Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Strampeln und staunen

Der italienisc­he Ledrosee, kleiner Nachbar des Gardasees, bietet sich für einen Aktivurlau­b geradezu an

- Von Ingrid Augustin

Zehn Prozent Gefälle. Schotterpi­ste. Die verschwitz­ten Hände umklammern noch stärker die Bremsgriff­e, das Gesäß schiebt sich immer weiter nach hinten. Ein tiefer Atemzug, um sich Mut zu machen. Dann lockert sich der Griff um die Bremse kaum merklich, und das Mountainbi­ke bewegt sich ...

Es ist zum Glück das letzte Stück des unbefestig­ten Pfades, die letzte Herausford­erung auf der Route vom italienisc­hen Ledrosee hinab zum Gardasee. Danach folgt eine asphaltier­te Straße. Es ist die alte PonaleStra­ße, der erste Verbindung­sweg zwischen Riva und Pieve, der heute nur noch von Radfahrern und Wanderern benutzt werden darf. Kaum vorstellba­r, dass bis zum Bau von zwei Verbindung­stunnels Autos, ja sogar Busse, sich hier die rund 600 Höhenmeter durch enge Kehren zum Lago di Ledro hoch- und runtergequ­ält haben.

Heute ist die Verbindung­sstraße breiter. Weniger von den Naturgewal­ten abhängig. Was wichtig ist, denn das Tal rund um den Ledrosee gehört zwar noch zu den weniger bekannten Zielen vieler Aktivurlau­bern, doch das wird sich ändern. Schließlic­h bietet das Valle di Ledro jede Menge Möglichkei­ten für alle, die in den Ferien nicht nur auf der faulen Haut liegen wollen: beispielsw­eise über 200 Kilometer ausgeschil­derte Radwege auf Forststraß­en, Wanderwege­n und alten Eselspfade­n, die für Anfänger wie auch geübte Radler geeignet sind.

Stille Zeugen des Krieges

Doch auch dem, der einfach nur mal entspannt mit dem E-Bike herumcruis­en mag, bieten sich reizvolle Ziele, zum Beispiel die romantisch­e Schlucht mit dem Wasserfall Gorg d’Abiss oder schlicht eine Umfahrung des türkis schimmernd­en Ledrosees (8,9 Kilometer). Erfahrene Mountainbi­ker können sich an die Bocca di Dromaè (schwer) oder den Passo Tremalzo (mittel) wagen,

Wer lieber zu Fuß unterwegs ist, der findet ein gut ausgebaute­s Netz von Trekking- und Wanderwege­n des italienisc­hen Alpenverei­ns, der auch geführte Wanderunge­n anbietet. Wie zum Beispiel die leichte Tour auf den Spuren der alten Römer zur Brücke von Croina. Oder auch anspruchsv­oller durch das UnescoBios­phärenrese­rvat von Malga Trat bis zum Monte Tomeabrù. Bei dieser Tour begeistern nicht nur die grandiosen Ausblicke auf die voralpine Landschaft des Trentino oder den aus einem Gletscher entstanden­en Ledrosee, sondern auch die facettenre­iche Flora, die mit rund 40 Orchideena­rten aufwarten kann.

Da die Region über keine Alpinski-Infrastruk­tur und damit keinerlei Lifte verfügt, dürften diese ebenso erhalten bleiben wie die stillen Zeugen des Krieges: In den Granitfels­en gesprengt und gehauen finden sich hier italienisc­he und österreich­ischungari­sche Schützengr­äben des 1. Weltkriege­s. Der Rückweg entlang des Friedenspf­ades verläuft schweigend – die meisten verarbeite­n die vielfältig­en Eindrücke, zollen dem Berg und der Geschichte Respekt, denken über die Grausamkei­t und Sinnlosigk­eit eines Krieges nach.

Selbstvers­tändlich bietet auch der See selbst jede Menge Möglichkei­ten, sich körperlich zu betätigen: schwimmen, Stand-Up-Paddling, segeln, surfen, Bootfahren, fischen. Zusätzlich laden vier Kiesstränd­e einfach zum Entspannen ein.

Wer sich viel bewegt, der darf auch nach Herzenslus­t schlemmen. Wie gut, dass die Gerichte im Valle di Ledro sehr der traditione­llen, herzhaften Trentiner Küche ähneln. Typische Speisen des Tals sind Kartoffelp­olenta entweder mit Käse oder einem Fleischgul­asch, Peverà – eine scharfe Fleischpfe­ffersoße – und Caponec, das sind Weinbergbl­ätter, die mit einem Brot-Mangold-Speck-Teig gefüllt sind. Wenn es ein wenig gediegener sein soll, dann empfehlen sich Gerichte mit schwarzem Trüffel oder Safran, beides stammt aus dem Tal. Zum Aperitif sollte man unbedingt einmal einen Trentodoc – Sekt, der nach Champagner-Art hergestell­t wird – oder ein Picco Spritz probiert haben.

Letzterem gibt der Picco Rosso seinen Namen, der wegen seiner leuchtend-orangenen Farbe berühmte Likör aus Erdbeeren und Himbeeren, die in den umliegende­n Bergen wachsen. Erfunden hat ihn in den 1940er-Jahren der Apotheker Achille Foletto. Bereits seit Mitte des 18. Jahrhunder­ts – und noch heute! – gibt es in Pieve di Ledro die gleichnami­ge Apotheke der Familie. In den Räumlichke­iten ist mittlerwei­le das Pharmamuse­um Foletto untergebra­cht, in dem neben der Originalei­nrichtung auch pharmazeut­ische Waagen und Apparate zu besichtige­n sind. Wer an einer Führung teilnimmt, kann sich zudem seine eigene Ringelblum­encreme oder einen Lippenpfle­gestift anrühren.

Pfahlbaute­n auf dem Seegrund

Ebenfalls einen Besuch wert ist das Pfahlbaumu­seum des Lederosees in Molina di Ledro. Die Pfähle auf dem Seegrund waren den Fischern schon immer bekannt, doch erst 1929, als der Wasserspie­gel wegen Arbeiten am Wasserkraf­twerk stark abgesenkt wurde, entdeckte man, wie groß das Pfahlbauge­biet tatsächlic­h war. Auf rund 4000 Quadratmet­ern fand man über 12 000 Pfähle. Zum Vergleich: Die Pfahlbaute­n allein in Unteruhldi­ngen-Stollenwie­sen am Bodensee verteilen sich auf 42 000 Quadratmet­ern.

Die Ausbeute der immer bei Niedrigwas­ser durchgefüh­rten Grabungen kann man im Museum besichtige­n. Geschirr, Pfeilspitz­en, Schmuck, Knochen und vieles mehr waren wie die Pfähle in dem torfigen Milieu erhalten geblieben. Wie auch beim Pfahlbaumu­seum in Unteruhldi­ngen vermitteln die wiedererri­chteten Pfahlbaute­n einen lebendigen Eindruck vom Leben der Bewohner aus der Bronzezeit (2200 bis 1500 v. Chr.). Die Erforschun­g aller Pfahlbaute­n haben die wissenscha­ftlichen Grundlagen über die Anfänge der Besiedlung des Alpenvorla­nds geschaffen. Deshalb gehören selbstvers­tändlich auch die Pfahlbaute­n vom Ledrosee mit über 100 anderen Fundstelle­n in der Schweiz, in Österreich, Deutschlan­d, Frankreich, Slowenien und Italien seit 2011 zum Unesco-Weltkultur­erbe.

 ?? FOTOS: AUGUSTIN ?? Zwischen Fels und Wasser: Radfahrern, die vom Ledrosee herabkomme­n, bietet sich eine beeindruck­ende Aussicht auf den Gardasee.
FOTOS: AUGUSTIN Zwischen Fels und Wasser: Radfahrern, die vom Ledrosee herabkomme­n, bietet sich eine beeindruck­ende Aussicht auf den Gardasee.
 ??  ?? Vom Monte Tomeabrù hat man einen tollen Blick auf den Ledrosee.
Vom Monte Tomeabrù hat man einen tollen Blick auf den Ledrosee.

Newspapers in German

Newspapers from Germany