Glückstempel für Naschkatzen
Das Chocolarium in Flawil erklärt unterhaltsam, wie Schokolade entsteht
E● s ist wahrlich eine süße Versuchung, der die Deutschen nur allzu gern erliegen: Durchschnittlich 9,7 Kilogramm Schokolade hat jeder Bundesbürger 2016 vertilgt, behaupten die Statistiker. Gieriger sind in Europa etwa die Schweizer mit elf Kilogramm pro Kopf. 9,7 Kilogramm entsprechen immerhin 97 handelsüblichen Tafeln. Oder eben knapp 55 000 Kilokalorien, was den Bedarf von 27 Tagen locker decken könnte. Ein Genussmittel, das die Waage zu Höchstleistungen treibt, die Zähne attackiert – und trotzdem glücklich machen kann, wie Wissenschaftler herausgefunden haben. Schokolade – hergehört, hungernde Diätgeplagte! – enthält nämlich die Aminosäure Tryptophan, die im Körper zum Hormon Serotonin umgebaut wird, einem Auslöser von Wohlgefühl. Wie aber kommt das Glück überhaupt in den zartschmelzenden, braunen Freudenspender? Eine Frage, die sich in „Maestrani’s Chocolarium“im ostschweizerischen Flawil, nur wenige Kilometer von St. Gallen entfernt, locker und lecker beantworten lässt – Naschen inklusive.
Königlicher Hoflieferant
„37 Meter bis zum Glück“, lesen wir auf dem Parkplatz der traditionsreichen Maestrani Schweizer Schokoladen AG, die im ausgehenden 19. Jahrhundert Italiens König Umberto I. beliefern durfte. Lächerliche 3700 Zentimeter also noch bis in die 2000 Quadratmeter große Erlebniswelt, die für über zehn Millionen Franken (knapp neun Millionen Euro) an die Fabrikation angebaut und in diesem Jahr eröffnet wurde. Da läuft uns doch schon jetzt das Wasser im Munde zusammen.
Zunächst aber startet der Rundgang, der die spannenden Abläufe der Schokoladenherstellung erklärt, etwas genussarm in einem kleinen Kino mit einem informativen Filmchen zum Thema. Die Sitzgelegenheit bequem, der Ton heiter statt dozierend, die Dauer mit fünf Minuten auch für Kinder erträglich – das lässt sich ja gut an. Aber wo ist denn nun das versprochene Naschwerk?
Nur Geduld, das Chocolarium ist schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden. Weiter geht’s also in den Rohstoffraum – wohl wissend, dass 100 Schritte etwa drei Kilokalorien verbrennen. Man will ja später nicht gleich zunehmen! Hier erfahren wir allerlei über die Kakaobohne, dürfen tasten und riechen und staunen, dass jede Bohne 400 Aromastoffe enthält. Nicht geahnt hätten wir auch, dass erst die Erfindung des Milchpulvers 1867 – natürlich in der Schweiz – die Schokolade in ihrer heutigen Form ermöglicht hat. Flüssige Milch ist nämlich viel zu wässrig, um mit der Kakaobutter in der Schokoladenmasse eine stabile Emulsion eingehen zu können. Aha! Und wüssten Sie auf Anhieb, wie Zucker entsteht, dass 60 000 Zuckerrüben die Fläche eines Fußballfelds belegen, bevor sie zu 10 000 Kilogramm Zucker verarbeitet werden können? Eben.
Hemmungslos probieren
All das (und noch viel mehr) vermittelt die – selbstverständlich nicht werbefreie – Erlebniswelt abwechslungsreich, kurzweilig, anschaulich mit vielen Exponaten, knappen Texten auf Tafeln und Bildschirmen, interaktiv und bisweilen auch spielerisch. Da dürfen wir uns beispielsweise am künstlichen Euter versuchen, während die Kuh – offenbar unzufrieden mit unserer Handarbeit – mürrisch aus dem Lautsprecher muht. Dass 2,7 Liter Milch angesichts des Zeitaufwands ein eher dürftiges Ergebnis sind, verrät der Computer obendrein. Ein wirklich lustiges Klassenzimmer, dieses Chocolarium. Lediglich gegessen haben wir immer noch nichts.
Dankenswerterweise naht jetzt aber die Glücksschleuse – mit drei riesigen Töpfen voll mit flüssiger weißer, dunkler und heller Schokolade. Mit Plastiklöffeln darf nach Herzenslust probiert werden. Und ja, wir wähnen uns sogleich ein wenig glücklicher.
Ein Gefühl, das auf der über 80 Meter langen Glasgalerie vertieft wird. Denn dort werfen wir nicht nur einen Blick auf die hochmoderne, weitgehend automatisierte Produktion bei Maestrani, sondern dürfen uns endlich auch hemmungslos am Naschwerk bedienen. Kein Problem also mehr, dass die fertigen Schokoladentafeln auf langen Bändern unter unserer Nase vorbeiziehen. Derart gestärkt sind wir dann auch weitaus aufnahmefähiger für all die vielen Erklärungen zu den einzelnen Produktionsschritten und verkraften es, dass die Realität in einer solchen Fabrik herzlich wenig zu tun hat mit den romantisierenden Werbefilmen aus vermeintlichen Schokolaboratorien, die vor allem in der Vorweihnachtszeit über deutsche Fernseher flimmern. Gleichzeitig keimt aber auch ein wenig Neid auf: Gilt für die Angestellten doch Tag für Tag die sogenannte Schoggi-Flatrate, die Glück ohne Ende verheißt.
Immer noch nicht satt? Dann bieten sich vielleicht das Gießen und individuelle Verzieren einer eigenen Schokolade an, was allerdings mit üppigen zehn Franken (knapp neun Euro) für 180 Gramm ein bisschen aufs schwäbische Gemüt schlägt. Angehende Meister bevorzugen wahrscheinlich ohnehin die bei Maestrani regelmäßig stattfindenden Gießkurse für Tafeln, Hasen und Herzen.
Teuerste Praline der Welt
Was wir sonst noch – außer gefühlten zwei Kilo mehr Körpergewicht – mitnehmen aus dem Chocolarium? Die Erkenntnis, dass die teuerste Praline der Welt namens „La Madeline au Truffe“200 Euro kostet – pro Stück, wohlgemerkt. Dass Popsängerin Madonna noch ein paar Kreuzer draufgelegt hat, um das gute Stück mit ihren Initialen verzieren zu lassen. Gegoogelt haben wir hingegen, dass auch Sojabohnen die Aminosäure Tryptophan enthalten und somit Glückshormone produzieren können. Da bleiben wir aber lieber bei der Schokolade.