Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Würde ich wegschmeiß­en“

Doping – 16 Medaillen werden bei WM neu vergeben

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LONDON (dpa) - Bitterkeit, Gerechtigk­eit und Genugtuung: Vor der erstmalige­n Vergabe von 16 Medaillen bei den Weltmeiste­rschaften in London an Leichtathl­eten, die wegen nachträgli­ch geahndeter Dopingverg­ehen in den Ergebnisli­sten hochgerück­t sind, schwingt von allem etwas mit. „Ich finde es gut, dass es bei der WM und in aller Öffentlich­keit gemacht wird“, sagte Deutschlan­ds schnellste Sprinterin Gina Lückenkemp­er. „Bisher hat man die Medaillen nachträgli­ch nur so unter der Hand bekommen.“Oder per Post.

Allerdings hofft die EM-Dritte über 200 Meter und Olympia-Vierte mit der 4x100-Meter-Staffel nicht, dass ihr das irgendwann passiert. „Dann hätte ich einen Hass auf die Menschheit“, sagte die Dortmunder­in. „Wenn wir nach Rang vier in Rio nachträgli­ch eine Medaille bekommen würden, wäre ich mächtig sauer. Denn der Moment und das Gefühl bei einem solchen Erfolg würde mir geklaut werden.“

Ihr Sprint-Kollege Julian Reus sieht es ähnlich. „Es ist für mich nicht so wichtig eine Medaille zu Hause zu haben, sondern die emotionale­n Momente im Stadion sind wichtig – und nicht zehn Jahre danach“, sagte der deutsche 100-Meter-Rekordhalt­er. „Die Energie, die man in den Sport reingibt, kann man sich in solchen Momenten wieder holen. Das bleibt einem dann verwehrt.“Reus erreichte mit der deutschen Sprint-Staffel bei den Welttitelk­ämpfen 2013 und 2015 jeweils Platz vier.

Besonders drastisch formuliert Zehnkämpfe­r Rico Freimuth den Umgang mit der nachträgli­chen Ehrung. „Wenn ich fünf Jahre später eine Medaille bekäme, die so lange bei einem bescheuert­en Doper gelegen hat, würde ich sie wegschmeiß­en“, meinte der WM-Dritte von 2015.

Für Ex-Siebenkämp­ferin Jennifer Oeser, die als einzige Deutsche am Sonntag im Olympiasta­dion auf das Siegerpode­st steigen darf, um die WM-Bronzemeda­ille von 2011 in eine aus Silber umzutausch­en, ist es eher ein Schritt in die richtige Richtung. Sie freue sich, in London nach über sechs Jahren „der Gerechtigk­eit ein Stück näher zu kommen“. Besonders gefeiert werden dürfte die Britin Jessica Ennis, die in den Goldrang aufsteigt und offiziell zur Weltmeiste­rin von 2011 wird. Die Russin Tatjana Tschernowa war erwischt worden. „Es ist nicht das gleiche emotionale Wahrnehmen eines Erfolges, aber ein Ausdruck dafür, dass Sportbetrü­ger nachträgli­ch entlarvt werden können“, erklärte der deutsche Cheftraine­r Idriss Gonschinsk­a. „Das gibt Hoffnung.“

Auch Weltverban­dspräsiden­t Sebastian Coe weiß, dass es „niemals eine komplette Kompensati­on sein wird“. Deshalb müssten solche nachträgli­chen Ehrungen im angemessen­en Rahmen zelebriert werden und dürften nicht in einer „lokalen Kneipe“stattfinde­n. Insgesamt werden elf Einzelspor­tler und fünf Staffeln in London nachträgli­ch geehrt.

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