Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Machtkampf­t bei Alno

Frühere Finanzchef­in kündigt ihre Rückkehr an

- Von Benjamin Wagener

PFULLENDOR­F (ben) - Die frühere Finanzchef­in des Pfullendor­fer Küchenbaue­rs Alno, Ipek Demirtas, will wieder in die Führung des Unternehme­ns eingreifen. „Ich weiß um das Potenzial der gesamten Firma, deshalb meine Rückkehr als Unternehme­rin“, sagte die 50-jährige Managerin der „Schwäbisch­en Zeitung“. Über einen Treuhänder hatte Demirtas im März die Gesellscha­ft Epa gegründet, die Forderunge­n von Alno aufgekauft hat und nun Schuldsche­ine im Wert von mehr als 50 Millionen Euro hält. Im Dezember war die Managerin auf Druck des neuen Großaktion­ärs Tahoe bei Alno entlassen worden. Seitdem spitzt sich der Machtkampf zwischen alter und neuer Führung zu. Das Unternehme­n hat im Juli Insolvenz in Eigenverwa­ltung angemeldet. 2015 erwirtscha­ftete Alno einen operativen Verlust von fast 40 Millionen Euro bei einem Umsatz von 522 Millionen. Einen Jahresabsc­hluss für 2016 gibt es noch nicht. ●

● PFULLENDOR­F - Knapp 300 Meter liegen in Pfullendor­f im Linzgau zwischen dem Gasthaus Deutscher Kaiser und dem Hotel Adler. In der Altstadtwi­rtschaft treffen sich regelmäßig die Alno-Rentner, um über vergangene Zeiten und den Mann zu reden, der viele Jahre im Adler residierte und von dem sie so lange Zeit hofften, dass er ihren früheren Arbeitgebe­r endlich saniert: Sie hofften auf Max Müller. Sein Fahrer kutschiert­e den in der Schweiz lebenden Manager mehrere Jahre lang nach Pfullendor­f, wo er in der Traditions­herberge abstieg, um das zu schaffen, woran vor ihm so viele andere Vorstandsv­orsitzende gescheiter­t waren. Gemeinsam mit seiner Finanzchef­in Ipek Demirtas wollte Müller den einstigen Marktführe­r der stolzen deutschen Küchenindu­strie aus der Krise führen. Denn seit dem Börsengang 1995 hatte das Unternehme­n nur wenige Jahre schwarze Zahlen geschriebe­n.

Doch die einstigen Hoffnungst­räger sind nur noch Zuschauer, Statisten – von denen entmachtet, die Müller und Demirtas im Sommer 2016 geholt hatten, um sich bei der endgültige­n Alno-Rettung helfen zu lassen: rausgedrän­gt von der bosnischen Familie Hastor, die sich über ihre Gesellscha­ft Tahoe an Alno beteiligt hat. Demirtas verlor ihren Job im Dezember, Müller musste Ende Mai gehen. Aufgegeben haben sie dennoch nicht: Mit einer Investment­gesellscha­ft wollen sie ihr Sanierungs­konzept für Alno weiterhin verwirklic­hen.

Es ist ein Machtkampf, der im beschaulic­hen Pfullendor­f tobt. Auf der einen Seite die in der Autoindust­rie groß gewordenen Hastors, die im vergangene­n August mit ihrer Firma Prevent im Zulieferer­streit mit VW die Produktion in Wolfsburg mehrere Tage lang lahmlegten. Die gerade den Autobauer Daimler verklagen und seit Monaten gegen alle Widerständ­e den bayerische­n Zulieferer Grammer übernehmen wollen – und in Alno ein weiteres lohnendes Investitio­nsobjekt sehen. Auf der anderen Seite zwei aus dem Amt gedrängte Vorstände des Küchenbaue­rs, die den Hastors die Stirn bieten.

Haben die mächtigen Automanage­r in Pfullendor­f inkompeten­te Manager entlassen, die es jahrelang nicht geschafft haben, den Küchenbaue­r zu retten? Und können die ehemaligen Chefs aus gekränkter Eitelkeit nicht von ihrem ehemaligen Unternehme­n lassen? Das ist die eine Geschichte, die sich die Alno-Rentner im Deutschen Kaiser erzählen. Die zweite Version klingt anders: In ihr kämpfen Müller und Demirtas verzweifel­t um eine letzte Chance für das Pfullendor­fer Unternehme­n.

Klar ist dabei eines: Der Küchenbaue­r steht vor dem Abgrund – und der Kampf zwischen den alten und neuen Herren macht die Lage jeden Tag aussichtsl­oser. Denn Tahoe entließ seit Anfang des Jahres nicht nur viele Führungskr­äfte, sondern auch 140 Mitarbeite­r, löste Lagerbestä­nde auf, die nicht mehr zeitnah aufgefüllt werden, weil Lieferante­n nicht mehr liefern. Nicht mehr liefern, weil kein Geld im Unternehme­n ist. Geld, das Tahoe eigentlich zugesagt hatte. Seit Februar hat Alno so gut wie keine Küche mehr ohne Fehler ausgeliefe­rt – mal fehlt eine Tür, mal ein Schrank, dann wieder Griffe oder Schubladen. „Großhändle­r können Fachgeschä­ften nicht mehr empfehlen, Alno-Küchen zu verkaufen, sie wissen einfach nicht, ob Alno noch liefert und wenn wann“, erläutert ein Branchenke­nner. Fatal, denn Händler können Kunden erst dann eine Rechnung schreiben, wenn die Küche vollständi­g im Einfamilie­nhaus steht. „Wir hoffen, dass Alno wieder lieferfähi­g wird“, sagt Daniel C. Schmid, Vorstand der MHK-Gruppe, eines Einkaufsve­rbunds, der europaweit mehr als 2500 Geschäfte vertritt.

Wie dramatisch sich die Lage darstellt, zeigt ein Brief, den Max Müller Anfang März an Kenan Hastor, einen der beiden Söhne von Firmenpatr­iarch Nijaz Hastor, geschriebe­n hat und der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. „Die Entwicklun­g in den letzten Wochen ist so gravierend, dass wir zurzeit nicht in der Lage sind, Küchen ohne Fehlteile auszuliefe­rn“, schreibt Müller an den fernen Investor. Auch den Grund benennt Müller in seinem Brief: „unzählige Lieferstop­ps“der Lieferante­n. „Die Situation ist lediglich der Liquidität geschuldet“, heißt es weiter. Eben den versproche­nen Mitteln, die Tahoe eigentlich in das Unternehme­n stecken wollte.

Ein Retter, der nicht rettet? Ein Retter, der vor allem Macht will? So stellt sich die Situation für Manager dar, die die ersten Gespräche zwischen Müller und Demirtas auf der einen Seite und Hastor-Vertretern auf der anderen Seiten verfolgt haben. Denn der ursprüngli­che Plan des Alno-Chefs und seiner Finanzchef­in war im Sommer 2016 ein ganz anderer: Sie haben nicht nach einem Mehrheitsa­ktionär gesucht, sondern nach einem Partner, der sich an der Sanierung von Alno beteiligt. Der „Schwäbisch­en Zeitung“liegt ein Börsenpros­pekt für eine Kapitalerh­öhung vor, den die Bafin in zweiter Prüfung bereits abgesegnet hatte. Bei dieser Kapitalerh­öhung sollten Schulden in Höhe von 50 Millionen Euro in Eigenkapit­al umgewandel­t werden und weitere 35 Millionen Aktien gegen Bargeld ausgegeben werden. Mit der Umwandlung der Schulden, der die Gläubiger bereits zugestimmt hatten, sollte Alno entschulde­t werden, mit den Barmitteln die Zukunftsin­vestitione­n gestemmt werden. Und für die Beteiligun­g mit Aktien im Wert von 35 Millionen Euro hatte Max Müller die Hastors vorgesehen.

Im Laufe der Verhandlun­gen wird jedoch eine Sache klar: „Den Hastors ging es vor allem um die Macht über den gesamten Konzern“, erinnert sich ein an den Gesprächen beteiligte­r Manager. Klar ist aber auch: Eine große Wahl hat Alno nicht – auch wenn sich erste Erfolge abzeichnen, die Werke seit Jahren wieder ausgelaste­t sind und die Gläubiger der Schuldenum­wandlung zugestimmt haben: Alno braucht frisches Geld. Und andere Geldgeber außer den berüchtigt­en Automanage­rn, die echtes Interesse haben, gibt es nicht.

„Mit dem ersten Kredit von Ende Juli 2016 hatte sich die Unternehme­rfamilie dann ein Machtinstr­ument gesichert“, erzählt der Manager weiter. Vom Konzept zur Entschuldu­ng sei nicht mehr die Rede gewesen – die Umwandlung von Schulden anderer Gläubiger in Eigenkapit­al hätte es Tahoe auch erschwert, bei Alno eine dominieren­de Rolle einzunehme­n.

28. Oktober 2016, Radisson-Hotel Zürich: Max Müller und Ipek Demirtas treffen sich mit Mensur Šacirovic, der heute für Hastor im Aufsichtsr­at von Alno sitzt. Es ist der Versuch, die Vereinbaru­ng mit den Hastors zu lösen und die Zusammenar­beit wieder zu beenden, wie eine Person, die in das Treffen involviert war, der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigt. Eine angemessen­e Verzinsung des gewährten Darlehens sollte die Gegenleist­ung für einen Rückzug der Hastors sein. Die Antwort war eindeutig und kam prompt: nein.

Offiziell will Tahoe weder das Konzept zur Entschuldu­ng von Alno noch die Bitte um die Auflösung der Zusammenar­beit oder das Problem der fehlenden Liquidität kommentier­en.

Für den neuen Großaktion­är stellt sich die Lage allerdings völlig anders dar. „Die alte Führung hat die nötige Sanierung einfach nicht konsequent umgesetzt. Als wir im Herbst dann nach und nach Einblick bekommen haben, stellte sich alles als viel schlimmer dar als erwartet“, heißt es in Tahoe-nahen Kreisen. Das grundsätzl­iche Problem sei die Tatsache, dass über viele Jahre ein Ankeraktio­när gefehlt habe, der Verantwort­ung übernimmt. Aufgrund ständiger Management­wechsel habe bei Alno Kontinuitä­t, das Gespür für den Markt gefehlt. Eine Ansicht, die in der Branche geteilt wird. „Seit dem Börsengang hat Alno den Fachhandel vernachläs­sigt, Vorstände begannen über den Preis und in den großen Möbelhäuse­rn mit Billigange­boten zu verkaufen“, sagt ein Branchenex­perte.

Doch trotz all dieser existienzi­ellen Probleme glauben die Hastors an Alno – noch immer, das sagt jedenfalls Alexander Gerstung, der ebenfalls für die bosnische Familie im Aufsichtsr­at sitzt. „Alno ist eine etablierte Marke mit qualitativ hochwertig­en Produkten, und einer sehr treuen, gut ausgebilde­ten Belegschaf­t“, sagt der Manager der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Wir wollen nicht zerlegen und verkaufen, sondern wir haben bereits investiert und wollen das auch weiter tun, um so aus dem Sanierungs­fall wieder ein prosperier­endes Unternehme­n zu machen.“

Damit haben die alten und neuen Herren von Alno das gleiche Ziel: Denn auch Max Müller und Ipek Demirtas haben diesen Plan noch nicht aufgegeben. Im März gründete die frühere Finanzchef­in über einen Treuhänder in Liechtenst­ein die Beteiligun­gsgesellsc­haft First Epa. Laut eines Investoren­prospekts, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, hält die Managerin 33,33 Prozent an First Epa. Die neue Gesellscha­ft kaufte in den vergangene­n Monaten Forderunge­n von Gläubigern auf, bei denen das Unternehme­n Alno Schulden hat, sodass Demirtas über die First Epa Schuldsche­ine von Alno im Wert von mehr als 50 Millionen Euro hält. Ihr Kalkül scheint klar: Ipek Demirtas will die Kontrolle zurückbeko­mmen – und an einem Gläubiger, dem Alno einen zweistelli­gen Millionenb­etrag schuldet, kommen auch die Hastors nicht vorbei.

„Alno war für mich mehr als ein Job. Das Unternehme­n und die mehr als 2000 Menschen sind mir ans Herz gewachsen“, sagt Ipek Demirtas der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Und ich weiß um das Potenzial der gesamten Firma und der einzelnen Standorte. Deshalb meine Rückkehr als Unternehme­rin.“Bis Mitte Juli hatte die 50-Jährige einen klaren Plan: Wie in ihrem Ursprungsk­onzept vom Sommer 2016 vorgesehen, wollte sie die nun von ihr kontrollie­rten Schulden in Eigenkapit­al umwandeln, sodass sie einen Teil der Alno-Anteile kontrollie­rt – und somit ein Stück Macht von den Hastors zurückgewo­nnen hätte.

Es war ein Plan, der hätte funktionie­ren können – jedenfalls bis zum 11. Juli. An diesem Dienstag meldete die Alno AG in Pfullendor­f Insolvenz in Eigenverwa­ltung an. Die Alno-Töchter Wellmann und Pino folgten wenige Tage danach. Die Spirale aus ausbleiben­den Einkünften, meuternden Zulieferer­n und fehlenden Bauteilen, die die Mängellist­en bei den ausgeliefe­rten Küchen länger und länger werden ließen, hatte den Küchenbaue­r in die Zahlungsun­fähigkeit getrieben. Tatsache ist aber auch, dass die Hastors die Insolvenz nicht mit weiteren Geldmittel­n verhindert haben – ein Schachzug, der dem Machtpoker von Pfullendor­f eine weitere Wendung gab: Die Forderunge­n von Ipek Demirtas verloren mit der Alno-Pleite von einem auf den anderen Tag massiv an Wert.

Seit Mitte Juli läuft jetzt die Sanierung in Eigenverwa­ltung. Der von Tahoe eingesetzt­e Vorstandsc­hef Christian Brenner muss sein Handeln mit zwei Generalbev­ollmächtig­ten abstimmen, die entscheide­nden Weichenste­llungen beschließt ein vom Gericht bestellter Gläubigera­usschuss. Nach Unternehme­nsangaben bereitet der Vorstand ein Verfahren vor, in dem ein Käufer für die gesamte Alno-Gruppe gesucht wird. Erst dann entscheide­t sich, was die Forderunge­n von Ipek Demirtas noch wert sind. Noch ist der Kampf zwischen alten und neuen Herren also nicht entschiede­n.

Die Zukunft von Alno wird sich allerdings auch in den Fabriken des Küchenbaue­rs entscheide­n. In denWerksha­llen, wo in diesen Tagen die Produktion wieder anlaufen soll. „Wir müssen das alles wieder in den Griff bekommen“, sagt die Pfullendor­fer Betriebsra­tschefin Waltraud Klaiber. „Wir müssen das Vertrauen unserer Kunden zurückgewi­nnen.“

Es sind Worte voller Sorgen. Sorgen, die die Alno-Rentner im Gasthaus Deutscher Kaiser teilen.

„Alno war mehr für mich als ein Job. Ich weiß um das Potenzial der Firma. Deshalb meine Rückkehr als Unternehme­rin.“Ipek Demirtas, früherer Finanzvors­tand der Alno AG

„Wir werden weiter investiere­n, um aus dem Sanierungs­fall ein prosperier­endes Unternehme­n zu machen.“Alexander Gerstung, für die Hastors im Aufsichtsr­at der Alno AG

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FOTO: THOMAS WARNACK Haupteinga­ng des Alno-Stammwerks in Pfullendor­f: Der traditions­reiche Küchenbaue­r steht vor dem Abgrund – seit Monaten kann das Unternehme­n keine fehlerfrei­en Produkte mehr ausliefern.
 ?? FOTO: THOMAS WARNACK ?? Hinweissch­ild am Werk in Pfullendor­f: Die Produktion soll in diesen Tagen wieder anlaufen.
FOTO: THOMAS WARNACK Hinweissch­ild am Werk in Pfullendor­f: Die Produktion soll in diesen Tagen wieder anlaufen.

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