Strampeln und staunen
Der italienische Ledrosee, kleiner Nachbar des Gardasees, bietet sich für einen Aktivurlaub geradezu an
Zehn Prozent Gefälle. Schotterpiste. Die verschwitzten Hände umklammern noch stärker die Bremsgriffe, das Gesäß schiebt sich immer weiter nach hinten. Ein tiefer Atemzug, um sich Mut zu machen. Dann lockert sich der Griff um die Bremse kaum merklich, und das Mountainbike bewegt sich ...
Es ist zum Glück das letzte Stück des unbefestigten Pfades, die letzte Herausforderung auf der Route vom italienischen Ledrosee hinab zum Gardasee. Danach folgt eine asphaltierte Straße. Es ist die alte PonaleStraße, der erste Verbindungsweg zwischen Riva und Pieve, der heute nur noch von Radfahrern und Wanderern benutzt werden darf. Kaum vorstellbar, dass bis zum Bau von zwei Verbindungstunnels Autos, ja sogar Busse, sich hier die rund 600 Höhenmeter durch enge Kehren zum Lago di Ledro hoch- und runtergequält haben.
Heute ist die Verbindungsstraße breiter. Weniger von den Naturgewalten abhängig. Was wichtig ist, denn das Tal rund um den Ledrosee gehört zwar noch zu den weniger bekannten Zielen vieler Aktivurlaubern, doch das wird sich ändern. Schließlich bietet das Valle di Ledro jede Menge Möglichkeiten für alle, die in den Ferien nicht nur auf der faulen Haut liegen wollen: beispielsweise über 200 Kilometer ausgeschilderte Radwege auf Forststraßen, Wanderwegen und alten Eselspfaden, die für Anfänger wie auch geübte Radler geeignet sind.
Stille Zeugen des Krieges
Doch auch dem, der einfach nur mal entspannt mit dem E-Bike herumcruisen mag, bieten sich reizvolle Ziele, zum Beispiel die romantische Schlucht mit dem Wasserfall Gorg d’Abiss oder schlicht eine Umfahrung des türkis schimmernden Ledrosees (8,9 Kilometer). Erfahrene Mountainbiker können sich an die Bocca di Dromaè (schwer) oder den Passo Tremalzo (mittel) wagen,
Wer lieber zu Fuß unterwegs ist, der findet ein gut ausgebautes Netz von Trekking- und Wanderwegen des italienischen Alpenvereins, der auch geführte Wanderungen anbietet. Wie zum Beispiel die leichte Tour auf den Spuren der alten Römer zur Brücke von Croina. Oder auch anspruchsvoller durch das UnescoBiosphärenreservat von Malga Trat bis zum Monte Tomeabrù. Bei dieser Tour begeistern nicht nur die grandiosen Ausblicke auf die voralpine Landschaft des Trentino oder den aus einem Gletscher entstandenen Ledrosee, sondern auch die facettenreiche Flora, die mit rund 40 Orchideenarten aufwarten kann.
Da die Region über keine Alpinski-Infrastruktur und damit keinerlei Lifte verfügt, dürften diese ebenso erhalten bleiben wie die stillen Zeugen des Krieges: In den Granitfelsen gesprengt und gehauen finden sich hier italienische und österreichischungarische Schützengräben des 1. Weltkrieges. Der Rückweg entlang des Friedenspfades verläuft schweigend – die meisten verarbeiten die vielfältigen Eindrücke, zollen dem Berg und der Geschichte Respekt, denken über die Grausamkeit und Sinnlosigkeit eines Krieges nach.
Selbstverständlich bietet auch der See selbst jede Menge Möglichkeiten, sich körperlich zu betätigen: schwimmen, Stand-Up-Paddling, segeln, surfen, Bootfahren, fischen. Zusätzlich laden vier Kiesstrände einfach zum Entspannen ein.
Wer sich viel bewegt, der darf auch nach Herzenslust schlemmen. Wie gut, dass die Gerichte im Valle di Ledro sehr der traditionellen, herzhaften Trentiner Küche ähneln. Typische Speisen des Tals sind Kartoffelpolenta entweder mit Käse oder einem Fleischgulasch, Peverà – eine scharfe Fleischpfeffersoße – und Caponec, das sind Weinbergblätter, die mit einem Brot-Mangold-Speck-Teig gefüllt sind. Wenn es ein wenig gediegener sein soll, dann empfehlen sich Gerichte mit schwarzem Trüffel oder Safran, beides stammt aus dem Tal. Zum Aperitif sollte man unbedingt einmal einen Trentodoc – Sekt, der nach Champagner-Art hergestellt wird – oder ein Picco Spritz probiert haben.
Letzterem gibt der Picco Rosso seinen Namen, der wegen seiner leuchtend-orangenen Farbe berühmte Likör aus Erdbeeren und Himbeeren, die in den umliegenden Bergen wachsen. Erfunden hat ihn in den 1940er-Jahren der Apotheker Achille Foletto. Bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts – und noch heute! – gibt es in Pieve di Ledro die gleichnamige Apotheke der Familie. In den Räumlichkeiten ist mittlerweile das Pharmamuseum Foletto untergebracht, in dem neben der Originaleinrichtung auch pharmazeutische Waagen und Apparate zu besichtigen sind. Wer an einer Führung teilnimmt, kann sich zudem seine eigene Ringelblumencreme oder einen Lippenpflegestift anrühren.
Pfahlbauten auf dem Seegrund
Ebenfalls einen Besuch wert ist das Pfahlbaumuseum des Lederosees in Molina di Ledro. Die Pfähle auf dem Seegrund waren den Fischern schon immer bekannt, doch erst 1929, als der Wasserspiegel wegen Arbeiten am Wasserkraftwerk stark abgesenkt wurde, entdeckte man, wie groß das Pfahlbaugebiet tatsächlich war. Auf rund 4000 Quadratmetern fand man über 12 000 Pfähle. Zum Vergleich: Die Pfahlbauten allein in Unteruhldingen-Stollenwiesen am Bodensee verteilen sich auf 42 000 Quadratmetern.
Die Ausbeute der immer bei Niedrigwasser durchgeführten Grabungen kann man im Museum besichtigen. Geschirr, Pfeilspitzen, Schmuck, Knochen und vieles mehr waren wie die Pfähle in dem torfigen Milieu erhalten geblieben. Wie auch beim Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen vermitteln die wiedererrichteten Pfahlbauten einen lebendigen Eindruck vom Leben der Bewohner aus der Bronzezeit (2200 bis 1500 v. Chr.). Die Erforschung aller Pfahlbauten haben die wissenschaftlichen Grundlagen über die Anfänge der Besiedlung des Alpenvorlands geschaffen. Deshalb gehören selbstverständlich auch die Pfahlbauten vom Ledrosee mit über 100 anderen Fundstellen in der Schweiz, in Österreich, Deutschland, Frankreich, Slowenien und Italien seit 2011 zum Unesco-Weltkulturerbe.