Erdogan-Gegner auf dem Münsterplatz
Zahlreiche Ulmer Vereine sagen „Nein“zum Verfassungsreferendum in der Türkei
ULM - „Nein zur Diktatur in der Türkei“oder einfach nur „Hayir – Nein“ist auf den Plakaten zu lesen, die am Samstag auf dem Münsterplatz bei einer Demonstration zu sehen waren. Grünen-Chef Cem Özdemir startete zuvor einen medialen Wahlaufruf an abstimmungsberechtigte Türken in Deutschland, beim Referendum zur Verfassungsänderung in der Türkei mit „Nein“zu stimmen.
In Ulm hatte sich die Nachricht von einem „Hayir-Miting“(„Nein“Meeting) am Samstagnachmittag am Stadthaus über soziale Medien verbreitet.
Verschiedene Mitglieder von türkischen und deutschen Vereinen und Verbänden, die aber gezielt unabhängig als Personen und nicht in ihrer politischen Funktion auftraten wie Veranstalter Hüseyin Gülhan sagt - versammelten sich zu einer Kampagne, um noch unentschlossene Türken zu einem „Nein“zum Referendum zu motivieren. Fahnen, Flaggen und Symbole der Verbände sollten bewusst außen vor bleiben, woran sich die Teilnehmer der Kampagne hielten. Die Veranstaltung blieb nach Polizeiangaben friedlich. Ein von Sicherheitskräften befürchtetes Aufeinandertreffen von Erdogan-Befürwortern und ErdoganGegnern blieb aus. Die Zugkraft der Veranstaltung hielt sich angesichts der großen türkischen Community allerdings in Grenzen. Eine zahlenmäßige Schätzung wollte die Polizei nicht abgeben, doch mehr als 100 Teilnehmer waren es wohl nicht.
In Deutschland unterstützen verschiedene türkische und deutsche Gruppierungen die Kampagne, darunter der internationalistische Jugendblock, die Internationalistische Liste/MLPD und die Linken. Bei der Ulmer Veranstaltung reihten sich auch Eva-Maria Glathe-Braun, Sprecherin der Linken in Ulm, und SPDStadtrat Haydar Süslü unter die Teilnehmer, die mit „Hayir“-Gesängen zu türkischer Musik und mit Grußworten – teils in türkischer, teils in deutscher Sprache – ihre türkischen Mitbürger zu einer Absage an die Verfassungsänderung motivieren möchten. Aus türkischen Verbänden und Vereinen kamen Mitglieder unter anderem der DIDF (Föderation türkischer Arbeitervereine), von HDB (Verein für türkisch-deutsche Kultur- und Bildungsarbeit) und AKM (Alevitische Gemeinde). Die Demonstranten, die teilweise orangefarbene Westen mit dem Aufdruck „Hayir“trugen, riefen mit ebenfalls orangefarbenen Plakaten und mit Pappschildern zum „Nein!“auf.
„Wir wollen zeigen, dass es in Deutschland nicht nur Anhänger von Erdogan gibt“, sagte Veranstalter Hüseyin Gülhan. Stadtrat Süslü nannte Argumente für ein „Nein“zum Referendum, darunter vor allem jenes, dass das angestrebte System die Gewaltenteilung aufhebe und die Macht in den Händen Erdogans zentralisiere, der jederzeit das Parlament auflösen und Neuwahlen anordnen könne und den Ausnahmezustand ohne Zustimmung des Parlaments ausrufen skönne. Mit einem „ja“zum Referendum seien jede Kontrolle von Erdogans Entscheidungen und jede Instanz aufgehoben, seine Politik zu kritisieren.
In seiner Einschätzung zum Ausgang des Referendums wolle er vorsichtig sein, sagte Veranstaltungsbesucher Atilla Cansever. Er vermute, dass sich die Zahl der Stimmen für und gegen das Referendum in etwa die Waage halten werden, zumal sich sogar Teile der Grauen Wölfe dahingehend äußern würden, gegen Erdogans Wunsch nach einer Verfassungsänderung zu stimmen. Als „Graue Wölfe“bezeichnen sich in der Türkei die Mitglieder der rechtsextremen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP).
Cansever berichtet, dass der im Herbst verhaftete Schriftsteller Aydin Engin, der Stückeschreiber des Theaters Ulüm, nun aus Altersgründen wieder freigelassen sei, aber nicht ausreisen dürfe, obwohl er einen türkischen und einen deutschen Pass hat.
Aydin Engin hatte versichert, weder der in der Türkei wie auch in Deutschland als terroristische Vereinigung eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK noch der GülenBewegung anzugehören. Doch er ist ein kritischer Geist, der immer wieder beklagt, dass die Türkei kein Rechtsstaat mehr sei. Konkret geriet offenbar wegen einer seiner wöchentlichen Kolumnen in der oppositionellen Zeitung Cumhuriyet ins Visier des Präsidenten.