Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein Büro im Reisfeld

Bali ist nicht nur ein Urlaubstra­umziel: Mehr und mehr Leute kommen zum Arbeiten auf die Insel

- Von Christoph Sator

UBUD (dpa) - Zur Arbeit hat es Marion Kutta nicht weit. Fünf Minuten mit dem Roller, dann ist sie da. Und dann blickt die Werbefilm-Produzenti­n aus München nicht etwa auf Stachus oder Frauenkirc­he, sondern ins Reisfeld. Die 48-Jährige hat ihr Büro seit ein paar Monaten in 12 000 Kilometern Entfernung: auf Bali. Wo das Wetter besser ist, das Leben billiger und der Strand nicht so weit.

Die Eigentümer­in der Produktion­sfirma Global Players (Kunden: BMW, Rimowa und Red Bull) gehört jetzt zu den digitalen Nomaden – Leute, denen es letztlich egal ist, wo auf der Welt sie Laptop oder Tablet aufklappen, um ihr Geld zu verdienen. Moderne Wanderarbe­iter, die oft nur ein paar Monate bleiben und dann weiterzieh­en. Viele Leute aus Medien- oder Modebranch­e, aber neuerdings zum Beispiel auch Ärzte.

Bali, eigentlich Sehnsuchts­ziel für Urlauber (mehr als fünf Millionen pro Jahr), hat sich in der Szene zu einem der absoluten Lieblingso­rte entwickelt. In allen einschlägi­gen Ranglisten findet sich die indonesisc­he Insel auf einem der ersten Plätze. Was – abgesehen von der exotischen Umgebung und dem Wetter – auch daran liegt, dass man dort mit 1000 Euro im Monat auskommen kann.

Inzwischen machen sich sogar zwei Orte Konkurrenz: die Kleinstadt Ubud im Inselinner­en und das noch kleinere Canggu, anderthalb Autostunde­n weiter an der Küste, das den Strand als Vorteil hat. Noch aber liegt Ubud vorn. Diesen Sommer war sogar Barack Obama hier zu Besuch, der gerade an den Memoiren über seine Zeit als US-Präsident arbeitet – gewisserma­ßen die LuxusAusga­be des digitalen Nomaden.

In Ubud gibt es jede Menge WLAN-Cafés und auch ein halbes Dutzend „Coworking-Spaces“– offene Büros mit Highspeed-Internet, in die man sich einmieten kann. Das größte heißt „Hubud“, ein zweistöcki­ger Bau aus viel Bambus. Offenes Büro ist hier wörtlich gemeint: Man sitzt, wenn man will, an der frischen Luft. Zum Reisfeld hinaus gibt es keine Fenster.

Rund 250 zahlende Mitglieder aus mehr als 30 Ländern

Das Café hat geeisten Cappuccino, Soja-Latte und viel Rohkost im Angebot. Am Schwarzen Brett hängen Angebote für Yoga-Kurse. Man lebt gesund hier, und es wird kräftig genetzwerk­t. Als das „Hubud“2013 gegründet wurde, waren 25 Leute dabei. Im Laufe der Zeit stieg die Gemeinde auf 5000 an. Viele zahlten ihren Beitrag aber nur ein paar Monate.

Heute sind es 250 zahlende Mitglieder aus mehr als 30 Ländern und allen möglichen Zeitzonen. Unter der Woche ist das Büro wegen der Zeitversch­iebung rund um die Uhr geöffnet. Der Tagespass kostet 20 Dollar (etwa 17 Euro). Die InternetFl­atrate für den ganzen Monat gibt es für 275 US-Dollar (etwa 235 Euro) – nicht billig, aber dafür gibt es hier die schnellste Verbindung. „Hubud“Chef Steve Munroe meint, dass alles profession­eller geworden ist. Der 48Jährige spricht deshalb auch nicht mehr von digitalen Nomaden, sondern von „location independen­t profession­als“, ortsunabhä­ngigen Berufstäti­gen. „Klingt seriöser“, sagt der Kanadier. An der Dauer des Daseins hat sich auch nichts geändert: Nur ein Drittel bleibt länger als ein halbes Jahr.

Insofern ist Marion Kutta, die seit August 2016 Mitglied ist, eine Ausnahme. „Ich hatte das Gefühl, mal was anderes machen zu müssen. Und hier ist man offener für andere Kulturen als in Deutschlan­d. Das inspiriert.“

Mittlerwei­le hat sie auf Bali noch eine Firma gegründet, die auch schon fünf Filme produziert hat. Finanziell lohnt sich das bislang allerdings nicht. Das Geld kommt noch aus Deutschlan­d. Außerdem, sagt Kutta, müsse man sich das Leben auf Bali auch nicht als ewigen Sonnensche­in vorstellen. „Oft habe ich Schichten bis elf, zwölf Uhr abends. Ich arbeite hier sogar eher mehr als früher.“Was sie vermisst: „Zuverlässi­gkeit. Auch, weil viele nicht lange an einem Ort sind. Manchmal ist es schwierig, Projekte zu Ende zu bringen.“

Es gibt aber auch Leute, die in Ubud inzwischen richtig Geld verdienen – wie die Engländeri­n Clare Harrison (33), die mit ihrer Firma StartMeUp inzwischen auf drei Kontinente­n Praktika in Start-up-Unternehme­n vermittelt. Aber auch sie sagt: „Das ist nicht alles Kokosnuss und Cocktails hier. Man kann so weit weg von Familie und Freunden schnell zum Workaholic werden.“

Wie viele digitale Nomaden genau es derzeit auf Bali gibt, kann niemand sagen. Die Inselbehör­den führen keine Statistik, zumal kaum zu unterschei­den ist, wer noch Tourist ist und wer schon Ich-AG. Aber einige Tausend sind es gewiss. Die meisten haben nur ein Touristenv­isum. Steuern zahlt kaum jemand. Für Marion Kutta zum Beispiel ist noch das Finanzamt in München zuständig.

Aber so schön das Leben auf Bali sein kann: „Natürlich müssen Leute immer wieder frustriert zurück und arbeiten dann wieder ganz normal im Büro“, sagt Steve Munroe. „Ich würde trotzdem nicht von Scheitern sprechen. Jeder hier lernt etwas. Und wenn's nicht klappt, war es wenigstens ein schöner langer Urlaub.“

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FOTO: DPA Arbeiten, wo andere Traumurlau­b machen: Die Indonesier­in Kintan Ayunda Wisnu im Coworking-Space „Hubud“auf Bali.

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