Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wenn Pflege zum Luxus wird

Die Kosten für einen Platz im Pflegeheim explodiere­n

- Von Anna Berger

- Der Selbstkost­enanteil für einen Platz im Pf legeheim liegt rund 1000 Euro über der Durchschni­ttsrente in Deutschlan­d. Wie geht das zusammen? Und wie sollte der Staat angesichts der alternden Gesellscha­ft auf dieses Problem reagieren? Das sagen Betroffene, eine Pf legeheim-Leiterin und das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium dazu.

Im Bundesschn­itt müssen Pf legebedürf­tige laut einer aktuellen Untersuchu­ng des Verbands der Ersatzkass­en 2576 Euro für einen Platz im Pflegeheim aus der eigenen Tasche zahlen. Die durchschni­ttliche Bruttorent­e betrug hingegen nach Angaben der Deutschen Rentenvers­icherung zum Jahresende 2022 gerade einmal 1550 Euro – bei mindestens 35 Versicheru­ngsjahren. Für Volker Doss aus Laupheim ist klar: „Das System fährt sich an die Wand.“Er findet, dass die Pflege in der Finanzieru­ng aktualisie­rt werden muss.

Seit knapp zwei Jahren lebt seine 80-jährige Schwiegerm­utter im Seniorenze­ntrum Hospital zum Heiligen Geist in Laupheim. Rund 3000 Euro zahlt die Familie derzeit monatlich für den Platz. Glückliche­rweise habe der Schwiegerv­ater eine überdurchs­chnittlich hohe Rente und Doss und seine Frau Alexandra seien in der Lage, den 87-Jährigen zu unterstütz­en. „Aber wo soll das hinführen?“, fragt der Technische Redakteur.

In Deutschlan­d werden laut dem Statistisc­hen Bundesamt vier von fünf Pflegebedü­rftigen zu Hause versorgt. In der Regel übernehmen Angehörige die Pf lege. Dabei erhalten sie oftmals Unterstütz­ung von einem ambulanten Pflegedien­st.

Für das Ehepaar Doss wäre das keine Option. Die Mutter von Alexandra Doss leidet an Demenz und muss nach Angabe der Angehörige­n rund um die Uhr betreut werden. „Wenn meine Frau das machen würde, wäre das am Ende schlecht für den Staat und sie selbst“, sagt Volker Doss im Hinblick darauf, dass seine Frau dann weder Steuern zahlen noch Entgeltpun­kte bei der Rente sammeln würde. Auch im Hinblick auf den Fachkräfte­mangel hält er es nicht für sinnvoll, dass Alexandra Doss, die als Sachbearbe­iterin im Accounting arbeitet, die Pflege ihrer Mutter übernimmt. „Abgesehen davon könnte ich das auch gar nicht“, sagt Alexandra Doss selbst und fügt hinzu: „Ich habe größten Respekt davor, was die Menschen in der Altenpfleg­e leisten.“

Darum waren sie und ihr Mann auch sehr erleichter­t, als sie für ihre Mutter einen Platz im Pf legeheim fanden – „und dann auch noch direkt in Laupheim“, betont Alexandra Doss. Mehr als 40 Pf legeheime hätten sie damals abtelefoni­ert. „Da ist man dann erst mal einfach nur froh, wenn man einen Platz hat.“

Zunächst hatte das Ehepaar Doss auch geglaubt, die Kosten zusammen mit dem Vater von Alexandra Doss gut schultern zu können. Als die demenzkran­ke Frau ihr Zimmer im Seniorenze­ntrum in Laupheim im August 2022 bezog, betrug der Eigenantei­l für den Platz bei Pflegegrad drei etwas mehr als 2800 Euro. Das Ehepaar Doss hatte damit gerechnet, dass dieser Betrag durch das Pflegeunte­rstützungs- und Entlastung­sgesetz schrittwei­se sinken würde. Neben einer festen Pflegeverg­ütung abhängig vom

jeweiligen Pf legegrad (aktuell 1262 Euro bei Pf legegrad drei) gibt es demnach Zuschüsse zum Eigenantei­l von der Pflegevers­icherung. Diese steigen mit der Aufenthalt­sdauer. In den ersten zwölf Monaten verringert sich der Eigenantei­l an den Pf legekosten um 15 Prozent, im zweiten Jahr um 30 Prozent, im dritten um 50 Prozent und im vierten (und allen folgenden Jahren) um 75 Prozent.

Das Problem ist nur: Bisher ist die finanziell­e Entlastung bei Familie Doss nicht angekommen, weil seit dem Einzug der demenzkran­ken Frau die Kosten für den Platz im Pf legeheim explodiert sind. Nach einer Erhöhung im März 2023 um rund 6,7 Prozent stiegen sie erneut zum 1. April dieses Jahres um mehr als 11 Prozent. Volker Doss drückt es so aus: „Die Kostenentw­icklung hat dazu

geführt, dass der Rabatt aufgefress­en wird.“

Grund dafür sind nicht nur die gestiegene­n Kosten für Pf lege und Betreuung. Auch bei Unterkunft und Verpf legung sowie der Umlage für die Altenpf legeausbil­dung gab es seit Sommer 2022 empfindlic­he Erhöhungen. Dem Ehepaar Doss liegt es fern, dem Laupheimer Seniorenze­ntrum dafür die Schuld zu geben. Doch sie fragen sich, wie es mit den Preissteig­erungen weitergeht und ob sie die finanziell­e Belastung auf Langsicht aushalten. „Was hier passiert, ist nichts anderes als ein finanziell­es Ausbluten von Menschen, die ehrenwert ihrem Beruf nachgegang­en sind und was gespart haben“, ärgert sich Volker Doss mit Verweis auf seinen Schwiegerv­ater, der immer sparsam gelebt habe. Denn klar ist auch: Reicht das Vermögen

eines Heimbewohn­ers nicht aus, wird der Staat zur Kasse gebeten. Bei Familie Doss ist das nicht der Fall. Doch sie machen sich Gedanken um das Elternhaus von Alexandra Doss, in dem der 87-jährige Vater der Laupheimer­in nach wie vor weitgehend eigenständ­ig lebt.

„Altenpfleg­e ist knapp gestrickt“, sagt Bettina Michelis (Foto: Seniorenze­ntrum), die das Seniorenze­ntrum in Laupheim seit dreieinhal­b Jahren leitet. „Die Decke ist immer zu kurz. Decke ich mir die Füße zu, friere ich an den Schultern und umgekehrt.“

Tariferhöh­ungen in der Altenpfleg­e, aber auch gestiegene Lebensmitt­el-, Energie- und Sachkosten haben es laut Michelis nötig gemacht, das Entgelt für die Leistungen des Pf legeheims anzuheben. „Pflegeheim­e agieren an der Grenze der finanziell­en Belastbark­eit“,

sagt sie. „Wir sind ja keine Unternehme­n, die Bereiche abstoßen können, die nicht rentabel sind.“Schwierig findet sie allerdings, dass sie die Preissteig­erungen an die Angehörige­n weitergebe­n muss. „Ich weiß, wie schwierig es für viele Betroffene und deren Angehörige ist, das zu finanziere­n.“Und sie weiß auch: „Es gibt mehr Leute, die Hilfe zur Pf lege beantragen, als man denkt.“

Als Problem sieht Michelis zudem, dass immer mehr Pf legeheime in die Insolvenz rutschen. Das liegt laut der Pf legeheim-Leiterin auch am Fachkräfte­mangel. „Wenn das Haus halb leer ist, weil das Personal fehlt, dann funktionie­rt es nicht. Das Haus kostet ja trotzdem weiter Geld.“Michelis findet: „Es muss mehr Geld in die Pf legekasse.“

Tatsächlic­h drängen Sozialverb­ände und Gewerkscha­ften seit einiger Zeit auf die Einführung einer Pf legevollve­rsicherung, die alle pf legebeding­ten Kosten übernimmt – und scheinen damit einen Nerv in der Gesellscha­ft zu treffen. In einer Umfrage des Bündnisses für eine solidarisc­he Pf legevollve­rsicherung aus dem vergangene­n Jahr gaben jedenfalls 81 Prozent der Befragten an, eine Ausweitung der Pf legeversic­herung in eine solche Pf legevollve­rsicherung zu befürworte­n.

Auch die Politik hat auf die gestiegene­n Kosten in der Pf lege reagiert. Bis Ende Mai soll eine interminis­terielle Arbeitsgru­ppe unter Leitung des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums Empfehlung­en für eine langfristi­ge Finanzieru­ng der Pflegevers­icherung erarbeiten. Dabei soll auch eine Ergänzung der sozialen Pflegevers­icherung um eine freiwillig­e, paritätisc­h finanziert­e Vollversic­herung geprüft werden, wie eine Presserefe­rentin des Gesundheit­sministeri­ums auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mitteilt.

Bettina Michelis vom Laupheimer Seniorenze­ntrum würde die Einführung einer Pf legevollve­rsicherung jedenfalls begrüßen: „Da muss tatsächlic­h ein Systemwech­sel her.“

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Mehr als 2500 Euro müssen Heimbewohn­er im Bundesschn­itt für ihrem Platz im Pflegeheim aus eigener Tasche beisteuern.
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Die Leiterin des Seniorenze­ntrums, Bettina Michelis. FOTO: SENIORENZE­NTRUM LAUPHEIM

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