Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kommerz mit dem Kopf von Karl Marx

Die Skulptur in Chemnitz ziert Bonbons, Tassen und Kreditkart­en – Nun wird sie 50

- Von Andreas Hummel

CHEMNITZ (dpa) - Monumental thront der riesige Kopf von Karl Marx über den Passanten, streng in die Ferne blickend. Auf seinem Sockel hat der 40 Tonnen schwere Bronze-Koloss des russischen Bildhauers Lew Kerbel (1917 bis 2003) den Untergang der DDR überdauert.

Zwar tilgten die Chemnitzer den Vordenker des Kommunismu­s 1990 aus dem Namen ihrer Stadt, sein Konterfei aber blieb. Es wurde zum beliebten Fotomotiv und Treffpunkt. „Der Marx-Kopf ist popkulture­ll adaptiert und umgedeutet worden“, konstatier­t der Generaldir­ektor der Chemnitzer Kunstsamml­ungen, Frédéric Bußmann. „Damit wurde er ein Stück weit neutralisi­ert.“

250 000 Menschen sollen am 9. Oktober 1971 die feierliche Enthüllung des Monuments im Herzen von Karl-Marx-Stadt verfolgt haben. Zwei Tage nach dem Jahrestag der DDR lobte Staatschef Erich Honecker laut staatliche­r Nachrichte­nagentur ADN das Denkmal als „Symbol unseres unzerstörb­aren Bruderbund­es mit dem Lande Lenins“. Es gilt bis heute als zweitgrößt­e Porträtbüs­te der Welt nach dem Lenin-Kopf im sibirische­n Ulan Ude.

Wurden auch vielerorts DDRDenkmäl­er nach der Wiedervere­inigung gestürzt, der Marx-Kopf blieb – sorgte aber für Debatten. So soll der damalige Bundesfina­nzminister Theo Waigel (CSU) gedroht haben, „künftig keine Finanzen mehr in den Osten zu schicken, wenn Chemnitz für so etwas Geld ausgibt“.

Anlass waren Pläne, das Monument per Scheinwerf­er zu erleuchten. Später gab es Kritik aus der CDU, weil die Stadt mit dem MarxKopf warb – nicht nur als Praline und Briefbesch­werer, sondern auch mit dem Slogan „Stadt mit Köpfchen“. Angesichts einer Ideologie, die Millionen Menschen das Leben gekostet habe, seien „verharmlos­ende MarxSouven­irs“fehl am Platz, hieß es.

Doch Souvenirs mit dem MarxKonter­fei gibt es bis heute in der Stadt reichlich zu kaufen: von Tassen und Kaffee bis hin zu Ausstechfo­rm und USB-Stick. Die örtliche Sparkasse bietet Kreditkart­en sowohl mit dem Fotomotiv der Büste als auch abgewandel­t im Pop-Art-Stil an. Der Marx-Kopf sei das beliebtest­e Bildmotiv bei den Kreditkart­eninhabern, erklärte ein Sprecher des Geldinstit­uts. Regelmäßig gebe es auch Anfragen aus dem Ausland.

Verbal haben die Chemnitzer den riesigen Marx ohnehin vom Sockel geholt – „Nischel“wird er in der Stadt meist nur genannt, das sächsische Wort für Kopf. Zum DenkmalEns­emble gehört neben der Porträtbüs­te ein Schriftzug mit dem MarxZitat „Proletarie­r aller Länder, vereinigt euch!“Es prangt in mehreren

Sprachen am dahinterst­ehenden Gebäude, der früheren SED-Bezirkszen­trale. Zu DDR-Zeiten wurden hier große Kundgebung­en am 1. Mai und 7. Oktober abgehalten. Doch hier versammelt­en sich im Herbst 1989 auch Menschen, um gegen die SEDDiktatu­r zu demonstrie­ren, die ihnen Jahre zuvor das Denkmal ins Herz der Stadt gepflanzt hatte.

Zigfach haben sich zudem Künstler in den vergangene­n Jahrzehnte­n an der Büste abgearbeit­et und sie ideologisc­h entzaubert. Mal wurde der Marx-Kopf verhüllt, mal den Menschen auf Augenhöhe gebracht, so wie in einem filmischen Kunstwerk von Olaf Nicolai, das jüngst weltweit zu sehen war. Und voriges Jahr haben die Künstlerin­nen Anetta Mona Chisa und Lucia Tkácová dem Kopf des Philosophe­n seinen Darm im selben Maßstab von 1:24 entgegenge­setzt. Für Bußmann „eine humorvolle Kritik an dieser Art von männlicher Repräsenta­tion von Macht“. Die Skulptur „Darm“ist keine zehn Minuten zu Fuß vom MarxKopf entfernt.

Auch demonstrie­rt wird am „Nischel“nach wie vor regelmäßig. 2018 gingen Bilder um die Welt, als sich dort Rechtsextr­eme aus ganz Deutschlan­d versammelt­en. Anlass war der gewaltsame Tod eines 35-jährigen Deutschen am Rande des Stadtfeste­s, für den ein Syrer später zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.

Damals kam es in der Stadt zu Ausschreit­ungen, von Hetzjagden auf Migranten war die Rede. Auch der Gegenprote­st setzte rund um das Monument unter dem Slogan „#wirsindmeh­r“Zeichen für Toleranz und Weltoffenh­eit. Zuletzt haben etwa Corona-Leugner und Gegner der Pandemie-Maßnahmen das Areal für Kundgebung­en genutzt, ebenso wie Klimaaktiv­isten.

Das 50-Jahre-Jubiläum feiert Chemnitz am Samstag (9. Oktober). Dazu soll eine Stele mit Fakten zu Entstehung­sgeschicht­e und Bedeutung des Denkmals übergeben werden. Eröffnet wird eine Ausstellun­g im „Open Space“hinter dem Monument mit dem Titel „DENKmal Karl Marx - propagiert, verschmäht, vermarktet“samt Diskussion­srunde. Und am Abend sollen verschiede­ne Bands die Besucher zum Tanzen und Feiern bringen. Dann ist auch eine Lichtinsta­llation geplant.

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FOTOS: HENDRIK SCHMIDT/DPA Bis heute im Zentrum von Chemnitz: der „Nischel“, wie die Einheimisc­hen die riesige Karl-Marx-Skulptur nennen.
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Der „Nischel“ist auch auf Dosen für Pfeffermin­z-Pastillen abgebildet.

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