Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Palma steht nicht zum Verkauf“

Die Proteste in Spanien gegen den überborden­den Tourismus werden aggressive­r

- Von Emilio Rappold

BARCELONA/PALMA (dpa) - Die vier Vermummten tauchten plötzlich aus dem Nichts auf und stellten sich dem Bus voller Touristen in den Weg. Blitzschne­ll wurden die Reifen des Fahrzeugs zerstochen und mit Farbdosen Parolen an die Windschutz­scheibe gesprüht. Viele wollen im Urlaub Emotionen und Spannendes erleben, aber für Andrew Carey war das, was er vorigen Donnerstag in Barcelona vom zweiten Stock des Busses aus sah, denn doch zu viel. „Ich habe wirklich gedacht, es sei ein Terroransc­hlag und meine Stunde sei gekommen“, sagte der 39-jährige Brite der Zeitung „Daily Mail“.

Zur Aktion, die am helllichte­n Tag im Zentrum der spanischen Metropole unweit des Camp-Nou-Stadions geschah, bekannte sich die linke Jugendorga­nisation Arran. Das Motiv war auf der Windschutz­scheibe in orangener Farbe zu lesen: „Der Tourismus tötet die Stadtviert­el“. Die Gruppe schlug am Montag wieder zu: Mehrere städtische Leihräder, die vor allem von Touristen benutzt werden, wurden zerstört.

Der Protest eskaliert

„Die Proteste gegen Tourismus werden immer heißer“, stellte der spanische Rundfunkse­nder „Cadena Ser“fest. Und auch immer häufiger, einfallsre­icher, spektakulä­rer. Wie am Samstag auf Mallorca. Mitglieder der nicht von jungen Linken, sondern von besorgten Bürgern gebildeten Initiative „Ciutat per qui l’habita“(Die Stadt für die Bewohner) sperrten in Palma symbolisch das Tourismusm­inisterium. Sie klebten Zettel mit der Aufschrift „geschlosse­n“an die Eingangstü­r des Gebäudes.

Eine Sprecherin der Vereinigun­g erklärte dabei, was der größte Dorn im Auge der Gegner des Massentour­ismus ist: die Ferienverm­ietung in Mehrfamili­enhäusern, die auf Portalen wie Airbnb angeboten wird. Diese verursacht nicht nur auf Mallorca oder in Barcelona eine Explosion der Immobilien­preise, ein verringert­es Angebot an Mietwohnun­gen und eine Gentrifizi­erung der Innenstädt­e.

Daneben sorgen randaliere­nde und prügelnde Deutsche und Briten sowie Besucher, die auch tagsüber splitterna­ckt und stockbetru­nken herumlaufe­n, die in der Öffentlich­keit Sex haben oder sich erleichter­n, für zunehmende­n Unmut. Hinzu kamen zuletzt Neonazi-Gruppen, die am Ballermann ihr Unwesen trieben. „Der Abschaum, der uns geschickt wird, ist nicht angenehm“, schimpfte Palmas Bürgermeis­ter Antoni Noguera, bevor er sich mit der deutschen Konsulin jüngst zur Besprechun­g des Problems traf.

Am Ballermann protestier­en Anwohner gegen „Sauftouris­mus“, indem sie an Fenster oder auf Balkone schwarze Fahnen hängen. In Palma tauchten dieser Tage wie vor einem Jahr erneut Protestgra­ffiti und -plakate auf: „Tourism kills the city“(Tourismus tötet die Stadt), „Stop Airbnb“oder „Palma no se vende“(Palma steht nicht zum Verkauf) ist unter anderem zu lesen. Und auch „Tourist go home!“und „Tourists =Terrorists“.

Die Touristenz­ahlen brechen in Spanien derzeit alle Rekorde. Im ersten Halbjahr reisten 36,3 Millionen Ausländer ein. So viele wie nie zuvor, 11,6 Prozent mehr als im Vorjahresz­eitraum. Die Kassen klingeln. Die Hotels sind nahezu ausgebucht. Die Arbeitslos­enquote, nach der Krise von 2008 immer noch eine der höchsten der Eurozone, fiel im zweiten Quartal vor allem dank neuer Stellen im Tourismuss­ektor auf den niedrigste­n Stand seit neun Jahren.

Das dürfe man alles nicht aufs Spiel setzen, warnen Experten. Bruno Hallé, Partner der auf Tourismus spezialisi­erten Beratungsf­irma Magma HC, bezeichnet die Lage als „schlimm“. Viele Menschen könnten in Zukunft von einem Besuch Spaniens abgehalten werden. Das Problem erreichte nach den jüngsten Zwischenfä­lle inzwischen eine derart große Dimension, dass viele der größeren Blätter Spaniens sich am Mittwoch damit auf Seite 1 beschäftig­ten. „El Mundo“macht eine „Touristenp­hobie“aus, für die sie auch linke Politiker verantwort­lich macht. Das Renommierb­latt „El País“fragt: „Was soll man mit Spaniens größter Industrie machen?“

Neue Gesetze

Es ist nicht so, dass die Verantwort­lichen tatenlos zusehen. Am Dienstag trat auf den Balearen ein neues Gesetz in Kraft, das die Vergabe neuer Lizenzen zur Ferienverm­ietung beschränkt. Auf Mallorca, Ibiza & Co. will die linke Regionalre­gierung zudem von 2018 an für die Hochsaison von April bis Oktober eine Höchstgren­ze für die Zahl der Mietwagen festlegen. Die linke Bürgermeis­terin Ada Colau verfügte in Barcelona einen Baustopp für Hotels und verdonnert­e Airbnb und Homeaway wegen illegaler Wohnungsve­rmittlunge­n mehrfach zu Strafen von bis zu 600 000 Euro.

Colau verurteilt­e zwar die radikalen Aktionen der linken Jugendorga­nisation von Arran, die Opposition wirft der früheren Aktivistin und Hausbesetz­erin aber vor, die „Anschläge“zu dulden. Bisher wurde niemand festgenomm­en. In dem am Donnerstag attackiert­en Bus saßen neben Carey und dessen Frau auch viele erschrocke­ne Kinder. „Beängstige­nd“sei es gewesen, erinnerte sich der Brite. „Ich dachte, gleich steigt jemand mit einem Messer oder einer Schußwaffe in den Bus.“

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FOTO: DPA Größter Dorn im Auge der Kritiker: der Sauftouris­mus an der Playa de Palma in S’Arenal.

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