Schwäbische Zeitung (Biberach)
Von der Lichtgestalt zum Schattenkanzler
Kurz ist nicht länger Österreichs Regierungschef – Er behält jedoch wichtige Ämter
WIEN – Die Rücktrittserklärung am Samstag ab 19.40 Uhr dehnt sich ziemlich. Sebastian Kurz erläutert da die eigenen Erfolge im Kampf gegen die Corona-Pandemie und für mehr Jobs in Österreich. Der Politiker von der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) spricht von einer drohenden „Pattsituation“, und dass es unverantwortlich wäre, „in Monate des Chaos und des Stillstands zu schlittern“. Die Korruptionsvorwürfe gegen ihn seien falsch, und er werde „das aufklären können“. Dennoch opfert sich der 35-Jährige aus seiner Sicht sozusagen, gibt das Amt des Bundeskanzlers auf, denn: „Mein Land ist mir wichtiger als meine Person.“Knapp sieben Minuten geht das.
So endet – zumindest vorläufig – die österreichische Regierungskrise. Nach Wiener Chaostagen haben sich Kurz und das weitere ÖVP-Spitzenpersonal darauf geeinigt, dass der bisherige Außenminister Alexander Schallenberg ins Kanzleramt rücken soll. Kurz indes bleibt weiterhin Parteivorsitzender und übernimmt auch zusätzlich und neu den Posten des ÖVP-Klubobmanns im Parlament – das ist der Fraktionsvorsitzende. Seit Januar 2020 regieren die Konservativen, die auch als die „Türkisen“bezeichnet werden, als stärkste Partei gemeinsam mit den Grünen.
Sebastian Kurz hätte die kommende Woche politisch wohl nicht überlebt. Der grüne Partner hatte den Rücktritt gefordert und den Austausch durch eine andere Person. Kurz sei „nicht mehr amtsfähig“, sagte die Fraktionschefin Sigrid Maurer. Die drei Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und die kleinen linksliberalen Neos wollten am Dienstag im Nationalrat, dem Parlament, ein Misstrauensvotum gegen den Kanzler stellen. Nach vielen internen Gesprächen und Verhandlungen – auch der grüne Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte Vertreter von allen Parteien zu sich zitiert – wurde klar, dass die Grünen Kurz bei der Abstimmung nicht unterstützen würden. Sie hätten sich enthalten oder auch gegen ihn gestimmt.
Durch den Personaltausch sind die Grünen erst einmal befriedet und wollen weiter mitregieren. Dies hat sich so gefügt, weil es keine machtpolitische Alternative gibt. Die SPÖ soll überlegt haben, mit den anderen beiden Oppositionsparteien und den Grünen über ein Vierer-Bündnis zu verhandeln, das ein „Arbeitsabkommen“als Regierungsgrundlage hätte. Da wären dann die Neos dabei gewesen, aber auch die rechtspopulistische FPÖ. Wie die drei eher links verorteten Parteien mit der FPÖ hätten zusammenkommen sollen, die in Teilen weiterhin offen für rechtsextremes Gedankengut ist, steht in den Sternen. Eine Alternative wäre eine überparteiliche sogenannte Expertenregierung gewesen, die jedoch lediglich verwaltet und keine politischen Impulse gesetzt hätte. Oder
Neuwahlen – dies wären aber die dritten in vier Jahren gewesen, niemand wollte gegenüber der Bevölkerung die eigene Unfähigkeit zum Regieren auf diese Weise zur Schau stellen.
Die Staatsanwaltschaft arbeitet sich gerade durch ein ganzes Sammelsurium an Vorwürfen gegen Kurz, die alle auf Bestechung hinauslaufen. Im Wesentlichen geht es um das Jahr 2016: Kurz war da noch Außenminister in einer Koalition mit den stärkeren Sozialdemokraten von der SPÖ, die den Bundeskanzler Christian Kern stellten. Es war aber klar, dass Kurz den ÖVP-Parteivorsitz und die Kanzlerschaft anstrebte.
Nach den Recherchen der Staatsanwaltschaft trachtete Kurz vor allem danach, den damaligen Vorsitzenden und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner abzusägen.
Dafür soll Kurz auch zu kriminellen Mitteln gegriffen haben. So besteht der Verdacht, dass über einen Freund im Finanzministerium Geld an die Zeitung „Österreich“geflossen war, damit diese im für Kurz positiven Sinn berichtete. Bezahlt worden sein soll mit Zeitungsanzeigen, die das Ministerium in dem Blatt belegte. Auch wird vermutet, dass ein Demoskopie-Institut Schmiergeld für Umfragen erhalten hat, deren Ergebnisse Kurz nützlich waren. Letztlich beförderte Kurz Mitterlehner ins Aus, wurde selbst Parteivorsitzender und gewann die Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 mit einem auf ihn zugeschnittenen Namen, der „Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei (ÖVP)“. Konservative in ganz Europa blickten auf ihn als neuen Leuchtstern.
Kurz wollte Solidität ausstrahlen. Doch in seinen vier Jahren Regierungszeit rumpelte es so gewaltig wie selten zuvor in der österreichischen Politik. Es kam schon zu insgesamt drei Wechseln. Zuerst ging er ein Bündnis mit der FPÖ und dem damals bei den Rechtspopulisten übermächtigen Heinz-Christian „HC“Strache ein. Dieses endete 18 Monate später unrühmlich mit Straches Ibiza-Video. Dieser und ein FPÖ-Kompagnon waren auf die Insel zu einem Gespräch mit einer angeblichen russischen Oligarchin gelockt worden. Diese gab vor, mit viel Geld und auf unlautere Weise die FPÖ unterstützen zu wollen, etwa mit dem Kauf des Boulevardblattes „KronenZeitung“für die Partei und verschiedene Bauaufträge. Das Ganze wurde heimlich gefilmt und gelangte dann an die Öffentlichkeit.
Daraufhin kam es zu Neuwahlen, bei denen die FPÖ abstürzte und Kurz nochmals zulegen konnte. Von 2013 bis 2019 steigerte Kurz das ÖVPErgebnis von 24 auf 37,5 Prozent. Er koalierte mit den Grünen.
In Wien geht jeder davon aus, dass Kurz nun aus seinen Positionen heraus weiter kräftig in der österreichischen Politik mitmischt. Und dass er etwas Zeit verstreichen lassen will, um selbst wieder nach ganz oben zu streben.