Das Schnakenloch
In Tuttlingen soll die Donau nach Vorgabe des Umweltministeriums um einen Meter abgestaut werden – Dagegen regt sich Widerstand
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TUTTLINGEN - Die Aufregung in Tuttlingen ist groß: Baden-Württembergs Umweltministerium und damit auch das Regierungspräsidium Freiburg und das Tuttlinger Landratsamt wollen, dass ein Stauwehr in der Innenstadt in den Sommermonaten um einen Meter abgesenkt wird. Damit sollen Defizite in der Wasserqualität der Donau behoben werden. Doch dagegen regt sich Protest. Denn anders als etwa in Ulm ist die Donau in Tuttlingen ohne den Aufstau im Sommer kein großer Fluss, sondern eher ein Bach mit zahlreichen Trockenstellen.
Die aufgestaute Donau, die durch ein Wehrmanagement seit dem Jahr 2011 bereits im Winter abgestaut wird und wodurch schon eine deutliche Verbesserung bei der Wasserqualität erreicht worden ist, gehört zum prägenden Bild der Stadt. Darüber sind sich alle Parteien in der Diskussion einig. Eine Bürgerinitiative hat sich gebildet mit dem Ziel, den Abstau zu verhindern. Die Stadt rechnet durch das Absenken des Flusses und die dadurch notwendige Uferanpassung mit Ausgaben von möglicherweise bis zu zwölf Millionen Euro. Sie fordert daher eine Zusage vom Land, sich an diesen Kosten zu beteiligen. Schließlich sieht das Ufer unterhalb des im Jahr 2003 zu einer kleinen Landesgartenschau gestalteten Donauparks recht unschön aus. Rechtlich gehört das Bett der Donau als Fluss der ersten Ordnung dem Land, das Ufer der Stadt. Von daher gibt es keinen Rechtsanspruch auf eine Kostenbeteiligung für die Ufergestaltung durch das Land BadenWürttemberg. Schließlich besagt das Wassergesetz Baden-Württemberg, dass die Grenze zwischen dem Bett eines Gewässers und den Ufergrundstücken durch die Linie des Mittelwasserstands bestimmt wird.
50 Millionen Euro Kosten
„Wir sollten das Thema ergebnisoffen diskutieren. Die Millionenbeträge für den Umbau kann die Stadt nicht zahlen“, sagte Tuttlingens Oberbürgermeister Michael Beck bereits im Mai – zumal die Stadt in den kommenden Jahren die Sanierung der beiden städtischen Gymnasien schultern muss. Aktuell prognostizierter Kostenpunkt: rund 50 Millionen Euro. „Wir müssen die Höhe der Kosten und die Verteilung besprechen“, meinte auch Tuttlingens Erster Landesbeamte Stefan Helbig. Eine juristische Auseinandersetzung will er vermeiden: „Das ist der falsche Weg.“
Für Beck hat jedoch Priorität, dass die Donau in der Innenstadt aufgestaut bleibt und damit weiter zu einem schönen Stadtbild beiträgt. Allerdings läuft die Genehmigung für den Betrieb des Wehrs Ende des Jahres aus. Die Stadt muss einen Antrag auf Weiterbetrieb stellen und dazu ein Standsicherheitsgutachten erstellen lassen – das gilt auch für den Abstau des Wehres um einen Meter. Dazu ist derzeit die Anlage komplett abgesenkt worden, was einen Hinweis darauf gibt, wie sich das Stadtbild von April bis Oktober verändern könnte: ein schmales Flüsschen mit steil abfallenden Ufern, durch das man an vielen Stellen fast durchwaten kann.
Es sind nicht nur junge Tuttlinger, die jedes Jahr darauf warten, dass das Golem, eine Art Strandbar am Donauufer, im Frühjahr öffnet. An lauen Sommerabenden ist dort eines der wenigen Epizentren des Tuttlinger Nachtlebens zu finden. Kinder, Jugendliche, ganze Familien, aber auch Leute, die ihr Arbeitsleben schon längst hinter sich gebracht haben, legen dort mit einem der Tretboote ab, die am Golem zu mieten sind, oder genießen einen Sundowner. Vor 20 Jahren hat das Tuttlinger Heimatforum die Strandbar für umgerechnet 150 000 Euro erbauen lassen. Der Tuttlinger Architekt Günter Hermann hat hierfür sogar eine Auszeichnung für gute Bauten vom baden-württembergischen Landesverband des Bunds Deutscher Architekten erhalten.
Mit der Idylle könnte, so ist zumindest die Befürchtung der Bürgerinitiative „#Erhaltenswehrt“, die sich aus den Parteien und Gruppen, die im Tuttlinger Gemeinderat sitzen, und vielen Vereinen gebildet hat, bald Schluss sein. Durch den Abstau der Donau um einen Meter würde sich die Stauwurzel von 2,8 auf 1,3 Kilometer verkürzen, das Stauvolumen von 88 000 Kubikmetern Wasser auf 40 000 Kubikmeter verringern. Hierdurch, so urteilt der Gewässerökologe Karl Wurm in einem von der Stadt Tuttlingen in Auftrag gegebenen Gutachten, würde die Durchwanderbarkeit des Stauraums deutlich verbessert. Vor allem die sogenannten Makrozoobenthos, also Kleinstlebewesen, die gerade noch mit dem Auge zu erkennen sind, haben dabei aber schlechte Karten. Das ist das Hauptargument, warum das Ministerium den Abstau um einen Meter wünscht. Während Wurm allerdings von einem „Verbesserungsbedarf“spricht, schreibt Untersteller von einem „erheblichen Defizit“.
Kein Wunder, dass sich die Bürgerinitiative am Golem jüngst zu ihrer Auftaktveranstaltung getroffen hat, um öffentlichkeitswirksam nach Mitstreitern zu suchen. Mehr als hundert Tuttlinger kamen, nur wenige von ihnen sprachen sich für das Absenken des Wehres aus. Einer von ihnen ist der Tuttlinger BUND-Vorsitzende Berthold Laufer. Für ihn bildet das Absenken des Flusses die Chance, den Bereich nach der möglichen künftigen Stauwurzel zu renaturieren und den „hässlichen Schlauch“wieder zu einem Fließgewässer zu machen.
Inzwischen hat die Initiative eine Unterschriftenaktion gegen den Abstau gestartet. Mehr als 3000 Menschen haben seither im Internet ihre Unterstützung signalisiert, dazu kommt eine deutlich vierstellige Anzahl an Menschen, die die Unterschriftenliste unterzeichnet haben. In einem Lenkungsausschuss werden Aktionen besprochen. So haben bereits Musiker auf der Donau gesungen, auch die Tuttlinger Sportfreunde haben bei ihrem Triathlon vor wenigen Wochen gegen den Abstau protestiert. Große Banner hängen entlang der Donau. Die Nachricht ist eindeutig: „Tuttlingen ohne Donau ist wie Spätzle ohne Soß.“
Die Durchwanderbarkeit des Flusses für die Kleinstlebewesen ist für die Bürgerinitiative nur ein schwaches Argument für den Donau-Abstau: „Für uns steht fest, dass eine Wehrabsenkung um einen Meter nur noch in geringem Maße zur besseren Qualität der Donau beitragen würde. Das Argument der Durchfließbarkeit nimmt sich das Ministerium selbst, durch den Vorschlag, den Aufstau beizubehalten, aber um einen Meter zu senken. Ebenso wird die besondere Lage Tuttlingens hinter der Donauversickerung und dem wenig ankommenden Wasser ignoriert.“
Mit der Donauversickerung gibt es kurz nach dem Tuttlinger Ortsteil Möhringen flussaufwärts ein geologisches Phänomen. In dem Kalkgestein aus der Jura-Zeit haben sich in den vergangenen Millionen von Jahren Spalten und Hohlräume gebildet, in denen das Wasser heute einfach verschwindet. In den Sommermonaten ist das Flussbett meist trocken, die Kleinstlebewesen würden also spätestens dort bei ihrer Wanderung zur Donauquelle in Donaueschingen stranden. Für Tuttlingen habe das zur Folge, dass die Donau ohne Aufstau „ein Schnakenloch“sei, wie es der Tuttlinger CDU-Bundestagsabgeordnete Volker Kauder bei der Jahreshauptversammlung des CDUStadtverbands Mitte Juli sagte.
Ein Stück Lebensqualität
Längst hat sich auch der Tuttlinger CDU-Landtagsabgeordnete Guido Wolf in die Diskussion eingemischt und in einem Brief Landesumweltminister Franz Untersteller (Bündnis 90/Die Grünen) gebeten, sich vor Ort ein Bild von der Situation zu machen und mit der Bürgerinitiative zu sprechen: „Dieses Thema hat in Tuttlingen eine hohe Emotionalität. Die aufgestaute Donau gehört für viele Tuttlinger fest zum Stadtbild und bedeutet für viele ein nicht unerhebliches Stück Lebensqualität“, schreibt er.
Auch ein Mediationsgespräch bei Staatsrätin Gisela Erler (Grüne), der Beauftragten der Landesregierung für Bürgerbeteiligung, hatte Wolf angeregt. Das Gespräch fand Ende Juli mit ihr und Vertretern von Umweltministerium, Regierungspräsidium und Landratsamt auf der einen Seite und der Stadt Tuttlingen auf der anderen Seite statt. Es sei laut Michael Hensch, Leiter der Abteilung Umweltund Grünplanung bei der Stadt Tuttlingen, „hart und unerbittlich“geführt worden. „Es erfolgte ein konstruktiver Austausch zu den verschiedenen Standpunkten, wobei es keine neuen Erkenntnisse gab“, heißt es vonseiten des Tuttlinger Landratsamts.
An einem Treffen mit der Bürgerinitiative hat Untersteller kein Interesse, zumal aus seiner Sicht die rechtlichen Rahmenbedingungen durch die Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union eng gesetzt werden. In einem Brief an Thomas Kienzle, der als Vorstandsmitglied des Heimatforums gemeinsam mit dem stellvertretenden CDU-Stadtverbandsvorsitzenden Benjamin Bach den Lenkungsausschuss von „#Erhaltenswehrt“führt, hat dies der Umweltminister Anfang des Monats untermauert: „Wir haben uns an der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie zu orientieren, die ein ambitioniertes Ziel hat: den guten Zustand der europäischen Gewässer.“Er betont, dass der Abstau um einen Meter, den Wurm ins Spiel gebracht hat, schon ein Kompromissvorschlag sei: „Eigentlich wäre die komplette Beseitigung des Wehres die bessere Variante gewesen, um die geforderte Gewässerqualität an dieser Stelle zu erreichen.“
„Das ist der falsche Weg.“Stefan Helbig, Tuttlingens Erster Landesbeamter über die Verteilung der Kosten.
Entäuschte Initiative
Die Bürgerinitiative zeigt sich über die ablehnende Haltung von Untersteller nicht gerade erfreut: „Wir sind enttäuscht, dass das Ministerium sich offenkundig so wenig für die Belange seiner Bürger interessiert. Von Diskussionsbereitschaft war bislang nichts zu spüren“, schreibt sie in einer Stellungnahme. Und Kienzle ergänzt: „Inhaltlich steht nichts Neues drin. In dem Brief gibt es Passagen, die wir grundlegend anders sehen.“Für „#Erhaltenswehrt“steht daher weiterhin fest: „Sollte sich die Stadt Tuttlingen entscheiden, den Rechtsweg einzuschlagen, steht die Bürgerinitiative voll und ganz dahinter.“
Derweil erntet Wolf Kritik von SPD-Kreisrat Willi Kamm, der sich am Donnerstag mit dem örtlichen Bundestagskandidaten der Sozialdemokraten, Georg Sattler, und dem SPD-Fraktionsvorsitzenden im Stuttgarter Landtag, Andreas Stoch, die Situation an der Donau anschaute: „Er hat uns das Problem eingebrockt“, sagt er. Wolf, der von 2003 bis 2011 Landrat von Tuttlingen war, habe die Lawine ins Rollen gebracht, weil er auf die Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie gepocht habe und in letzter Konsequenz den Abbau des Wehres ins Spiel gebracht habe. Für Kamm wäre es besser gewesen, wenn Landkreis und Stadt eine gemeinsame Lösung erarbeitet hätten: „So viel politischen Spielraum gibt es.“