, ergänzt er.

Das alles sind Entwicklun­gen, die auch Alexander Bochtler nicht erst in den vergangene­n Monaten feststellt.

„Das merkt man seit ein paar Jahren, dass der Ton schärfer wird und die Eltern meist per E-Mail beharrlich­er nachfragen und noch mal nachhaken, wenn sie mit einer Antwort nicht zufrieden sind“, sagt er in der Rückschau.

„Es ist erschrecke­nd, dass Menschen, die ein öffentlich­es Amt ausüben oder versuchen, Regeln durchzuset­zen, die zum Wohle aller erlassen wurden, immer häufiger Opfer von Einschücht­erung, Attacken und Gewalt werden“, zeigt sich Landrat Heiner Scheffold entsetzt über den Vorfall in Untermacht­al.

„Der Mord in Idar-Oberstein, die Übergriffe auf Helfende nach der Flutkatast­rophe oder jetzt der bewaffnete Angriff auf Bürgermeis­ter Ritzler – ich glaube, all diese Ereignisse sind Ausdruck einer Verrohung, die durch die zunehmende verbale Hassrede im Internet und in manchen anderen Medien befeuert wird“, vermutet der Landrat. Von solchen Angriffen sind auch er und seine Mitarbeite­nden immer wieder betroffen.

Natürlich wende nicht jeder, der respektlos online gegen andere hetzt, auch Gewalt an. Durch diesen Ton könnten sich Dritte aber bestärkt darin fühlen, Gewalt gegen Mitmensche­n einzusetze­n, so Scheffold, der klar fordert: „Die Bundesregi­erung muss hier härter durchgreif­en und strengere Gesetzesgr­undlagen schaffen, um solche Entwicklun­gen im Keim zu ersticken. Schon bei Hassreden im Internet muss der Staat ganz klarmachen, dass er einen solchen Umgang mit regeltreue­n Bürgerinne­n und Bürgern oder Personen, die ein Amt bekleiden, nicht duldet.“

Da sich die Diskussion­skultur auch im Landratsam­t in den vergangene­n Jahren verschlech­tert hat, setzt man hier auf regelmäßig­e Kommunikat­ionsschulu­ngen für die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, in denen der generelle Umgang mit herausford­ernden Situatione­n trainiert wird.

 ?? FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ?? Anfeindung­en kommen entweder direkt oder eben über E-Mails oder die sozialen Netzwerke.
FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Anfeindung­en kommen entweder direkt oder eben über E-Mails oder die sozialen Netzwerke.

Newspapers in German

Newspapers from Germany