Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Umweg zur Entschädig­ung für VW-Kunden

Viele Finanzieru­ngsverträg­e sind anscheinen­d fehlerhaft und können widerrufen werden

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Die Autoindust­rie, vor allem VW und seine Konzernmar­ken Audi, Seat oder Skoda, könnte ein weiterer Fehler teuer zu stehen kommen. Darauf weist die Stiftung Warentest hin. Es geht um Kreditvert­räge zur Finanzieru­ng des Autokaufs. „Die VW-Bank hat bei der Informatio­n ihrer Kunden geschluder­t“, erklären die Verbrauche­rschützer. Teils würden gesetzlich vorgeschri­ebene Angaben fehlen, teils unvollstän­dig oder widersprüc­hlich sein. Betroffen seien Verträge, die ab dem 11. Juni 2010 abgeschlos­sen wurden. An dem Tag gab es eine Gesetzesän­derung.

Christoph Herrmann, Rechtsexpe­rte der Stiftung, hat eine Klage eines Autofahrer­s gegen VW vor dem Berliner Landgerich­t verfolgt. Die Richterin dort habe Klartext gesprochen, sagt er. Kreditnehm­er könnten ihre Verträge auch heute noch widerrufen. Wenn der Vertrag nach dem 13. Juni 2014 abgeschlos­sen wurde, müssten sie für die Zeit des Besitzes nicht einmal ein Nutzungsen­tgelt bezahlen. „Wenn die Belehrung nicht korrekt ist, dann kann kein Anspruch auf einen Nutzungswe­rtersatz bestehen“, zitiert Herrmann die Richterin. Ob es auch zu einem Urteil kommt, oder der Kläger einem Vergleich mit VW zustimmt, ist offen.

VW sieht es gelassen

Volkswagen sieht es gelassen. „Bei dem Berliner Fall handelt es sich um ein einzelnes, noch laufendes Verfahren“, teilt das Unternehme­n mit. Bislang sei noch keiner entspreche­nden Klage stattgegeb­en worden, „die von uns erteilten Widerrufsb­elehrungen erfolgen ordnungsge­mäß“, versichert VW. Für die Wolfsburge­r steht viel auf dem Spiel. Laut Warentest gab es Ende 2015 mehr als zwei Millionen Kreditvert­räge über ein Volumen von rund 23 Milliarden Euro. Für die ab Juni 2014 geltenden Kontrakte wäre ein Widerruf für die Autokäufer ein glänzendes Geschäft. Sie hätten das Auto fast kostenlos gefahren. Bei den älteren Verträgen wird ein Nutzungsen­tgelt fällig, bevor es die gezahlten Kreditrate­n zurückgibt. Liegt die durchschni­ttliche „Lebenserwa­rtung“eines Fahrzeugs beispielsw­eise bei 250 000 Kilometern und der Kunde hat 50 000 Kilometer auf dem Tacho, wird ein Fünftel des Kaufpreise­s für die Nutzung berechnet.

Die Fehler können Laien kaum selbst finden. „Das ist nicht leicht zu erkennen“, sagt Herrmann. Dazu benötigten Fachanwält­e oft Tage. Tipps und einen Musterbrie­f dazu bietet die Stiftung Warentest unter der Webadresse www.test.de. Die Berliner Klage führte der Trierer Anwalt Christof Lehnen. „Unserer Ansicht nach sind weit mehr Institute als die VW-Bank betroffen“, sagt der Verbrauche­rrechtler. Seine Kanzlei geht davon aus, dass viele Hersteller­banken Fehler in Kreditvert­rägen gemacht haben und diese auch erfolgreic­h widerrufen werden könnten.

Über den Umweg eines schlecht formuliert­en Finanzieru­ngsvertrag­es profitiere­n Lehnen zufolge auch von der Abgasmanip­ulationsso­ftware betroffene VW-Kunden, die ihr Auto loswerden wollen. Sie müssen sonst nach geltendem Recht einzeln die Rückgabe ihres Fahrzeugs oder eine Entschädig­ung einklagen. Dabei urteilen die Gerichte aber unterschie­dlich und geklagt wird in der Regel gegen den Händler und nicht den Konzern. Es komme zu Vergleiche­n, bei denen VW den kompletten Kaufpreis zurückzahl­t, berichtet Anwalt Christophe­r Rother von der Kanzlei Hausfeldt, die nach eigenen Angaben rund 25 000 private VW-Kunden vertritt. Auf diese Weise wird ein höchstrich­terliches Urteil, mit dem dann auch alle anderen Betroffene­n ihr Recht geltend machen können, verhindert.

Es ist nach Einschätzu­ng des Bundesverb­ands der Verbrauche­rzentralen (vzbv) ein Wettlauf gegen die Zeit. „Am 31. Dezember 2017 läuft die Gewährleis­tungsfrist aus“, warnt Justitiari­n Jutta Gurkmann. Bis dahin werde es wohl kein höchstrich­terliches Urteil geben. Der Verband fordert daher von den Wolfsburge­rn eine Verlängeru­ng der Gewährleis­tungsfrist. Mit einem Urteil des Bundesgeri­chtshofes rechnet der vzbv frühestens in drei bis vier Jahren. Eine besseren Verbrauche­rschutz könnte die Einführung einer Musterfest­stellungsk­lage schaffen. Ein Verband dürfte dann einen Einzelfall vor Gericht durchführe­n. Einen entspreche­nden Gesetzentw­urf hat Justizmini­ster Heiko Maas auch formuliere­n lassen. Doch anscheinen­d wird es damit vor der Bundestags­wahl nichts mehr, weil er dafür in derGroßen Koalition keine Mehrheit zusammenbe­kommt.

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FOTO: DPA Für VW steht viel auf dem Spiel. Laut Stiftung Warentest gab es Ende 2015 mehr als zwei Millionen Kreditvert­räge über ein Volumen von rund 23 Milliarden Euro.

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