Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Kuscheln hilft immer

Im Hochland des Ost-Kongos steht das weltweit einzige Waisenhaus für Berggorill­as

- Von Jürgen Bätz

RUMANGABO (dpa) - Das zwei Monate alte Berggorill­a-Baby Ndakasi hatte sich verzweifel­t an seine von Wilderern getötete Mutter geklammert. So fanden Wächter des Virunga-Nationalpa­rks im Ost-Kongo das verstörte Tier vor zehn Jahren. Heute ist Ndakasi quietschfi­del und spielt gern und oft mit ihren Artgenosse­n oder den Wärtern. Sie ist einer von vier der Menschenaf­fen, die im Nationalpa­rk in einem Waisenhaus für Berggorill­as leben, dem einzigen weltweit. Benannt ist das Senkwekwe-Zentrum nach einem Silberrück­en, der wie Ndakasis Mutter im Jahr 2007 getötet wurde.

„Es ist den ganzen Tag einer von uns bei ihnen im Gehege. Wir spielen mit ihnen, aber wir überwachen sie auch“, erklärt André Bauma, der Leiter des Zentrums. Er kümmert sich schon seit der Nacht des Angriffs vor zehn Jahren um Ndakasi. Wenn Bauma das etwa anderthalb Hektar große Gehege der Gorillas betritt, ist Ndakasi schnell bei ihm. Auch die übrigen Affen buhlen um seine Aufmerksam­keit. „Die Gorillas sind meine Familie“, sagt der 44-Jährige stolz. Sie hätten wie Menschen verschiede­ne Charaktere: Ein Weibchen sei dominant, ein anderes hingegen ruhig, aber eine Egoistin.

Weite Welt hinter der Mauer

Die vier Waisen sind zu einer Familie zusammenge­wachsen und brauchen eigentlich keine Menschen mehr zum Spielen, wie Bauma sagt. Die Wärter sind vor allem da, weil die weite Welt hinter der Mauer mit dem elektrisch­en Zaun immens verlockend ist für die Gorillas. „Ndakasi will immer ausbüchsen, sie ist sehr neugierig“, erzählt Bauma.

Ndakasi entfernt sich plötzlich von den anderen, sucht sich einen Stock und stellt ihn gegen die glatte Wand, um besser hochzukomm­en. Dann geht das Geschrei der Wärter los, um sie zurückzuha­lten. „Sie ist sehr intelligen­t, aber ihre Intelligen­z konzentrie­rt sich immer auf's Brechen von Regeln“, sagt Bauma lachend.

Ab und zu ist Ndakasi schon ausgebüxt. Dann flitzt sie zum Gästehaus des Parks oder ins Büro des Parkdirekt­ors, überglückl­ich im Entdeckerm­odus. „Sie dann wieder zurückzubr­ingen, ist sehr schwierig. Da braucht man Geduld“, sagt Bauma. „Dann muss man ihr ein paar Geschenke machen und ein bisschen mit ihr kuscheln.“

Die Gorillas sind etwa 50 bis 65 Kilogramm schwer. Sie sind schnell und können gefährlich sein. Sie zwingen zu wollen, ist keine Option. Aber Streichele­inheiten wirken. „Nach zwei, drei Stunden kann man sie wieder zurückbrin­gen.“

Die vier Gorillas – Maisha, Ndeze, Matabishi und Ndakasi – können nicht wieder in die freie Wildbahn entlassen werden. Seit ihrer Kindheit leben sie im Gehege. „Sie freizulass­en, würde ihr Leben auf's Spiel setzen. Das könnte schiefgehe­n. Darum wollen wir uns lieber bemühen, ihr Gehege zu verbessern“, erklärt Bauma. Es gibt Pläne – wenn auch noch vage – das Gehege auf rund zehn Hektar auszubauen. Es soll dort eine Mauer geben, die nicht überwunden werden kann. Dann könnten die Gorillas nachts auch im Freien schlafen, sagt Bauma.

Wichtige Einnahmequ­elle

André Bauma, Leiter des Zentrums Im südlichen Teil des Virunga-Nationalpa­rks, dem ältesten Afrikas, leben mit rund 200 Tieren etwa ein Viertel aller Berggorill­as (Gorilla beringei beringei) weltweit. Die übrigen verteilen sich auf das Hochland in den Nachbarlän­dern Uganda und Ruanda. Die Menschenaf­fen sind für den Park eine der wichtigste­n Einnahmequ­ellen. Touristen, die sich nicht vom schlechten Image des Kongos abschrecke­n lassen, können für etwa 400 Dollar (370 Euro) einen Tagesausfl­ug von Goma aus machen und die Tiere in freier Wildbahn beobachten. Im politisch stabilen Nachbarlan­d Ruanda kostet ein Berggorill­a-Ausflug fast das Doppelte.

Der Nationalpa­rk ist rund 7800 Quadratkil­ometer groß – fast neun Mal die Fläche von Berlin. Seit mehr als zwei Jahrzehnte­n kämpfen hier verschiede­ne Milizen um Einflussge­biete und die Kontrolle über Bodenschät­ze, darunter Coltan, Gold und Diamanten. 2013 überrannte eine Rebellengr­uppe, die sogenannte M23, das Gebiet. Die Parkwächte­r waren mitsamt den Gorillas eingekesse­lt. „Das war eine schwierige Zeit“, sagt Bauma. Geholfen habe sicher, dass alle Ranger mit Maschinenp­istolen bewaffnet sind, auch Sandsäcke und Panzerfäus­te waren schnell zur Hand. „Eine Evakuierun­g hätten die Gorillas wahrschein­lich nicht überlebt“. Ein Gorilla, Koboko, verendete damals. Offiziell starb er an einer Infektion. „Aber der Lärm der Mörsergran­aten und Maschineng­ewehre hat ihn so gestresst, dass sein Immunsyste­m zusammenge­brochen ist“, sagt Bauma.

Doch seit den Angriffen vor zehn Jahren mit insgesamt sieben abgeschlac­hteten Tieren ist zumindest kein Gorilla mehr direkt getötet worden. Dafür sorgen nicht zuletzt hunderte schwerbewa­ffnete Ranger. Und während Bauma von den dunklen Tagen erzählt, spielen die Gorillas mit seiner roten Decke.

„Es ist den ganzen Tag einer von uns bei den Affen im Gehege.“

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FOTOS: DPA Spiel mit der Decke: Das Gehege des weltweit einzigen Waisenhaus­es für Menschenaf­fen ist etwa 1,5 Hektar groß.
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FOTO: DPA Ein Berggorill­a kuschelt sich an einen Wärter.

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