Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die Kinder-Fürsprecherin
Susanne Saiger unterstützt Kita-Kinder in Warthausen – Welche Fehler viele Eltern machen
WARTHAUSEN - Um Kinder mit Behinderung zu unterstützen, gibt es in vielen Kindergärten mittlerweile eigene Fachkräfte. In Warthausen wurde dafür bereits vor fünf Jahren eine dauerhafte Stelle geschaffen. Die Erfolge dieses Modells zahlen sich heute aus. Doch die Heilpädagogin Susanne Saiger ist auch besorgt über die Entwicklung mancher Kinder – und das Verhalten ihrer Eltern.
Kleine Erfolgsgeschichten im Kindergartenalltag hat Susanne Saiger viele erlebt. Als vor drei Jahren ein Mädchen in die Kita kam, fiel Saiger auf, dass das Mädchen Defizite hatte. „Sie sprach sehr undeutlich und mit drei Jahren oft nur Ein-Wort-Sätze“, erzählt Saiger. Zunächst dachten die Erzieherinnen, das Mädchen habe lediglich Sprachprobleme. „Doch dann fiel uns auf, dass sich dieses Defizit auch auf andere Bereich auswirkte.“
Gemeinsam mit den Eltern überlegte die Heilpädagogin, wo der richtige Ort für das Mädchen wäre. Sie habe sich dafür stark gemacht, das Mädchen in der Regelgruppe zu lassen – aber besonders zu fördern. Das war auch der Wunsch der Eltern. Mit individueller Förderung sei es schließlich gelungen, das Mädchen in seiner Entwicklung voranzubringen. „Jetzt deutet alles darauf hin, dass sie am Ende der Kindergartenzeit auf die Regelschule gehen kann“, erzählt Saiger.
Doch solche Fortschritte sind keineswegs selbstverständlich. Zwar gibt es an vielen Kindergärten inzwischen Fachkräfte zur Integration. Diese werden allerdings nur mit einem Honorarsatz bezahlt, wenn bei einem Kind auch tatsächlich körperliche, geistige oder seelische Behinderungen vorliegen oder „drohen“, wie es im Gesetzestext heißt. Diese Fachkräfte sind aber eng an das Kind gebunden und arbeiten oft nur stundenweise. Saiger hingegen hat eine 60-Prozent-Stelle und betreut die Einrichtungen in Warthausen, Oberhöfen und Birkenhard.
Vor allem aber hat sie auch ein Augenmerk auf Kinder, die in ihrer Entwicklung hinterherhinken, sich im Kindergartenalltag schwertun oder gezielt Unterstützung brauchen – ohne gleich Anzeichen einer Behinderung aufzuzeigen. So habe sie zum Beispiel erlebt, dass Kinder beißen, weil sie sich sprachlich nicht gut ausdrücken können. Sich zum Beispiel
Lieder oder Reime schlecht merken können. Oder im Spiel nur schwer mit anderen Kindern kooperieren können.
Diese Form der Hilfe für Kindergarteninder ohne explizite Behinderung sei außergewöhnlich im Landkreis, erzählt Saiger. Auch sie bekommt eine Honorarförderung in Höhe von 460 Euro vom Land für jedes Kind mit Behinderung, das sie betreut. Zusätzlich aber zahlt die Gemeinde die Differenz zu ihrem Gehalt als Heilpädagogin.
Aufgrund ihrer Erfahrung und ihrer Ausbildung bringt die 54-Jährige einen neuen Blick in die Kindergartenarbeit ein. Wenn sich Kinder schwertun, habe sie auch schon von Erzieherinnen den Satz gehört: „Das Kind ist hier falsch in der Einrichtung.“Saiger aber vertritt die Haltung: „Kein Kind ist hier falsch. Wenn es mit einem Kind nicht auf Anhieb klappt, müssen wir uns vielleicht verändern.“In Kleingruppen bietet sie die Möglichkeit, ganz individuell auf die Schwächen der Kleinsten einzugehen. Die Pädagogin tritt dabei aber nicht wie eine strenge Nachhilfelehrerin auf, sondern geht die Herausforderungen mit den Kindern spielerisch an. „Das Spiel ist für Kinder das
Allerwichtigste. Und dabei sollten sie auch nicht ständig unterbrochen werden.“Für Vorschulkinder allerdings dürfen es auch mal etwas verschultere Aufgaben sein. „Da kann man auch mal erwarten, dass die Kinder 15 Minuten ruhig sitzen bleiben.“
Ein Unterschied zu den Erzieherinnen ist entscheidend: Saiger hat wenig Verwaltungsaufgaben zu erledigen. „Ich kann mir wirklich die Zeit für die Kinder nehmen. Und alleine die ungeteilte Aufmerksamkeit für die Kinder zeigt oft Wirkung.“
Der Umgang der Kinder untereinander sei oft „sehr unkompliziert“. Schwieriger sei es, für manche Eltern zu akzeptieren, dass ihr Kind besonderen Förderbedarf hat. „Andere wiederum sind sehr dankbar.“
Bei jeder Entscheidung sei es ihr wichtig, die Eltern mit ins Boot zu holen. Zugleich beobachte sie aber auch, dass manche Eltern ihren Kindern helfen wollen, es ihnen damit aber unnötig schwer machen. „Ich muss als Eltern nicht alles mit meinem Kind ausdiskutieren“, empfiehlt die Pädagogin. „Das Kind kann vielleicht wählen, ob es einen grünen oder einen roten Pullover anzieht. Aber die Eltern bestimmen, ob es einen Pullover trägt.“Nur wenn die Eltern
klare Regeln und Rahmen vorgeben, fühlten sich die Kinder sicher und geborgen. Dazu gehöre auch, dass die Kinder ihre Bedürfnisse manchmal für kurze Zeit aufschieben müssen. „Wenn ich beim Essen bin, kann das Kind auch warten, bis ich fertig bin.“Ebenso sei es wichtig, dem Kind klare Botschaften zu übermitteln. „Zu sagen, ,lieber Leo, lass das doch bitte sein.’ –und dazu ein Lächeln aufzusetzen, ist widersprüchlich.“Stattdessen sollten die Eltern klar und prägnant kommunizieren.
Die Folgen dieser Erziehung ohne klare Regeln erlebe sie immer wieder in den Kindergärten. „Die Ich-Bezogenheit vieler Eltern und ihrer Kinder macht mir schon Sorgen“, sagt sie. „Selbst wenn wir es können, sollten wir unseren Kindern nicht alle Stolpersteine aus dem Weg räumen.“
Zugleich aber sei es wichtig, Zeit mit den Kindern zu verbringen. Diese Möglichkeit zu haben, empfinde sie als Luxus. „Die Bedingungen hier in Warthausen sind wirklich super.“Von der individuellen Förderung profitierten zunächst natürlich die Kinder mit erhöhtem Bedarf. Am Ende aber – davon ist Saiger überzeugten – sei es immer ein Gewinn für die ganze Gruppe.