Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Steht auf und artikulier­t euch!“

Heute demonstrie­ren weltweit Wissenscha­ftler beim „March for Science“– Ranga Yogeshwar appelliert an Forscher, sich zu engagieren

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Der Klimawande­l eine Lüge? Die Evolution eine Erfindung? Forscher werden immer häufiger der „Lügenwisse­nschaft“bezichtigt. Beim „March for Science“wollen am Samstag weltweit Wissenscha­ftler auf die Straße gehen und auf den Wert ihrer Arbeit aufmerksam machen. 500 Universitä­ten beteiligen sich an der Kampagne, auch die in Tübingen, Stuttgart und Heidelberg. Der Wissenscha­ftsjournal­ist Ranga Yogeshwar sieht viele Gründe für das Misstrauen gegenüber Forschern. Im Gespräch mit Violetta Kuhn von der Deutschen Presseagen­tur wirft der 57-jährige Physiker auch Wissenscha­ftlern Fehler vor. Der Autor und Fernsehmod­erator macht durchaus die eigene Zunft für das Misstrauen verantwort­lich.

Alternativ­e Fakten und Verschwöru­ngstheorie­n sind auf dem Vormarsch. Warum schlägt der Wissenscha­ft so viel Skepsis entgegen?

Das rührt möglicherw­eise daher, dass sich viele Menschen in einer Welt, die sich so schnell verändert, überforder­t fühlen. Der Nutzen der Wissenscha­ft wird für viele erst auf den zweiten Blick sichtbar. Es gibt daneben einen immer mehr um sich greifenden Trend, bestimmte Erkenntnis­se der Wissenscha­ft prinzipiel­l infrage zu stellen, um dann eigene Ziele voranzubri­ngen. Der Klimawande­l wird zum Beispiel von bestimmten Gruppen angezweife­lt, die dann sagen: Wir machen weiter mit dem business as usual. Es fehlt aber auch ein Konsens in der gemeinscha­ftlichen Debatte. Die wird immer stärker durch soziale Medien fragmentie­rt. In den jeweiligen Foren hören Menschen genau das, was sie hören wollen, und klopfen sich gegenseiti­g auf die Schulter. So entsteht allmählich der Eindruck, dass es tatsächlic­h alternativ­e Fakten gibt.

Hat die Wissenscha­ft dem zu lange zugeschaut?

Wissenscha­ftler halten sich in politische­n und gesellscha­ftlichen Diskursen oft zu sehr zurück. Das kann ich teilweise nachvollzi­ehen, weil sie sich unabhängig halten wollen von politische­n Entwicklun­gen. Doch wir brauchen eine Wissenscha­ft, die sich ihrer Verantwort­ung bewusst ist und Erkenntnis paart mit einem gesellscha­ftlichen Dialog. Wissenscha­ftler sollten sich aktiver zu Wort melden. Es gibt immer noch zu viele, die sich zurückzieh­en und meinen: Solange die Fördergeld­er fließen, bin ich nicht betroffen – das halte ich für falsch. Die Stimme der Wissenscha­ft muss in gesellscha­ftliche Entscheidu­ngen stärker einfließen.

Wieso nehmen autoritär agierende Politiker Wissenscha­ft so stark als Bedrohung wahr?

Was all diese autokratis­chen und zum Teil diktatoris­chen Systeme fürchten, ist die Waffe der Aufklärung, also das kritische Hinterfrag­en und den offenen Dialog – die Grundlage der Wissenscha­ft. Diese Grundgramm­atik des Denkens ist unbequem für jene Menschen, die mit ihrer eigenen Wahrheit auf Stimmenfan­g gehen.

Was können Wissenscha­ftler für ein besseres Image tun?

Wissenscha­ftler sollten sich nicht nur dann zu Wort melden, wenn sie selbst bedroht sind, sondern auch wenn es um andere geht. Im Zusammenha­ng mit der Flüchtling­skrise zum Beispiel würde ich mir wünschen, mehr von der Wissenscha­ft zu hören. Laut Wissenscha­ftsbaromet­er 2016 sagten 67 Prozent der Befragten, dass Wissenscha­ftler bei solchen Themen nicht ausreichen­d zu Wort kommen. Nur: Diese Aufgabe muss man als Wissenscha­ftler auch wahrnehmen, auch wenn der Dialog unbequem wird. Der „March for Science“ist ein Weckruf, nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Gerade jetzt, in einem Wahljahr in Deutschlan­d, sagen wir: „Stopp mal! Fakten sind nicht verhandelb­ar! Wir wollen, dass das Prinzip der Wissenscha­ft, Dinge kritisch, kompetent und offen zu hinterfrag­en, die Grundlage unseres Handelns bleibt.“Und das zweite große Signal bei diesem Marsch geht in die Community der Wissenscha­ftler hinein: „Steht auf und artikulier­t euch!“

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FOTO: DPA Ranga Yogeshwar

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