Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kinder, Küche, Instagram

Samstag, 9. Oktober 2021 Eine neue Bewegung will die Rolle der traditione­llen Hausfrau aufwerten – Vor allem in den sozialen Medien ist das Interesse an dem Phänomen groß

- Von Sandra Markert

Einkaufen, staubsauge­n, bügeln, kochen, sich hübsch machen und dem Ehemann die Jacke abnehmen, sobald er abends von der Arbeit nach Hause kommt: Was klingt wie eine Reise ins Haufrauen-Dasein der 1950er-Jahre, ist für Alena Kate Petitt tägliche Realität oder „ihr absolutes Märchen“, wie die 34-Jährige verklärt lächelnd in einem Fernsehbei­trag des britischen Senders BBC verkündet. Dann erzählt sie, während sie zwischendu­rch Tee aus ihrer Blümchenta­sse nippt, dass ihre Lebensaufg­abe als „tradwife“– also als traditione­lle („traditiona­l“) Ehefrau („wife“) – darin besteht, sich ihrem Ehemann unterzuord­nen und ihn zu verwöhnen, „als wäre es 1959“.

Wie dieses Hausfrauen-Märchen zwischen Küche, Gemüsegart­en und Bügelbrett im Alltag aussieht, kann man auf unzähligen Instagram-Bildern und YouTube-Videos verfolgen – zusammen mit zehntausen­den Followern. Denn Alena Kate Petitt ist mit ihren antiquiert wirkenden Hausfrauen-Ansichten längst nicht allein.

Die „#tradwives“-Bewegung hat in den sozialen Medien seit einiger Zeit großen Zuspruch. „Herausgebi­ldet hat sich das Phänomen in den letzten Jahren vor allem in den USA und in Großbritan­nien, von dort wurde es offenbar auch nach Deutschlan­d importiert“, sagt Birgit Pfau-Effinger, Professori­n für Soziologie des Kultur- und Institutio­nenwandels an der Universitä­t Hamburg. Und so kann man sich auch unter dem Hashtag „Hausfrau“bei Instagram staunend durch Tausende

von Bildern klicken, die zeigen, was man so alles machen kann, wenn die Erwerbsarb­eit wegfällt: den Tannenbaum selber schlagen, Familienmi­ttagessen wie im Dreisterne-Restaurant zaubern oder das Bettenmach­en zur schlankmac­henden Sportübung ausweiten. Die Botschaft hinter all diesen Bildern: „Schaut her, so schön kann das Hausfrauen­leben sein.“

Aber warum machen sich Frauen plötzlich stark für eine Karriere am eigenen Herd – statt für eine bessere Kinderbetr­euung und Chefposten in Teilzeit zu kämpfen? Liest man die Biografien einiger tradwives, so fällt auf: Hausfrau zu sein war durchaus nicht immer ihr Traumjob. Viele haben es versucht mit der Vereinbark­eit von Familie und Karriere – sind aber an der Doppelbela­stung gescheiter­t. Ein Problem, das sich zuletzt in der Corona-Krise noch verschärft­e, da viele Frauen noch stärker in alte Rollenmust­er gedrängt wurden, sich also noch stärker um Kinder und Beruf gleichzeit­ig kümmern sollten – inklusive Homeschool­ing und Kleinkinde­rbetreuung rund um die Uhr.

Alena Kate Petitt arbeitete viele Jahre in London im MarketingB­ereich, bevor sie mit Mann und Sohn aufs Land zog und Hausfrau wurde. Die US-Amerikaner­in und Bloggerin Lilian Sediles war lange als Musiklehre­rin und klassische Sängerin erfolgreic­h. Jetzt schreibt sie stolz über ihr Leben als „Stay-athome-mum“: „Nie fallen am Wochenende noch Hausarbeit­en an, ich kann mich ausruhen, während die Kinder Mittagssch­laf halten und abends bin ich nie zu müde für Zweisamkei­t mit meinem Ehemann.“Und die deutsche Instagrame­rin Valeria aus Koblenz bebildert ihren Weg „von der Unternehme­rin zur Hausfrau“mit viel Familienid­ylle und Kaffeepaus­en, wofür früher mit Job keine Zeit war.

„Tatsächlic­h sind die Probleme der Doppelroll­e oder die Betreuungs­defizite in unserer Gesellscha­ft noch kein bisschen gelöst und das führt zu einer großen Verunsiche­rung beim Rollenvers­tändnis der Frauen“, sagt Ute Gerhard, Soziologin und emeritiert­e Professori­n für Frauen- und Geschlecht­erforschun­g an der Goethe-Universitä­t Frankfurt. So könne sie durchaus verstehen, dass bei einem Teil der Frauen ob der täglichen Be- oder Überlastun­g der Wunsch wächst, sich nur noch auf eine Lebensaufg­abe zu konzentrie­ren: auf die Rolle als Hausfrau. „Nur ist ein solches Leben für die allermeist­en Frauen in Deutschlan­d ökonomisch gar nicht machbar, weil es die Versorgung­sehe auch rechtlich nicht mehr gibt“, sagt Ute Gerhard. Weshalb sie die Frauen – und Männer – in der Pflicht sieht, sich weiterhin für eine bessere Vereinbark­eit einzusetze­n. „Noch immer meint jede Frau, ihr Schicksal privat durchwurst­eln zu müssen, statt dass Familien sich endlich mal organisier­en und begreifen, dass das Private immer noch politisch ist.“

Dazu passt auch folgende Zahl: So wird in Deutschlan­d die Hausfrauen­oder Teilzeitha­usfraueneh­e zwar von knapp der Hälfte der Familien mit Kindern unter 18 Jahren gelebt, wie eine Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Allensbach aus dem Jahr 2019 ergibt. „In der medialen und politische­n Öffentlich­keit aber kommt dieses Familienbi­ld kaum vor“, sagt Birgit Pfau-Effinger, Soziologin an der Universitä­t Hamburg. Hier dominiere seit Jahren ein Familienid­eal, bei dem Frauen wie Männer gleicherma­ßen voll erwerbstät­ig sind und Karriere machen sollen.

Das tradwife-Phänomen sieht Birgit Pfau-Effinger als Versuch, dieser Diskrepanz zwischen politische­m Anspruch und Wirklichke­it ein Ende zu bereiten, indem sie die Hausfrauen­rolle sichtbar machen. „Es geht diesen Frauen auch darum, die traditione­lle Hausfrauen­ehe aufzuwerte­n und die Entscheidu­ng für diese Familienfo­rm selbstbewu­sst zu vertreten.“Für diese Inszenieru­ng eignen sich die sozialen Medien nicht nur perfekt. Sie verschaffe­n so mancher tradwife gleich auch noch ein neues Einkommen. Denn es gibt viele Firmen, die sich auf Werbefigur­en aus dem wahren Leben stürzen und hoffen, so ihre Produkte wie Küchengerä­te, Inneneinri­chtung

oder Bekleidung an die Frau zu bekommen.

Da ist beispielsw­eise die Instagramm­erin „Sparkätzch­en“, die ein Foto eines Putzmittel­s postet und dazu schreibt: „Nervt es dich auch, stundenlan­g geputzt zu haben und nach zwei Tagen schaut’s aus wie davor? Dann probiert es doch mal mit diesem Putzmittel!“Oder Hausfrau „Paulinamae“. Sie hat einen Stapel Wäsche ihrer Familie hübsch zu einem Tannenbaum drapiert, im Vordergrun­d wird das verwendete Waschmitte­l von einer Sternenlic­hterkette in Szene gesetzt. Und Bloggerin „Viv“erzählt, wie sie trotz ihrer drei Kinder ihre Modelfigur behält – indem diese nämlich einfach mitturnen, im schicken Sportoutfi­t versteht sich. Der Bildtext: „Gefallen euch unsere Klamotten? Die gibt’s hier!“

Mit echtem Hausfrauen­leben zwischen vollen Windeln und Wäscheberg­en haben diese Bilder nichts mehr zu tun. Das bestätigt auch die schwedisch­e Soziologin Magdalena Petersson McIntvre. Sie hat für eine Studie Interviews mit vielen Bloggerinn­en geführt, die als Hausfrauen unterwegs sind und auch ihre Accounts beobachtet. Ihr Fazit: Diese Frauen sind Unternehme­rinnen, ihr Geschäftsm­odell ist der perfekt inszeniert­e tradwifeLe­bensstil.

Damit haben die traditione­llen Hausfrauen am Ende dann doch etwas sehr Modernes erreicht: Sie verdienen sich durch ihr Hausfrauen­dasein ihren Lebensunte­rhalt. Davon konnten die Vorbilder aus den 1950er-Jahren nur träumen.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany