Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Mit der Kutsche durchs Watt

Der Postbote der Insel Neuwerk kommt mit dem Pferd oder per Schiff

- Von Janet Binder

NEUWERK (dpa) - Über Michael Stobbes Arbeitszei­ten entscheide­t kein Dienstplan, sondern die Tide. Mehrmals die Woche fährt der Postbote von Cuxhaven mit dem Wattwagen oder dem Schiff auf die zu Hamburg gehörende Nordsee-Insel Neuwerk, um dort Briefe und Pakete zuzustelle­n. Mal geht es früh los, mal am Nachmittag. „Da muss man flexibel sein“, sagt der 61-Jährige.

An diesem Tag beginnt seine Arbeit am frühen Vormittag. Die Sonne scheint, für die Jahreszeit ist es recht warm. Es ist einer der letzten Tage, an denen Stobbe noch per Kutsche über das Wattenmeer nach Neuwerk fährt – zusammen mit zahlreiche­n Touristen im Konvoi. Bald steuert die MS Flipper wieder die Insel an, dann nimmt Stobbe den bequemen Ausflugsda­mpfer.

In der kalten Jahreszeit pendeln nur Wattwagen und Trecker zwischen dem Festland und der rund zehn Kilometer entfernten Insel. „Das Erlebnis mit der Kutsche ist natürlich schöner“, sagt der 61-Jährige. Gerade im Winter, wenn er bei aufgehende­r Sonne mit Kutscher Jan Brütt allein ohne Touristen im Watt unterwegs ist: „Das sind einzigarti­ge Momente“, schwärmt er.

Schon seit über 20 Jahren gibt es auf Neuwerk keine eigene Poststelle mehr, seitdem pendelt ein Zusteller im Winter bis zu drei Mal und im Sommer bis zu sechs Mal die Woche zwischen Insel und Festland. An diesem Tag hat Stobbe eine Kiste mit Briefen sowie elf Pakete dabei.

33 Menschen auf Neuwerk

Vor knapp einem Jahr hat er die Neuwerk-Zustellung von seinem Vorgänger übernommen. Die Insulaner kennt er schon gut. „In der Vor- und Nachsaison haben sie Zeit zum Schnacken“, erzählt Stobbe. Derzeit wohnen auf Neuwerk 33 Menschen, rechnet er nach. „Im Sommer sind es hier doppelt so viele.“Im Ton seien sie rau, aber doch herzlich. Mit fast allen ist er per Du. „Nur mit der Lehrerin nicht, sie ist noch ganz neu hier.“

Auf Neuwerk mit der Kutsche angekommen, muss er sich beeilen. Gerade mal 50 Minuten hat er Zeit für seine Runde mit einem gelben, dreirädrig­en Elektromof­a mit Anhänger. Schließlic­h müssen die Wattwagen rechtzeiti­g aufbrechen, bevor die Flut das nicht mehr zulässt. Das Schiff bietet in der Regel eine längere Aufenthalt­szeit.

Eines der ersten von Stobbe angesteuer­ten Häuser ist das von Christel Backhaus. Für sie hat er eine Tageszeitu­ng und Lotterie-Lose besorgt. „Freundscha­ftsdienste“nennt Stobbe seine Gefälligke­iten. Im einzigen Laden auf Neuwerk gibt es viele Dinge nicht zu kaufen. Wer etwas Dringendes braucht, darf deshalb Stobbe anrufen. Er besorgt es dann schnell und zuverlässi­g. „Das macht man so“, sagt er dazu trocken. Für Christel Backhaus bringt er regelmäßig Lose mit. „Er hat mir schon Glück gebracht“, erzählt die 78-Jährige.

Am nächsten Haus stellt Stobbe drei Pakete mit Lebensmitt­eln vor die Tür. Die Bewohnerin ist nicht da, er schickt ihr eine SMS. „Sie kommt gleich“, sagt Stobbe. Nebenan geht er durch die Hintertür und legt die Post in die Küche. „Nimmst du meine gleich mit?“, fragt Pensionswi­rtin Alina Griebel.

Denn Stobbe stellt nicht nur zu, er verkauft auch Briefmarke­n, nimmt Einschreib­en und Pakete entgegen. Bisher wurden die Insel-Sendungen auf dem Festland abgestempe­lt. Das soll sich bald ändern. Es ist ein Service, den die Post vor allem angesichts der Touristen anbietet. Den Bewohnern ist der Stempel weniger wichtig. „Michael kann man immer anrufen“, sagt Alina Griebel.

Am Ende seiner Tour wartet Kutscher Jan Brütt mit dem Wattwagen. Wenn Stobbe nach eineinhalb Stunden Fahrt wieder in Cuxhaven ist, muss er noch die Sendungen der Insulaner bearbeiten. Dann ist Feierabend – es sei denn, sein Handy klingelt und ein Insulaner bittet um eine Besorgung.

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FOTO: DPA Postbote Michael Stobbe (re.) erreicht mit der Wattkutsch­e seinen Arbeitspla­tz.

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