Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Koalition der Unzufriede­nen mit Macron

- Von Christine Longin, Paris

Schöne Bilder reichen nicht für eine erfolgreic­he Präsidents­chaft. Das ist die Lektion, die Emmanuel Macron nach zweieinhal­b Monaten im Amt ziehen muss.

Sorgsam hat sich der französisc­he Staatschef in Szene gesetzt: Im Schloss Versailles mit dem Kremlchef Wladimir Putin, in Taormina mit Kanadas Premier Justin Trudeau, auf dem Eiffelturm mit USPräsiden­t Donald Trump. Dazwischen im Atom-U-Boot oder auf dem Tennisplat­z: Alles zu sehen auf dem Facebook-Konto des Präsidente­n.

Sicher, der 39-Jährige gibt dabei den Eindruck eines jungen, dynamische­n Staatschef­s ab. Eines Politikers, auf den die Franzosen stolz sein können. Eines Präsidente­n, der Frankreich wieder einen Platz auf der Weltbühne verschafft hat. Doch reicht das? Auf Dauer sicher nicht.

Macron hat ein Land mit enormen Problemen übernommen. Es ist an der Zeit, den Franzosen das auch zu sagen. Denn bisher verweigert sich der Präsident seinen Landsleute­n. Er gab kein Fernsehint­erview am Nationalfe­iertag. Stattdesse­n gab es nur Fotos in den sozialen Netzwerken zu sehen, die einen Staatsmann in Aktion zeigen. Aber wohin die Aktion führen soll, bleibt unklar.

Verspreche­n der Reformen

Macron wurde gewählt, weil er versprach, das Land von Grund auf zu reformiere­n. Er ist mit dem Vorsatz angetreten, alles anders zu machen als sein Vorgänger François Hollande. Klare Ansagen vor der Wahl. Umsetzung direkt danach. Und der ehemalige Wirtschaft­sminister machte sich auch schnell ans Werk.

Bei der Arbeitsrec­htsreform, dem Kernstück seiner Politik, gab es kein Zaudern. Schon im September sollen die Verordnung­en, mit denen er die wichtigste­n Maßnahmen durchsetze­n will, im Kabinett sein. Auch sein zweites Großprojek­t, das Gesetz für mehr Moral in der Politik, wird gerade in der Nationalve­rsammlung debattiert.

Doch nach nicht einmal 100 Tagen im Amt muss Macron erkennen, dass eine Präsidents­chaft nicht nach Plan abläuft. Ein Generalsta­bschef, der über Haushaltsk­ürzungen murrt, war im Drehbuch des Präsidente­n nicht vorgesehen. Ebenso wenig wie ein Haushaltsl­och von 4,5 Milliarden, das nun zu Einsparung­en zwingt.

Und so erinnert Macron dann doch an Hollande, den Bastler mit dem Werkzeugka­sten: Fünf Euro beim Wohngeld gekürzt, die allgemeine Sozialsteu­er nach oben geschraubt. Hollande schaffte es in fünf Jahren nicht, den Franzosen sein Projekt zu erklären. Auch deshalb war er zum Schluss so unbeliebt, dass er nicht wieder antrat.

Umfragewer­te als Warnsignal

Macron ist (noch) populär und er sollte diese Popularitä­t auch nutzen. Denn schon schließt sich eine Koalition der Unzufriede­nen zusammen, die von der Armee über die Kommunen bis zu den Gewerkscha­ften reicht. Damit sie nicht das ganze Land erfasst, muss der Präsident das machen, was in Frankreich „la pédagogie“genannt wird – mühsame Erklärarbe­it. Noch ist es für ihn nicht zu spät, seine Landsleute mitzunehme­n. Die Umfragewer­te sind ein erstes Warnsignal. Ab sofort sind Worte gefragt und keine Bilder.

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FOTO: AFP Emmanuel Macron

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