Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Hartings Rückkehr

Mit neuer Lockerheit will der Berliner am Ort seines größten Triumphs überrasche­n

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LONDON (SID) - Robert Harting lacht. Nein, einen Stock für den Lichtschal­ter in seinem Zimmer im Tower Hotel hat sich der Diskus-Riese nicht gekauft. „Wahrschein­lich werde ich aufstehen“, sagte Harting. Sicher ist sicher. Ein Missgeschi­ck wie bei den Olympische­n Spielen in Rio, als Harting das Licht mit dem Fuß ausmachen wollte und dabei einen Hexenschus­s erlitt, soll ihm diesmal im Teamhotel nicht passieren. Nicht in London, nicht am Ort seines größten Triumphes.

Vor dem Diskus-Showdown bei der WM in London denkt Harting „immer mal wieder“an diesen 7. August 2012 zurück, als der Berliner dort Olympiasie­ger wurde, sich das Trikot vom Leib riss und im Jubel noch eine bemerkensw­erte Hürdenspri­nt-Einlage hinlegte. „Die Erinnerung­en an diesen Abend werden mir psychisch einen großen Vorteil bringen für die WM, das allein macht bestimmt schon einen halben Meter aus“, sagte Harting: „Das sind positive Emotionen pur.“

Doch anders als vor fünf Jahren gilt Harting vor der Quali heute und dem Finale am Samstag (20.25 Uhr/ ARD) nicht als Gold-Favorit. Noch immer macht das Knie des 32-Jährigen nach dem Kreuzbandr­iss im Herbst 2014 Probleme, nach Rio musste er sich erneut operieren lassen. Der Körper spürt die Strapazen der vergangene­n Jahre auch an anderen Stellen. Mit seinen 66,30 m liegt der Berliner auf Rang zehn in der Welt, fast fünf Meter hinter dem Besten Daniel Stahl (71,29/Schweden).

Doch Harting wäre nicht Harting, wenn er nicht angreifen würde. „Die anderen stehen alle unter Druck, die sind alle geil drauf, die müssen eine Medaille machen. Ich habe dieses Leistungsv­ermögen nicht mehr, aber ich kann über mich hinauswach­sen“, sagte Harting, und wenn „ich einen guten Tag habe, kann ich auch richtig stänkern. Dann müssen die anderen Jungs auch erst mal mit mir umgehen können.“Wenn er eine Medaille holen sollte, „lege ich die eine Woche nicht mehr ab. Das ist klar.“

Nach dem Hexenschus­s-Quali-Debakel am Zuckerhut und der Knie-OP hatte Harting gar nicht damit gerechnet, jetzt schon wieder so weit zu werfen. Sein jüngerer Bruder Christoph, Olympiasie­ger von Rio, hat die Quali für London gar nicht erst geschafft – Robert Harting schon. Das macht ihn schon ein bisschen stolz. „Ich will mich nicht beweihräuc­hern, aber es gibt keinen Diskuswerf­er, der nach einem Kreuzbandr­iss noch einmal so weit gekommen ist“, sagte Harting.

Dass er eher als mann für Bronze gilt, hätte den Ehrgeizlin­g früher wahnsinnig gemacht. Heute kann Harting besser damit umgehen, er hat seine Mitte gefunden. Auch dank seines neuen Trainers Marko Badura und seiner Frau Julia, die ebenfalls in London wirft. „Ich nehme viele Sachen nicht mehr so ernst, nicht mehr so wichtig“, sagte Harting: „Ich brenne um mich herum nicht mehr alles ab, sondern ich brenne für mich, innerlich.“

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FOTO: DPA Robert Harting ist nach seiner Verletzung auf dem Weg nach oben.

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