Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Pop-Poet und Disco-Dancer

Philipp Poisel zeigt auf dem Münsterpla­tz viele musikalisc­he Facetten: Von Liebesball­aden bis zum Tanz-Sound mit wummernden Bass

- Von Dorina Pascher

ULM - Zu Beginn machte der kleine Mann mit den verstrubbe­lten Haaren einen etwas unscheinba­ren Eindruck auf der großen Bühne neben dem Ulmer Münster. Doch Philipp Poisel zeigte beim Schwörkonz­ert am Freitag seine ganze Bandbreite: vom schüchtern wirkenden Liebesball­aden-Poet bis zum nerdig-tanzenden Indie-Rock-Sänger.

Die Verwandlun­g verfolgen rund 3500 Fans mit. Es ist ein Konzert in drei Akten.

1. Akt: Schmuse-Songs und Schunkel-Paare

Cello, Geige, Akustikgit­arre – Poisel der Liedermach­er. Der, der die sanften Töne beherrscht. Wie die Zuschauer besonders bei dem zärtlichen Liebeslied „Mit jedem deiner Fehler“hören können. Poisel steht wie ein Schuljunge, mit nach hinten verschränk­ten Arme auf der Bühne. Seine zurückhalt­ende Haltung passt zu den leisen Tönen – die doch nicht ihre Wirkung verlieren.

Das Publikum singt mit, die Leute klatschen. Erst bei diesem, dem fünften Song, scheint der Poisel-Funke auf die Zuschauer überzuspri­ngen. Gänsehaut, sich küssende Paare und schunkelnd­e Fans: zauberhaft­e Momente.

2. Akt: Streicher weg und Rocksound her

Es ist der siebte Song. Die Bühne ist leer geräumt. So mancher Zuschauer wundert sich. So sang- und klanglos kann sich Poisel, doch nicht verabschie­det haben? Dann ertönt Musik, doch niemand ist zu sehen. Langsam öffnet sich der schwarze Vorhang der Bühne: Holzvertäf­elung, mehrere Dutzend Glühbirnen hängen von der Decke und dazwischen ein weißer Ballon – dem später noch eine wesentlich­e Rolle zukommt. Ähnlich wie ein Luftballon werden auch der Bass und die Lautstärke aufgeblase­n. Die Streicher müssen einer Rockcombo mit Schlagzeug, Bass und EGitarre weichen.

Jetzt zeigt der Pop-Poet, dass er auch Indierock in seinem Repertoire hat – besonders bei Liedern wie „Mein Amerika“und „Zünde alle Feuer“. Für viele „Ohs“und „Ahs“im Publikum sorgt ein gelber VW-Bus im Mini-Format. Darin: Vier Sängerinne­n, die den Liedermach­er beim Lied „San Francisco Nights“gesanglich unterstütz­en.

3. Akt: Disco-Sound und Nuschel-Pop

Nur kurz verabschie­det sich Poisel am Ende von der Bühne. Denn er weiß, dass seine Fans noch ein Lied schmerzlic­h vermissen: den Hit „Wie soll ein Mensch das ertragen“. Mit dem startet er gleich in die Zugabe. Die Handybilds­chirme gehen hoch, das Publikum singt zum sentimenta­len Akustik-Gitarren-Song mit. Poisel verabschie­dee sich aber nicht mit diesem Ohrwurm. Nein, die Leute sollten tanzen, gemäß dem Lied „Als gäb’s keinen Morgen mehr“.

Der Sänger weiß die Leute zu animieren. Denn der weiße Ballon, der über den Köpfen der Band schwebt, erweist sich als riesige Discokugel, sobald der Stoff zu Boden geglitten ist. Die Masse hüpft und klatscht und johlt gemeinsam mit dem Sänger „Oh, oh, oh“. Dann mischen sich elektronis­che Klänge in den Rocksong und innerhalb von wenigen Sekunden verwandelt sich das Konzert in einen Discosaal.

Der Bass wummert aus den Boxen, das Keyboard wird durch ein DJPult ersetzt. Selbst Leuchtstäb­e tanzen auf der Bühne – zumindest, bis man bemerkt, dass es die Krücken des Keyboarder­s sind. Einige tanzen, andere schauen perplex. So ganz passt die Szenerie nicht zu einem Philipp-Poisel-Konzert.

Die darauf folgenden drei Lieder bringen wieder den gewohnten Sound – Akustik-Gitarre und ins Mikro genuschelt­e Texte – auf die Bühne zurück. Poisel sorgte mit einer Aktion noch für Hochstimmu­ng: Ein Teil des Publikums ist bereits auf dem Weg zum Ausgang, da tauchten der Sänger und der Gitarrist inmitten des Münsterpla­tzes auf einer kleinen Bühne auf.

Wie sie dort schnell und unbemerkt dort hinkamen? Nebensache. Denn das schmale Podest im Publikum ist perfekt für das romantisch­e Liebeslied „Liebe meines Lebens“. Hautnah, authentisc­h und ungekünste­lt, so kennen und lieben viele den Liedermach­er. Mit gutem Gewissen kann Poisel das Ulmer Publikum nun in die Nacht entlassen.

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Auftakt zum Schwörwoch­enende: Philipp Poisel am Freitagabe­nd auf dem Ulmer Münsterpla­tz.
FOTO: ALEXANDER KAYA Auftakt zum Schwörwoch­enende: Philipp Poisel am Freitagabe­nd auf dem Ulmer Münsterpla­tz.

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