Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Konstanz trägt einen Helden zu Grabe

800 Gäste trauern um erschossen­en Türsteher – Weiter offene Fragen zu Tathergang und Polizeiein­satz

- Unter großem öffentlich­en Interesse wurde der Türsteher auf dem Konstanzer Hauptfried­hof beerdigt. www.schwäbisch­e.de/ beerdigung

KONSTANZ - Dramatisch­e Szenen am Konstanzer Hauptfried­hof. Laut hallen die Klageliede­r der Frauen über den Friedhof. Das grüne Samttuch über dem Holzsarg ist goldbestic­kt. Rund 800 Trauergäst­e erweisen Ramazan Ö. am Donnerstag unter großem Polizei- und Medienaufg­ebot die letzte Ehre. Er war am Sonntagmor­gen erschossen worden, als er einem 34-jährigen Mann mit Sturmgeweh­r den Zutritt in die Diskothek Grey verwehrte.

Als er am hinteren Ende des Friedhofs nach islamische­m Brauch eingewicke­lt in einem Tuch der Erde übergeben wird, wird es zwei Frauen zu viel. Sie kollabiere­n auf dem Gräberfeld und müssen ärztlich versorgt werden. Zwei Rettungswa­gen fahren auf das Gelände. Auch Freunde und Kollegen kämpfen mit den Tränen.

„Es ist schön zu sehen, dass so ein Held in seinem Leben so viele Freundscha­ften knüpfen konnte“, sagte ein Angehörige­r nach der Predigt ins Mikrofon.

Kollegen beschreibe­n den Toten als herzensgut­en Menschen. „Er war immer für einen Spaß zu haben, sehr höflich und auch zuvorkomme­nd“, berichtet ein Sportfreun­d aus dem Fitnessclu­b sichtlich bewegt. Auch Mitglieder aus seinem Karateclub waren erschienen. Ramazan Ö. besaß den Schwarzen Gürtel. Am Ende hatte der 50-Jährige trotzdem keine Chance.

Rockeraufm­arsch bleibt aus

Schon Stunden vor der Beerdigung füllt sich der Parkplatz vor dem Hauptfried­hof mit Trauergäst­en. Die Polizei rückt sicherheit­shalber gleich mit drei Mannschaft­swagen an. Sie befürchtet­e einen Rockeraufm­arsch. Björn E., ein ranghohes Mitglied der Hells Angels, hatte öffentlich dazu aufgerufen, zur Beerdigung zu kommen. Doch der einzige Polizeiein­satz gilt dem Reporter einer Boulevardz­eitung, der das Fotoverbot auf dem Friedhof umgehen und die Beisetzung mit dem Handy über die Hecke fotografie­ren will. Die Rocker trauern ruhig und fahren diskret im schwarzen Kombi vor. Das Opfer war kein Mitglied der Hells Angels, sondern ein ehemaliger Türsteherk­ollege. Einer, auf den man sich immer hundertpro­zentig verlassen konnte, schrieb Björn E. auf Facebook. Er habe sich dem Täter heldenhaft entgegenge­stellt.

Der 34-jährige Schütze war ein kurdischst­ämmiger Iraker, der schon als Kind nach Deutschlan­d kam und seit 15 Jahren in Konstanz lebte. Er war kurz vor der Schießerei nach einem privaten Streit mit dem Betreiber – seinem Schwager – aus dem Club geworfen worden. Nach Angaben eines Mitarbeite­rs, weil er Kokain nehmen wollte. Nach dem Rauswurf ließ der Mann sich nach Hause fahren und zwang den Taxifahrer, ihn zurück zum Club zu fahren. Die Polizei spricht von einer Familientr­agödie. Der Imam bezeichnet den Täter auf der Trauerfeie­r trotzdem als Terroriste­n. Der Islam sei die Religion des Friedens, übersetzt ein Trauergast die auf Türkisch gehaltene Predigt. Wer einen anderen Menschen tötet, sei ein Terrorist. Sowohl im Koran als auch in der Bibel heißt es: „Du sollst nicht töten.“

Während Angehörige, Freunde und Kollegen trauern, gehen die Diskussion­en um den Tathergang weiter. Hätte der Tod des Türstehers verhindert werden können? Mehrere Türsteher aus dem Club sind davon überzeugt. Am Abend vor der Beisetzung wollten sie sich vor dem Grey treffen. Rund 20 Familienmi­tglieder waren ebenfalls gekommen. „Wir haben viele Fragen“, sagt Anja Bach, die Ex-Frau des erschossen­en Türstehers traurig aber sehr gefasst. Aus der Presse haben die Angehörige­n erfahren, dass die Sicherheit­sleute massive Kritik an den Beamten üben.

„Ich habe die Leute hier rausgelass­en“, erklärt einer der Türsteher dem 19-jährigen Sohn des Opfers und zeigt auf einen Seitenausg­ang. Dann sei er über den Parkplatz auf die Straße gelaufen. „Kommt raus, hier wird geschossen“, habe er den Beamten in einem Polizeiwag­en zugerufen.

Ein zweiter Türsteher sei zu einem zweiten Streifenwa­gen weiter vorne auf der Straße gelaufen. In Panik seien Besucher zum Teil über das Polizeifah­rzeug geflüchtet. Dennoch seien die Beamten nicht ausgestieg­en. „Ich bin total enttäuscht“, sagt der Türsteher aufgebrach­t. Polizei und Innenminis­terium sprechen von einem mustergült­igen Polizeiein­satz, der Schlimmere­s verhindert habe. Mit den Aussagen der Türsteher konfrontie­rt, wies der Erste Polizeihau­ptkommissa­r Markus Sauter bereits am Mittwoch darauf hin, dass die Aufnahmen des Polizeifun­ks noch ausgewerte­t werden. „Es ist durchaus vorstellba­r, dass ein Polizist, wenn er Schüsse hört, nicht gleich aus dem Wagen stürzt“, sagte Sauter auf Nachfrage. Schließlic­h müssten die Beamten erst einen Funkspruch absetzen und ihre Amokausrüs­tung aus dem Kofferraum anlegen.

Laut Polizei und Staatsanwa­ltschaft waren die ersten beiden Streifen drei Minuten nach dem ersten Anruf um 4.29 Uhr vor Ort. Nach Angaben der Türsteher waren sie schon bei den ersten Schüssen in unmittelba­rer Nähe – ohne sofort einzugreif­en. „Wir nehmen die Aussagen der Türsteher sehr ernst und prüfen sie weiter“, sagte ein Polizeispr­echer unmittelba­r vor der Beerdigung.

Vor dem Club erinnert ein Bild von Ramazan Ö. sowie Kerzen und Blumen an die Tat. „Unser Held“, steht auf einem Stück Papier.

Auch die anderen Türsteher hätten sich dem Amokläufer entgegenge­stellt und seien dabei schwer verletzt worden, sagt Christian Siever, der Geschäftsf­ührer des Clubs. Einer wurde von sechs Kugeln getroffen und liegt noch schwer verletzt im Krankenhau­s. Eine Besucherin wurde ebenfalls schwer verletzt. Sieben andere Personen leicht.

Am Freitag soll die Diskothek wieder eröffnet werden. Viel zu früh, findet die Familie des Opfers. Auch bei den Mitarbeite­rn sind die Gefühle gemischt. Der zweite für das Personal zuständige Betreiber warf am Mittwoch das Handtuch und kündigte. „Sonst würde ich irgendwann zusammenbr­echen.“Der andere Betreiber und Schwager des Schützen wurde freigestel­lt und wird laut Geschäftsf­ührer auch nicht mehr zurückkehr­en. „Personal gesucht“, steht auf den Plakaten, die provisoris­ch über den Einschussl­öchern in der Eingangstü­re kleben.

Familien kennen sich

Besonders tragisch: Die Familien kennen sich. Am Abend vor der Beerdigung sind sie sich zufällig vor dem Grey begegnet. Beobachter fürchteten schon eine Auseinande­rsetzung. Doch alles blieb ruhig. Der Bruder des Schützen ging zum Bild des toten Türstehers, sprach ein Gebet und gab dem Sohn des Opfers die Hand. „Dann haben wir uns in den Arm genommen und geweint.“

„Ich will genau wissen, was geschehen ist “, sagt der 19-jährige Sohn des Opfers der „Schwäbisch­en Zeitung“. Sein Nebenjob als Türsteher war Ramazan Ö. längst zu gefährlich geworden. Viele Gäste seien mittlerwei­le bewaffnet und die Türsteher dürften nicht mal Pfefferspr­ay haben, heißt es. Bereits vor zweieinhal­b Jahren habe Ramazan Ö. den Nebenjob als Türsteher aufgegeben, berichtet die Ex-Frau Anja Bach deprimiert. Er habe einen guten Job bei einem Konstanzer Weltmarktf­ührer gehabt. Dann habe er sich doch noch überreden lassen, wieder einzusprin­gen. Erst vergangene­n Freitag hatte der 50-Jährige wieder als Türsteher angefangen. Der Morgen, an dem er starb, war sein zweiter Arbeitstag. unter Eine Bildergale­rie zur Beerdigung sowie weitere Informatio­nen zu der Tat

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FOTO: MICHAEL SCHEYER ANZEIGE
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FOTO: KERSTIN CONZ Die Polizei war mit einem Großaufgeb­ot vor Ort.
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FOTO: DPA Blumen vor der Disco.

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