Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Boris Palmer beklagt in seinem Buch Fehler im Flüchtling­skurs

Werk trägt den Titel „Wir können nicht allen helfen“– Angeeckt ist der Grünen-Politiker in den eigenen Reihen schon oft

- Von Andreas Herholz

BERLIN - Scheinwerf­erlicht, Kameras surren, der Saal ist voll, und das Buch schnell vergriffen. Alle Augen sind auf Boris Palmer gerichtet. Großer Aufritt für den Tübinger Oberbürger­meister am Donnerstag­morgen in der Hauptstadt. Der „grüne Provokateu­r“ist gekommen, um sein neues Buch zu präsentier­en, das bereits im Vorfeld für jede Menge Wirbel gesorgt hat. „Wir können nicht allen helfen“, steht dort in grünen Lettern auf dem Umschlag geschriebe­n.

„Schade“, sagt Julia Klöckner, „dass das Buch diesen Titel trägt.“Ausgerechn­et die junge CDU-Vizechefin hat Palmer gebeten, sein Werk vorzustell­en, die Frau, die für ein Burka-Verbot kämpft und Angela Merkels Kurs in der Flüchtling­spolitik infrage gestellt hatte. Die aufstreben­de Schwarze und der unbequeme Grüne Schulter an Schulter – Palmers Parteifreu­nde dürften es mit Argwohn sehen. „Ein grüner Oberbürger­meister spricht Klartext“, wirbt der Verlag. Nur wenn man die Probleme offen benenne, könne man den Rechtspopu­listen das Wasser abgraben.

„Dieses Buch taugt nicht zum Skandal“, stellt CDU-Frau Klöckner gleich zu Beginn klar. Vielmehr liefere Palmer auf den 256 Seiten eine realistisc­he Analyse zur Flüchtling­spolitik, „ein Plädoyer gegen die Schubladen­polemik“, nimmt Klöckner den Autor gegen die Kritik in Schutz, nennt ihn einen „Verantwort­ungsethike­r“jenseits von Schwarz-WeißMalere­i.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise hatte Palmer – anders als seine Parteifreu­nde – Merkels Kurs und ihr „Wir schaffen das“infrage gestellt. Mit seinen Forderunge­n nach stärkeren Grenzkontr­ollen, konsequent­eren Abschiebun­gen und Änderungen des Asylrechts machte er sich in seiner Partei wenig Freunde, wurde angefeinde­t und erlebte in den Sozialen Netzwerken den einen oder anderen Shitstorm.

Im Unterschie­d zu vielen anderen, die im Internet kein gutes Haar an dem Buch und an Palmer lassen würden, habe sie das Buch gelesen, sagt Klöckner. Es biete Diskussion­sstoff und trage zur Versachlic­hung bei. Palmer – ein „grüner Sarrazin“, wie ihn seine Kritiker sehen? Er habe nicht über eine Tübinger Insel geschriebe­n, versichert Palmer. Das Bild lasse sich in jeder anderen Stadt auch finden. Die Probleme bei der Bereitstel­lung von Unterkünft­en, die Sorgen der Bürgerinne­n und Bürger in der Nachbarsch­aft, hitzige Stadtratss­itzungen und Schwierigk­eiten, mit denen auch viele andere Stadtoberh­äupter auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise zu kämpfen hatten.

Palmers Vorwurf an die Kanzlerin: Merkel habe die Flüchtling­sdebatte „moralisch aufgeladen“. „Sie hat gesagt, es gebe den Imperativ, all diesen Menschen zu helfen“, kritisiert der Grüne einen moralische­n Anspruch, der sich als nicht einlösbar erwiesen habe. Keine Spur von der sonst üblichen Aufregung an diesem Morgen bei der Buchpräsen­tation vor der Hauptstadt­presse, die es sonst nicht nur im Netz gibt, wenn Palmer erklärt, Brasilien sei nicht weniger gefährlich als Afghanista­n und sich für Abschiebun­gen an den Hindukusch ausspricht.

 ?? FOTO: DPA ?? Die stellvertr­etende CDU-Vorsitzend­e Julia Klöckner stellt in Berlin das Buch von Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer (Grüne) vor.
FOTO: DPA Die stellvertr­etende CDU-Vorsitzend­e Julia Klöckner stellt in Berlin das Buch von Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer (Grüne) vor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany