Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mit Sachwerten aus der Zwickmühle
Ein ausbalanciertes Aktiendepot kann als Inflationsschutz für das Vermögen dienen
STUTTGART - In Zeiten wie diesen, in denen die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Inflationsprognose für das Gesamtjahr von 1,9 auf 2,2 Prozent erhöht hat, fragen sich viele Anleger, wie sie ihr Geld denn nun anlegen sollen. Immerhin ist die Inflation in Deutschland im September bereits auf 4,1 Prozent gestiegen – ja, im Jahresverlauf erwartet die Bundesbank gar einen Anstieg „in Richtung fünf Prozent“. Drohen die Sparer also zwischen Minuszinsen für hohe Giroeinlagen und anziehender Teuerung zunehmend in eine Zwickmühle zu geraten?
Zumindest bei der Inflation dürfte es 2022 zu einer Entspannung kommen, denn sowohl die Notenbank als auch Wissenschaftler und Banker betrachten unisono den Höhenflug der Teuerungsrate als ein vorübergehendes Phänomen. Zum einen ist da der Anstieg der Mehrwertsteuer von 16 zurück auf 19 Prozent, der als Basiseffekt ab Januar 2022 nicht mehr sichtbar sein wird. Der zweite Effekt sind Lieferengpässe, wodurch Erzeugerpreise dramatisch gestiegen sind, was sich auch auf die Verbraucherpreise auswirkt. „Sobald die Lieferprobleme überwunden sind, wird auch dieser Preiseffekt auslaufen – voraussichtlich 2022“, erläutert Mario Peric, Bereichsvorstand bei der Commerzbank.
Hinzu kam der zuletzt gestiegene Rohölpreis, der sich 2020 etwa verdoppelt hatte und nach Erwartung des Instituts bei 75 Dollar bis Ende 2021 einpendeln dürfte. Ein bleibender Effekt wird die CO2-Steuer in Höhe von 25 Euro je Tonne sein, die die Verbraucher seit Januar 2021 auf Benzin, Heizöl und Gas bezahlen. Bis 2025 soll diese Abgabe noch auf 55 Euro je Tonne steigen.
Vor diesem Hintergrund rechnet die Commerzbank für 2022 mit einer
Inflation von 2,75 Prozent. Die Bethmann Bank erwartet hier 2,0 Prozent. „Aber das tiefe Niveau von vor der Pandemie werden wir nicht mehr erreichen“, sagt Gregor Frankenhauser, verantwortlich bei der Bethmann Bank für Kunden in Oberschwaben. Strukturelle Faktoren wie Demographie und Klimaschutz sprechen dann laut Commerzbank ab 2024 für strukturell höhere Inflation.
Den Weg aus der Zwickmühle zwischen Minuszins und Inflation weisen in den Augen vieler Banker Sachwerte wie insbesondere Aktien, aber auch Immobilien, Rohstoffe und mit Abstrichen Gold – „zumindest solange die Inflation nicht ausufert“, so Peric von der Commerzbank. „Ein gut diversifiziertes Portfolio kann gegen nahezu alle Unwägbarkeiten einen gewissen
Schutz bieten“, sagt Jens-Oliver Niklasch, Analyst des LBBW Research. Klar, müsse man dabei auch Risiken in Kauf nehmen, damit sich überhaupt Renditechancen eröffnen. Dazu zählt Niklasch eben auch Investitionen in Aktien, die in Deutschland immer noch zu den „ungeliebten Kindern der Anleger“gehörten. Um aber einen langfristigen Vermögensaufbau zu entwickeln, komme man um diese Assetklasse nicht herum, macht er klar.
„Es geht bei einem gut strukturierten Depot darum auf Branchen zu setzen, die mit Inflation umgehen können“, macht Frankenhauser von der Bethmann Bank klar. Was er damit meint, sind starke Marken insbesondere im hochwertigen Konsumgüterbereich, aber auch Industriewerte, die über eine gewisse Preissetzungsmacht und ein nachhaltiges Geschäftsmodell verfügen. „Unternehmen mit wenig austauschbaren Produkten sind gefragt“, so Frankenhauser. Eine aktive Selektion von
Einzeltiteln im Depot könne hier eine ganze Menge bringen, das sei eben der Job eines guten Vermögensverwalters. Auch inflationsgeschützte oder inflationsindexierte Anleihen können laut Frankenhauser ein Teil der Lösung sein.
Wenn es ohnehin keine Zinsen gibt, denken viele Anleger über den Kauf von Goldbarren oder -münzen nach. Zwar zählt das gelbe Edelmetall auch zu den Sachwerten, löst es aber bei den befragten Anlage-Experten keine Euphorie aus. Es spreche zwar nichts gegen eine fünfprozentige Beimischung von Gold, sagt Frankenhauser, aber zum Aufbau eines inflationsgeschützten Depots sei das Edelmetall nicht zwingend notwendig. „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Gold im Preis schwanken kann“, meint dazu Niklasch vom LBBW Research. Im Gegensatz zu einer Anlage mit Nominalwert weiß man beim Gold eben nie, zu welchem Preis man wieder verkaufen kann.