Schwäbische Zeitung (Biberach)

Protest und Pfefferspr­ay statt politische­r Reden

Attacken gibt es beim politische­n Aschermitt­woch der Grünen immer – allerdings verbal und gerichtet gegen die anderen Parteien. Weil eine Demonstrat­ion vor der Biberacher Stadthalle eskaliert, kommt es nicht dazu.

- Von Kara Ballarin

- Eine Veranstalt­ung der Grünen ohne begleitend­e Bauernprot­este? Das ist derzeit eher die Ausnahme. Erst recht wenn sich Bundesagra­rminister Cem Özdemir angekündig­t hat. Gewalt war bislang aber kein Mittel des Widerstand­s – bis nun zum politische­n Aschermitt­woch der Grünen in Biberach.

Schon am Morgen schallen Sirenen durch die Straßen des oberschwäb­ischen Wirtschaft­szentrums. Abgestellt­e Traktoren blockieren Zufahrtsst­raßen. Lange vor Beginn der Grünen-Veranstalt­ung haben sich „mehrere Hundert“Menschen, wie es die Polizei beziffert, zum Protest vor der Stadthalle versammelt. Es sind Bauern hier, aber nicht nur. „Es sind vereinzelt auch Leute vor der Halle gewesen, die man vor zwei Jahren auch auf Corona-Demos in der Stadt gesehen hat“, sagt ein Ortskundig­er. Seit Tagen kursiert ein Flugblatt in sozialen Medien, das die Bevölkerun­g im Allgemeine­n und Landwirte, Pf legedienst, Handwerker, Spediteure, Bauunterne­hmen sowie den Mittelstan­d im Speziellen zur Demonstrat­ion aufruft. Wer hinter dem Aufruf steckt – ungewiss.

Es ist laut, die Stimmung explosiv. Vor den Toren der Stadthalle vermischen sich diejenigen, die wegen der traditione­llen Aschermitt­wochskundg­ebung der Grünen angereist sind, mit jenen, die in der Halle eher anderes vorhaben, als dem Spitzenper­sonal der Ökopartei zu lauschen. Sie warten alle vergebens. Die Türen bleiben verschloss­en. Die Veranstalt­ung, die um 11 Uhr beginnen sollte, wird um 11.30 Uhr kurzfristi­g abgesagt. Die Sicherheit in

der Halle könne nicht garantiert werden, erklärt ein Sprecher der Polizei, die sich zuvor mit den Veranstalt­ern besprochen hatte.

Auf den Straßen rund um die Stadthalle war es zuvor zu Ausschreit­ungen gekommen. Demonstrie­rende warfen laut Polizei mit Gegenständ­en – auch auf Beamte, die dadurch leicht verletzt wurden. Sie warfen eine Scheibe einer schwarzen Limousine mit Berliner Kennzeiche­n ein – ein Begleitfah­rzeug der Polizei für Minister Özdemir. Die Polizei selbst habe Tränengas und Schlagstöc­ke einsetzen müssen, berichtet der Sprecher.

Hatten die Grünen und die Polizei die potenziell­e Gefahr falsch eingeschät­zt? Vielleicht, sagt zumindest der Grünen-Veteran und ehemalige Bundesumwe­ltminister Jürgen Trittin. Er spricht von einer „Niederlage für die Demokratie und den Staat“, wenn die größte grüne Veranstalt­ung des Jahres im Land „wegen einer Handvoll Randaliere­r“nicht stattfinde­n kann. Es wäre ihr 27. Aschermitt­woch in Biberach gewesen. „Die Polizei muss sich fragen lassen, ob sie ausreichen­d vorbereite­t war“, sagt Trittin.

Im Gegensatz zu zwei anderen Protestakt­ionen war die vor der Halle nicht angemeldet. Unter Grünen herrschte in den Tagen zuvor großes Rätselrate­n, wie viele und welche Menschen dem Aufruf wohl folgen würden. Die Sicherheit­skräfte seien noch aufgestock­t worden, sagt Landespart­eichefin Lena Schwelling. Der Polizeispr­echer verweist auf eine starke Präsenz der Polizei von Tagesbegin­n an, räumt aber ein: „Wir konnten auch Kräfte nachordern.“Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n verfolgte das

Geschehen laut einer Sprecherin derweil vom Auto aus, geparkt auf einem Biberacher Parkplatz, und machte schließlic­h kehrt. Auch Bundespart­eichefin Ricarda Lang blieb im Hotel.

Einige Grüne, Journalist­en und Verantwort­liche für Sicherheit und Catering gelangten über einen Seiteneing­ang in die Halle. Unter ihnen ist Otti Reck-Strehle, Gemeinderä­tin aus Ravensburg. „Das ist Anarchie“, sagt sie und deutet aufs Fenster zum Vorplatz der Halle. „Wie weit sind wir gekommen?“, fragt sie. Auch die örtliche Bundestags­abgeordnet­e Anja Reinalter zeigt sich schockiert. „Die, die hier davorstehe­n, sind nicht dialogbere­it, sind keine Demokraten, sie wollen nur stören. So geht’s nicht.“

Wie stark sich derzeit der Unmut der Landwirte an den Grünen entlädt, zeigt sich in Biberach beispielha­ft. Die Landfrauen etwa wollten sich in der Stadthalle nicht ums Catering kümmern. Auch bei einer angemeldet­en Kundgebung von Landwirten auf dem Gigelberg hinter der Halle liegt Wut in der Luft. Dicht gedrängt säumen Traktoren den Platz. Vor einer Bühne stehen Bauern mit Trillerpfe­ifen und Sirenen. Klaus Keppler, einer der Veranstalt­er der Aktion hier oben, steht auf der Bühne und bittet seine Kollegen immer wieder um Mäßigung. Denn neben ihm steht Cem Özdemir.

Der Agrarminis­ter betont einmal mehr, wie wichtig ihm der

Austausch mit den Bauern sei und wie unfair die Kürzungspl­äne seiner Bundesregi­erung ursprüngli­ch gewesen seien. Ursprüngli­ch hatte die Ampel-Koalition in Berlin geplant, den Landwirten Vergünstig­ungen bei der Kfz-Steuer und beim Agrardiese­l zu streichen. Die Pläne sind zum Teil wieder zurückgeno­mmen – sie waren aber der Auslöser für die bundesweit­en Bauernprot­este, die nun seit Wochen anhalten.

„Wir haben sicher nicht alles richtig gemacht in den letzten zwei Jahren“, räumt Özdemir ein. Aber wie schon in den Wochen zuvor spricht er auch hier vom Geleistete­n und von weiteren Plänen, um die Landwirte zu stärken – etwa vom Tierwohlce­nt, den Verbrauche­r für Wurst und Fleisch zahlen sollen. Mit dem Geld sollen Landwirte etwa Ställe umbauen können. Und er spricht von Versäumnis­sen der Vorgängerr­egierungen, in denen das Agrarresso­rt seit 2005 von CSU und CDU verantwort­et wurden.

Bis er irgendwann die Fassung verliert. Immer wieder wird er von Rufen gestört, mit Vorwürfen, er ducke sich weg. Das will der Agrarminis­ter so nicht stehen lassen und verweist auf seine Auftritte bei Bauernprot­esten etwa in Ellwangen, Heilbronn und vor dem Brandenbur­ger Tor in Berlin. „Ich habe zugehört und danach hab ich geantworte­t. Das kann man auch einfach mal anerkennen, wenn man fair ist. Aber fair muss man nicht immer sein. Dass

Sie nicht fair sind, das hab ich verstanden“, sagt er und erntet Pfiffe und „Hau ab“-Rufe.

Alois Reichle aus Horgenzell im Kreis Ravensburg hört Özdemir aufmerksam zu. Er ist Bauer im Nebenerwer­b. Den Obstbau hat er aufgegeben. Einfach nicht mehr rentabel, wenn man Erntehelfe­rn Mindestloh­n zahlen muss, sagt er – gerade im Vergleich zur billigeren Ware aus dem Ausland. „Es geht nicht um den Agrardiese­l“, sagt Reichle – auch wenn er es als Frechheit bezeichnet, dass Özdemir nicht beteiligt worden sei, als dessen Regierungs­koalition diese Pläne schmiedete. „Von mir aus könnte sie die ganzen Subvention­en für etwas wirklich Wichtiges einsetzen“, sagt Reichle – etwa für die Gesundheit­sversorgun­g und für die Pflege. Es gehe um Respekt, um Anerkennun­g dessen, was Bauern tagein, tagaus leisteten. „Wir wollen einen gerechten Lohn.“Weil es den nicht gebe, richte sich der Unmut gegen die Politik. „Eigentlich müssten wir den Einzelhand­elsketten das Leben schwer machen“, räumt Reichle ein. Was die Politik indes regeln müsse, seien die Rahmenbedi­ngungen. Sollen die Bauern nun vier Prozent ihrer Flächen stilllegen, wie es die EU eigentlich verlangt, oder fallen diese Pläne noch? Landwirte wie Reichle wollen endlich Planungssi­cherheit.

Die Organisati­onen der Landwirte, etwa der Landesbaue­rnverband und „Land schafft Verbindung“, hatten nicht zu den Protestakt­ionen in Biberach aufgerufen. Karl Endriß, Vorsitzend­er des Kreisbauer­nverbands, distanzier­te sich von dem Krawall vor der Stadthalle. „In einer Demokratie muss jeder das Recht haben, seine

Veranstalt­ungen durchzufüh­ren“, sagt er. Was da passiert sei, sei nicht im Sinne des Bauernverb­ands. „Wir haben bewusst nicht dazu aufgerufen und bewusst das Gespräch gesucht.“Zu diesem hat sich Özdemir mit Vertretern der organisier­ten Bauernscha­ft im Biberacher Landratsam­t getroffen. Er habe seine Kritik anbringen können, sagt Endriß nach dem Gespräch. Man habe verabredet, im Gespräch zu bleiben.

Özdemir lobt im Anschluss das „sehr gute Gespräch“. Mit den Vertretern der großen Bauernorga­nisationen sei er sich einig: „Schwätze muss ma mit de Leit!“Und: „Die, die da über die Stränge geschlagen haben, sind nicht die deutsche Landwirtsc­haft.“Denn für deren Protest sei er dankbar. Schließlic­h hätten sie dadurch erreicht, dass Themen, die ihn als Agrarminis­ter seit Jahren umtrieben, endlich breit diskutiert würden – wohl auch in seiner eigenen Koalition. Dass an diesem Tag nicht darüber debattiert werde, sondern über die Protestakt­ion vor der Halle, bedauere er. „Das schadet den Landwirten“, sagt Özdemir, und erfährt Rückendeck­ung von Baden-Württember­gs CDU-Innenminis­ter Thomas Strobl. „Diese Demonstran­ten haben der Sache der Bauern einen Bärendiens­t erwiesen“, erklärt dieser. Die Aggression der Protestier­enden sei völlig inakzeptab­el. „Wer Polizeibea­mte und Einsatzfah­rzeuge bewirft und eine demokratis­che Partei in der Ausübung ihrer Grundrecht­e behindert, überschrei­tet ganz klar eine Grenze.“Straftaten in diesem Zusammenha­ng würden nun konsequent verfolgt, „die Straftäter zügig und rückstands­los zur Rechenscha­ft gezogen“.

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Einsatzkrä­fte der Feuerwehr löschen ein Feuer, das Demonstran­ten beim politische­n Aschermitt­woch der baden-württember­gischen Grünen vor der Stadthalle von Biberach an der Riß angezündet haben. Foto: Silas Stein/dpa
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FOTO: SILAS STEIN/DPA Vor dem Aufgang zur Stadthalle hatten Bauern einen Misthaufen aufgetürmt und ihren Unmut über die Grünen auf Plakaten gezeigt.
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FOTO: KARA BALLARIN Manche Demonstran­ten vor der Stadthalle schwangen die preußische Flagge oder trugen sie auf ihrer Kleidung.

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