Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mehr Vögel und Käfer dank Horst
Wasserbüffel haben aus einem sumpfigen Schilfgebiet im Allgäu eine offene Weidelandschaft gemacht. Für den Artenschutz am Argensee ist das ein Segen.
LEUTKIRCH - Horst kommt näher und näher. Neugierig streckt er sein Maul so weit nach vorn, dass man das Gefühl bekommt, man sollte jetzt besser einen Schritt zurücktreten. Schließlich ist Horst ein Schwergewicht, und man verärgert ihn besser nicht. Doch dann interessieren Horst doch bloß die Grashalme direkt am Weidezaun.
Horst ist ein Allgäuer, aber ein Neigschmeckter. In der Gegend, die vor allem für ihre Rindviecher berühmt ist, ist er ein Exot. Denn Horst ist ein Wasserbüffel. Seine Vorfahren stammen aus den rumänischen Karpaten. Doch seit 2007 leben einige dieser Tiere mit den markant geschwungenen Hörnern im Argenseeried bei Gebrazhofen, einem Teilort von Leutkirch.
Die Anwesenheit der gehörnten Rumänen ist ein Segen für eine Vielzahl anderer Tiere, vor allem für Vögel, aber auch für Käfer und andere Insekten. „Die Artenvielfalt ist größer geworden durch die Beweidung“, ist sich Thomas Beckers sicher. Der Biobauer bewirtschaftet die Flächen im Ried, neben den Büffeln grasen auf anderen Weiden auch Galloway- und Highland-Rinder. „Der Fladen eines Wasserbüffels hat so viele Käfer und Larven drin, davon kann ein Kiebitz sein Junges einen Tag lang ernähren“, erzählt Beckers.
Der Kiebitz gehört zu den Vögeln, die mit dem Wasserbüffel vermehrt den Weg ins Ried gefunden haben. Wurden im Jahr 2007, zu Beginn des Wasserbüffel-Projektes, noch 32 verschiedene Brutvogelarten in dem Gebiet gezählt, waren es sechs Jahre später bereits 55 Arten. Im selben Zeitraum kamen neue Pflanzenarten hinzu, die auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen – ihre Zahl stieg von 34 auf 54.
Die Daten hat das Landratsamt Ravensburg erhoben, das die Ansiedlung der Wasserbüffel angestoßen hat. Grund dafür war ausgerechnet der Straßenbau. Als in Gebrazhofen die Umgehungsstraße neu gebaut wurde, brauchte es Ausgleichsflächen, und mittelbar auch für den damals vollendeten Bau der nahen A 96, deren Verkehrslärm der Wind ins Ried herüberträgt. Deswegen ist für die Wasserbüffel kurioserweise das Straßenbauamt
des Landkreises mit zuständig. Dessen Mitarbeiter Franz Fugel erinnert sich noch, dass die Gegend bis 2007 ganz anders ausgesehen hat. „Vorher stand das Schilf hier vier Meter hoch, die Flächen waren fast nicht zugänglich.“Man habe über die Ansiedlung verschiedener Tierarten nachgedacht und sich dann für die Wasserbüffel entschieden. „Die ersten Tiere haben wir vom Steinhuder Meer in Norddeutschland geholt.“Das undurchdringliche Schilfdickicht wandelte sich unter den Hufen der Büffel in eine offene Weidelandschaft. Hier und da ragen Erlen und Birken aus dem Schilfgras empor.
Wie Schweine, mit denen sie genetisch näher verwandt sind als mit Rindern, bauen sich die Wasserbüffel Suhlen. An heißen Tagen kühlen sie sich darin ab. Landwirt Beckers weist auf eine solche Matschpfütze, sie hat einen Durchmesser von vielleicht zehn Metern. „Im Sommer ist da die ganze Familie drin“, berichtet er. Diese Suhlen wiederum sind ein Paradies für allerlei Larven, wie es sonst immer seltener zu finden ist. Das wiederum verschafft den Vögeln Nahrung.
Karin Wiesmann-Eberhardt, die im Bau- und Umweltamt des Landkreises für Weideprojekte zuständig ist, weist auf den Boden, der links und rechts des Wirtschaftsweges sofort sumpfig wird. In den offenen, feuchten Flächen guckt hier und da ein trockener Knubbel hervor, Bult genannt. „Das sind geschützte Plätze für Bodenbrüter“, erklärt sie. „Da geht der Fuchs nicht rein, weil’s ihm zu nass ist.“Und anders als auf vielen landwirtschaftlich genutzten Flächen muss ein Vogel hier auch nicht die Mähmaschine fürchten. Neben dem Kiebitz profitiert davon zum Beispiel die Bekassine. Beide
„Der Fladen eines Wasserbüffels hat so viele Larven und Käfer, davon kann ein Kiebitz sein Junges einen Tag lang ernähren.“
Thomas Beckers, Landwirt und Büffelhalter
gelten in Deutschland als bedrohte Art.
Vielleicht sind die Wasserbüffel in Zukunft auch Bewohner eines Biosphärenreservats. Die grünschwarze Landesregierung plant die Einrichtung eines solchen Schutzgebiets in Oberschwaben, es könnte neben dem Altdorfer Wald auch die Riedgebiete im württembergischen Allgäu umfassen. Womöglich auch das am Argensee? „Es würde auf jeden Fall dazu passen“, sagt Wiesmann-Eberhardt. „Aber da müssen wir abwarten, was kommt.“Bislang gibt es nur grobe Vorstellungen zur räumlichen Ausdehnung eines Biosphärenreservats. In jedem Fall wäre die landwirtschaftliche Nutzung, wie Biobauer Beckers sie betreibt, weiter möglich.
Der Erfolg der Wasserbüffel beim Einsatz für mehr Artenvielfalt spricht sich indes herum unter Naturschützern. Nicht nur am Argensee können Spaziergänger die mächtigen schwarzen Tiere beobachten, sondern beispielsweise auch am Pfrunger-Burgweiler Ried im Grenzgebiet der Landkreise Ravensburg und Sigmaringen, im südlichen Federseeried (Landkreis Biberach) oder am Altshauser Weiher (Landkreis Ravensburg).
Ginge es nach dem Albstädter Ornithologen Dieter Haas, dürfte der Anblick von Wasserbüffeln aber gerne noch viel alltäglicher werden. „Wir brauchen mehr Landschaftsgestaltung durch große Pflanzenfresser, wie die Evolution sie in den letzten 200 Millionen Jahren geprägt hat“, fordert der Naturschützer. „Dadurch würden wir erstens gefährdete Arten retten und zweitens für die Menschen das Naturerlebnis in der Landschaft steigern.“
Kürzlich hat Haas ein Buch über Bodensee-Vögel veröffentlicht („Die Vogelwelt am Bodensee – ein Kompendium“, Verlag Stadler). Darin widmet er ein eigenes Kapitel den „großen Pflanzenfressern“, also Büffeln, Galloways und auch Heckrindern – rückgezüchtete Rinder, die den früher in Mitteleuropa lebenden, ausgerotteten Auerochsen am nächsten kommen. Solche Tiere müssten häufiger und in extensiver Weidewirtschaft, auf sogenannten wilden Weiden, gehalten werden, fordert Haas. „Sonst kommt man bei der Biodiversität nicht weiter.“
Bei der naturnahen Beweidung sei Baden-Württemberg allerdings Schlusslicht, bedauert der Ornithologe, der auch im Naturschutzbund aktiv ist. Bayern sei da vor allem im Alpenraum schon etwas weiter. In Baden-Württemberg gebe es zwar Projekte zur extensiven Beweidung, die seien aber noch viel zu klein. „Die Regierung muss die Flächenprämien pro Hektar für Landwirte, die extensive Weidewirtschaft
betreiben, sehr stark anheben“, fordert Haas. „Das muss gefördert werden, sonst läuft das nicht.“
In die gleiche Stoßrichtung zielt der Verein „Naturnahe Weidelandschaften“mit Sitz in Tuttlingen. Der führt als Argument auf seiner Webseite unter anderem an: Naturnahe Weiden würden mehr Kohlenstoff speichern als Wald, darum würden sie ein „enormes Potenzial für den Klimaschutz“darstellen.
Viel Verantwortung also, die da auf den – zugegebenermaßen ziemlich breiten – Schultern von Horst und den anderen ArgenseeriedBüffeln lastet. Und nichts, womit der Nebenerwerbslandwirt Beckers ein großes Geschäft macht. „Ich sage immer, das ist ein schlecht bezahlter 450-Euro-Job“, erzählt der 45-Jährige, der neben seiner Landwirtschaft im Bauhof der Stadt Leutkirch schafft. „Wenn man nicht die Leidenschaft hat und vielleicht auch ein bisschen einen Spleen für so was, dann geht das nicht.“
Dabei kann er sich über mangelnde Nachfrage nach seinem Fleisch nicht beklagen. Höchstens ein Wasserbüffel wird im Jahr geschlachtet von einem Metzger aus Kißlegg, dazu vier bis acht Galloways und Highlander. Wenn es so weit ist, ändert er im Nachrichtendienst WhatsApp auf dem Handy seinen Status entsprechend, dann gibt es Filet, Rouladen, Gulasch, Burgerpatty, im Sommer Grillwurst, im Winter Landjäger, solange der Vorrat reicht. Viel Zeit bleibt den Interessenten meistens nicht.
Die Kunden haben sich inzwischen an das ausgefallene Fleischangebot gewöhnt, erzählt Beckers. Anfangs war das anders, da sei er noch belächelt worden. Das war aber nicht neu für ihn. Schließlich sind die Büffel nicht das erste ungewöhnliche Experiment, früher einmal habe seine Familie Stutenmilch verkauft. „Ich bin aufgewachsen damit, dass man die Beckers belächelt hat“, erzählt er. „Da war das gar nicht mehr so schlimm.“Inzwischen würden Büffelwurst und Galloway-Gulasch aber gut angenommen.
Unter den Wasserbüffeln ist Horst im Übrigen auch insofern eine Ausnahmeerscheinung, als seine Artgenossen mehrheitlich namenlos sind. Sie werden nach den letzten drei Nummern der Ohrmarke benannt. Ob es überhaupt so gut ist, den Tieren Namen zu geben, da ist sich Landwirt Beckers nicht sicher. Als Direktvermarkter esse er natürlich selbst das Fleich von seinen eigenen Tieren – und inzwischen kein anderes mehr. Aber beim ersten Wasserbüffelbullen vom Argenseeried sei ihm das nicht ganz leicht gefallen. „Der Gregor, der ist schon vier Wochen in der Gefriertruhe gelegen, bis man sich da drangetraut hat.“