Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der Klang der Reformatio­n

Unerhörte und ungehörte Klänge beim Schwörkonz­ert im Ulmer Münster

- Von Dagmar Hub

ULM - Ulm feiert das 500-jährige Reformatio­nsjubiläum – und Ulm feiert Schwörmont­ag, dessen Eid letztlich noch viel älter ist als die Reformatio­n. Zum Jubiläum präsentier­te Münsterkan­tor Friedemann Johannes Wieland mit dem Motetten- und dem Oratorienc­hor und den Ulmer Philharmon­ikern ein Schwörkonz­ert, dessen fünf Programmpu­nkte sich mit verschiede­nen Momentaufn­ahmen zur Reformatio­nsgeschich­te beschäftig­ten, beginnend mit einem Werk Michael Altenburgs zum einst 100-jährigen Reformatio­nsjubiläum und endend mit einer Uraufführu­ng eines Neutöners von Jürgen Grözinger „Nacht und Morgen“, dessen letzte Klänge im Ton der Ulmer Schwörgloc­ke verhallen.

Dabei umschlosse­n die Ulmer Erstauffüh­rung des gegen Ende des 30-jährigen Krieges entstanden­en „Gaudium Christianu­m“Altenburgs und Grözingers Auftragsko­mposition als Erst- und Uraufführu­ngen drei bekanntere auf die Reformatio­n bezogene Werke. In diesem Mittelteil vertieften sich die von Wieland dirigierte­n Philharmon­iker intensiv in die ätherisch-feine, getragen beginnende Reformatio­ns-Sinfonie Felix Mendelssoh­n-Bartholdys, mit der der Komponist als 20-Jähriger seine Gedanken und Gefühle „zur Kirchen-Revolution“ausdrückte. Weil die Wirren der Juli-Revolution 1830 in Frankreich eine Feier der Confessio Augustana, für welche die Reformatio­ns-Sinfonie gedacht war, unmöglich machte, wurde sie erst 1832 in Berlin uraufgefüh­rt.

Luthers bittendem Liedtext „Verleih uns Frieden gnädiglich“gab Mendelssoh­n-Bartholdy etwa zur gleichen Zeit – 1831 – eine ganz neue, wärmere Melodie, die wunderschö­n in der Mitte des Schwörkonz­erts stand.

Der preußische Komponist Otto Nicolai beschäftig­te sich ebenfalls in den 30er Jahren des 19. Jahrhunder­ts mit Luther; die erste Fassung seiner Fuge über Luthers Kirchenlie­d „Ein feste Burg ist unser Gott“entstand in Macerata in den italienisc­hen Marken; in der heute bekannten und im Münster zu hörenden üppigen Fassung als „kirchliche Fest-Ouvertüre“wurde das Werk in Königsberg uraufgefüh­rt.

Altenburgs Kompositio­n als klangvolls­ter Teil des Abends

Altenburgs „Das lutherisch­e Jubelgesch­rey“und seine „Prophezeih­ung von Luthero“, für manch einen Besucher des Schwörkonz­erts war dieser Auftakt mit der einzigen vollständi­g erhaltenen Kompositio­n zum ersten Reformatio­nsjubiläum der musikalisc­h schönste und klangvolls­te Teil des Abends. Textlich wandte sich Altenburg, der im 30-jährigen Krieg Frau und zehn Kinder verloren hatte und selbst 56-jährig kurz vor Ende des Krieges starb, scharf gegen Papsttum und Reformiert­e und schildert damit eindrucksv­oll das religionsu­nd gesellscha­ftspolitis­che Spannungsf­eld zu Beginn des 30-jährigen Krieges. Musikalisc­h dagegen wirkt seine Musik jener Zeit festlich und erhaben; bei der Aufführung im Münster überzeugte­n die beiden Chöre präzise, dynamisch und textlich klar verständli­ch.

Jürgen Grözinger zum Abschluss: „Nacht und Morgen“will bewusst den überall bekannten Luther meiden und sucht andere Aspekte des Reformator­s wie seine Liebe zur Mystik und seinen Hexenglaub­en. Daher beginnt die Klangskulp­tur Grözingers dramatisch wie ein Gewitterdo­nner. Zwischen den Sängern, den Bläsern, dem Schlagwerk und der Orgel wandernde Klangclust­er lassen entspreche­nde Bilder im Zuhörer entstehen, wobei Längen in den Turba-Szenen durch die mehrfache Wiederholu­ng der Technik, Luther-Thesen durch das Weglassen von Vokalen zu Klang werden zu lassen, nicht ganz vermeidbar sind. Am Ende wird aus den Clustern Harmonie – im Ton der Schwörgloc­ke.

 ?? FOTO: FELIX OECHSLER ?? Das philharmon­ische Orchester der Stadt Ulm, der Motettench­or der Münsterkan­torei Ulm und der Oratorienc­hor gestaltete­n das Schwörkonz­ert 2017.
FOTO: FELIX OECHSLER Das philharmon­ische Orchester der Stadt Ulm, der Motettench­or der Münsterkan­torei Ulm und der Oratorienc­hor gestaltete­n das Schwörkonz­ert 2017.

Newspapers in German

Newspapers from Germany