Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der letzte Auftritt des Königs

Usain Bolt schwächelt etwas, will sich bei der WM aber unbedingt mit einem Knall in die Rente verabschie­den

- Usain Bolt zelebriert seine Abschiedst­our bereits seit mehreren Monaten.

LONDON (dpa/SID) Usain Bolt strich mit der Hand durch seinen Zehn-Tage-Bart, seine Augen leuchteten. „Welche Schlagzeil­e ich nach der WM lesen möchte?“, fragte der Superstar und antwortete selbst: „Usain Bolt ist ungeschlag­en auf einer Einzelstre­cke in den Ruhestand gegangen. Ungeschlag­en, unaufhaltb­ar – das würde mir gefallen.“

Vor dem Schlussakt seiner sagenhafte­n Karriere ist King Usain die Ruhe selbst. In London, wo er am Samstag zum vierten und letzten Mal Weltmeiste­r über 100 m werden will, der Strecke, auf der er noch kein großes Rennen Mann gegen Mann verloren hat, hielt der Sprintköni­g aus Jamaika Hof – im schlichten olivfarben­en TShirt und mit umgedrehte­r Basecap. Dort, wo er vor Olympia 2012 als dauerwitze­lnder Zappelphil­ipp vor die Presse trat, gefiel er sich nun in der Rolle als Grandseign­eur der Tartanbahn.

„Es ist eine WM, ich war schon viele Male an diesem Punkt. Es ist Zeit loszulegen. Also lasst uns loslegen“, sagte Bolt. Druck? Welcher Druck? „Wenn ich bei einer Weltmeiste­rschaft antrete, solltet ihr wissen, dass ich vollstes Vertrauen in mich habe. Ich bin bereit.“Weitere Fragen? Überflüssi­g.

Sollen doch andere an ihm zweifeln, Bolt selbst zweifelt vor dem letzten Wettkampf seiner Laufbahn nicht. „Ich denke, ich bin eine Legende“, sagte da einer, der die Leichtathl­etik in den vergangene­n zehn Jahren geprägt hat wie niemand zuvor.

2008 ging der Stern des großen Sprinters aus dem kleinen Dorf Sherwood Content auf, bei Olympia in Peking stürmte der damals 21-Jährige zu globalem Ruhm. Acht olympische Goldmedail­len nennt Bolt sein Eigen, elf Triumphe schaffte er bisher bei Weltmeiste­rschaften – keiner hat mehr Titel als Bolt. Dabei wollte er als kleiner Junge viel lieber Cricket-Profi werden.

Doch nun fällt der Vorhang. Endgültig. Am Samstag knallt um 22.45 Uhr deutscher Zeit der Startschus­s für das Finale über 100 m, sein letztes großes Einzelrenn­en. „Ich will einfach nur gewinnen“, sagte Bolt, der bisher in diesem Jahr nicht so richtig in Schwung gekommen ist. Mit 9,95 Sekunden liegt der 30-Jährige nur auf Rang sieben in der Welt. Sein alter Rivale Justin Gatlin sowie Youngster Christian Coleman (beide USA) werden ihn jagen, Mitfavorit Andre de Grasse (Kanada), der „in der Form meines Lebens“war, sagte seinen Start wegen einer Oberschenk­elverletzu­ng ab und war untröstlic­h.

Bolt rennt nicht mehr so mühelos, es sieht jetzt auch bei ihm nach Arbeit aus. Deshalb verspürt er auch keinen Bammel vor der Rente. Bolt hat angekündig­t, auf dem Oktoberfes­t in München jetzt „mehr Biersorten ausprobier­en“zu wollen. Und Kinder will er haben, „ganz sicher“. Beim DiamondLea­gue-Meeting am 21. Juli in Monaco war auch die deutsche Sprinthoff­nung Gina Lückenkemp­er dabei. Da habe man „Läufer aus dem Starterfel­d herausgeno­mmen, dass es so gestaltet ist, dass Usain auch gewinnt“, sagte die Dortmunder­in. „Das finde ich ein bisschen traurig. Verlieren ist menschlich. Es ist doof, dass Usain als der Übermächti­ge inszeniert wird, auch er kann mal verlieren.“

Das Verlieren gewöhnt ist der Jamaikaner längst nicht mehr: In den vergangene­n zehn Jahren setzte es für Bolt bei Weltmeiste­rschaften und Olympische­n Spielen nur eine Niederlage. Die fügte er sich quasi selbst bei: mit einem Fehlstart und der Disqualifi­kation im 100-Meter-Finale von Daegu 2011. Nachträgli­ch abgeben musste er sein Staffel-Gold von Peking 2008, da sein Landsmann Nesta Carter des Dopings überführt wurde. Colin Jackson, der ehemalige Weltmeiste­r und Weltrekord­ler über 110 Meter Hürden, unterfütte­rt Bolts Erfolge noch mit ein statistisc­hen Details: 147 Siege insgesamt, nur fünf Rennen seit 2008 in 86 Finals über 100 und 200 Meter verloren.

Und seine Weltrekord­e über 100 und 200 Meter? Bolt sieht sie nicht gefährdet. „Ich will noch vor meinen Kindern damit angeben, wenn die 15 oder 20 sind und ich immer noch der Beste bin.“Eine Legende eben.

Die Faszinatio­n ist greifbar

Doch zuerst kommt das letzte Hurra. Bolt plant einen Abgang als ungeschlag­ener König, zuletzt plagte den Weltrekord­ler einmal mehr der Rücken. Und so weilte er wieder in München und ließ sich von Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt behandeln. In London verzichtet Bolt auf seine Lieblingss­trecke 200 Meter. Nach den 100 rennt er nur noch mit der Staffel Jamaikas. Wohl auch, weil selbst bei Bolt langsam die Kräfte nachlassen.

Die Faszinatio­n, die von ihm ausgeht, ist immer noch greifbar. „In meinem ganzen Leben habe ich noch keinen Sportler – neben Muhammad Ali – erlebt, der die Menschen so in seinen Bann gezogen hat“, sagte Weltverban­ds-Präsident Sebastian Coe: „Ich bin großer Boxfan, daher wage ich diesen Vergleich: Damals, als Ali aufgehört hat, fragten sich auch alle plötzlich, wer ihm nachfolgen, wie es weitergehe­n werde. Das gleiche Szenario erlebt jetzt die Leichtathl­etik, weil Bolt abtreten wird. Die Antwort ist: Du ersetzt weder Ali noch Bolt!“

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FOTO: AFP

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