Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zu viele Widerstände und Reibungsverluste
Mit Umstrukturierungen soll der Abwärtstrend bei Sommerspielen gestoppt werden
FRANKFURT (dpa) - DOSB-Sportchef Dirk Schimmelpfennig hat von der Schönfärberei genug und redet nach dem drei Jahrzehnte langen Abwärtstrend bei Olympischen Sommerspielen Tacheles. „Wir stehen hier, weil dies das Ergebnis unserer Leistungssportstruktur in Deutschland der vergangenen 30 Jahre ist, die zu oft von sich widersprechenden Interessen, zu viel Bürokratie und langjährigen Umsetzungsproblemen geprägt ist“, sagte 59-jährige frühere Tischtennisspieler und -trainer.
„Wir schaffen keine Wende, wenn wir weiter stärker Partikularinteressen verfolgen, anstatt nach einem gemeinsamen Ziel ausgerichtet mit allen Kräften in die gleiche Richtung zu arbeiten“, bekräftigte Schimmelpfennig, der seit 2015 Vorstand Leistungssport des Deutschen Olympischen Sportbundes ist. „Wir haben derzeit noch zu viele Widerstände und Reibungsverluste an Stellen, wo wir besser abgestimmt zusammenarbeiten sollten.“
Diesen Appell, dass es grundlegender Veränderungen bedarf, hätten die Bundestrainer, Sportdirektoren der Verbände, die Leistungsreferenten der Landessportbünde und Olympiastützpunktleiter bei einer Tagung mit 220 Teilnehmern in Kienbaum verstanden. „Das ist genauso angekommen. Es ist der Wille, dass wir zukünftig das, was inhaltlich besprochen wurde, nun konkret umsetzen“, sagte er. Die schwächste Medaillenausbeute seit der Wiedervereinigung bei den Tokio-Spielen mit 37 Medaillen (Platz neun im Medaillenspiegel) ist offenbar der letzte Warnschuss gewesen. Die 2016 gestartete Leistungssportreform mit der aufwendigen Potenzialanalyse allein, mit der die Verbände strukturell auf Vordermann gebracht und ihr Zuwendungsbedarf ermittelt werden soll, hat bisher keinen entscheidenden Aufschwung gebracht. Dabei wurde die Sportförderung des Bundes auf 265 Millionen Euro verdoppelt.
„Der Bund als verlässlicher „Vertragspartner“hat seine Zusagen eingehalten, auch um den Spitzenverbänden die Chance zu geben, sich professioneller aufzustellen“, erklärte Dagmar Freitag (SPD), die scheidende Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag. „Allerdings müssen wir heute feststellen, dass
Umsetzungen zwingend notwendiger Reformen seitens des DOSB verschleppt wurden. Und nur mehr Geld allein geht eben nicht zwingend einher mit Medaillen.“
Auch Schimmelpfennig bekennt, dass die Umsetzung des Konzepts zur Neustrukturierung des Leistungssports in „eine Schieflage“geraten ist, weil die Spitzensportförderung „besser und aufwendiger“entwickelt wurde als der Leistungssport. Zu lange sind zudem Themen wie die Trainersituation, die Nachwuchsund Talentförderung sowie der Schulsport nur halbherzig oder gar nicht angepackt worden.
Der Weckruf von Kienbaum dürfte noch keinen Umschwung bis zu den Sommerspielen 2024 in Paris bringen. Es könnte der Start für ein erfolgreiches Langzeitprojekt gewesen sein. Um an der Seine nicht baden zu gehen, richtet der DOSB die Konzentration auf die Athleten, die in Tokio vorne mitgemischt haben und auf diejenigen, die es in diesen Kreis noch schaffen können.
Das Ziel des DOSB-Sportchefs für Paris lautet: „Das aktuelle Niveau zumindest halten und möglichst wieder in den Medaillenkorridor von 40 bis 45 Medaillen vorzustoßen. In den nächsten drei Jahren wird der große Turnaround noch nicht möglich.“Der wird nun für die Spiele in Los Angeles 2028 und Brisbane 2032 angestrebt. „Im Wintersport ist die Situation eine andere. Da hoffen wir, dass wir in Peking 2022 im Bereich der drei stärksten Nationen bleiben können“, sagte Schimmelpfennig.