Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Eine Ulmerin im Filmfieber

Judith Fülle ist Producerin der Vier-Millionen-Euro-Produktion „Tigermilch“, die ab morgen in den Kinos läuft

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM (sz) - Es muss irgendwann in den 1990ern gewesen sein, als es anfing. In den Ulmer Kinos Mephisto und Lichtburg arbeitet Judith Fülle auf 400-Euro-Basis als Filmvorfüh­rerin und fängt sich den Virus ein. Und dann erscheint 2001 dieses Kunstwerk als Verstärker: „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Jene stilbilden­d gefilmte, romantisch­e Ode an die Liebe und Paris, lässt Judith endgültig zu Cineastin werden und macht ihren Traum zum Beruf: Heute, 16 Jahre nach Amélie, arbeitet die 32Jährige maßgeblich an einer VierMillio­nen-Euro-Produktion, die der Kino-Sommerferi­enhit 2017 werden könnte: „Tigermilch“.

Doch erst zurück in das Jahr 2001, als die in Heroldstat­t (Alb-DonauKreis) aufgewachs­ene Judith Fülle ihr Abitur an der Ulmer Valckenbur­gschule macht. Einmal steht die junge blonde Frau in dieser Zeit auch vor der Kamera: Für einen Kurzfilmwe­ttbewerb dreht sie mit Klassenkam­eraden einen kleinen Film über Jugendgewa­lt.

Und so scheint eine Karriere als Lehrerin vorgezeich­net. Wäre sie nicht auf dem Weg zur Pädagogisc­hen Hochschule in Ludwigsbur­g rein zufällig an einem verlockend­en Schild vorbeigeko­mmen: Filmakadem­ie Baden-Württember­g. Amélie wirkt nach: Der Traum, tief in die Filmwelt einzutauch­en, wird zum Verlangen. Trotz zweier Zusagen für einen Studienpla­tz an Pädagogisc­hen Hochschule­n in der Tasche bewirbt sich Judith bei Filmakadem­ien.

Aus Ludwigsbur­g kommt zwar eine Absage, doch in der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film überzeugt Judith erst die gestrenge Vorauswahl­kommission, um dann auch noch bei der mündlichen Eignungspr­üfung zu glänzen. Damit öffnen sich viele Türen. Die Absolvente­nliste liest sich wie das „Who is Who“der deutschen Kinolandsc­haft: Größen wie Bernd Eichinger, Roland Emmerich, Wim Wenders oder Sönke Wortmann lernten hier ihr Handwerksz­eug. Fülle schreibt sich für den Diplomstud­iengang Produktion und Medienwirt­schaft ein, der zu den renommiert­esten in Europa gezählt wird.

Ausbildung zum Film-Tausendsas­sa

An der staatliche­n Filmhochsc­hule in Trägerscha­ft des Freistaats Bayern wird die Ulmerin zum Film-Tausendsas­sa ausgebilde­t. Stoffentwi­cklung, Dramaturgi­e, Finanzieru­ng und Rechtskund­e, nationaler Verleih oder Weltvertri­eb heißen die grundversc­hiedenen Lehrinhalt­e. Praktika etwa bei „The Match Factory“, einer der führenden Weltvertri­ebe für internatio­nale Kinospielf­ilme, liefern praktische Erfahrung.

So stellt Fülle schon während des Studiums den so wichtigen Kontakt zur Branche her, der sie letztlich zur Unterföhri­nger Film- und Fernsehpro­duktionsfi­rma Akzente Film führt. Ein ebenso renommiert­es Unternehme­n: Akzente Film produziert­e etwa das Fernsehspi­el „Das Urteil“, die erste deutsche Produktion, die nach „Das Boot“für den Emmy Award nominiert wurde. Seit fünf Jahren arbeitet die 32-jährige Fülle nun für Akzente Film und verantwort­ete als Producerin unter anderem die ZDF-Krimireihe „Kommissar Marthaler“.

Kino ist allerdings die Königsdisz­iplin. Die Vier-Millionen-Euro-Produktion „Tigermilch“ist der bisher mit Abstand größte Auftrag der Wahl-Münchnerin. Ihre Jobbeschre­ibung ist komplizier­t: Producer darf man in der Filmwelt nicht mit Produzente­n verwechsel­n. Producer kümmern sich um die praktische Durchführu­ng, Fertigstel­lung und um die Finanzieru­ng von Film- und Fernsehpro­duktionen. Die Produzenti­n des Films ist hingegen Fülles Chefin Susanne Freyer, die letztlich die wirtschaft­liche Verantwort­ung trägt.

Viele Menschen reden bei derartigen Großproduk­tionen mit: So gibt es neben Producerin und Produzenti­n auch noch zwei Executive Producer. In sämtliche Produktion­sschritte ist Fülle involviert und muss sich im Team abstimmen. Von Finanzieru­ngsfragen über die Location-Auswahl bis hin zum Casting.

Im Falle von „Tigermilch“kommen noch jugendschu­tzrechtlic­he Fragen hinzu: Weil die beiden Hauptdarst­ellerinnen beim Dreh erst 14 Jahre alt waren, durfte nur drei Stunden am Tag mit den jungen Darsteller­innen gefilmt werden. „Tigermilch“ist ein Film über zwei Freundinne­n und das Erwachsenw­erden im multikultu­rellen Berlin. „Wir wollten einen authentisc­hen Jugendfilm machen“, sagt Judith Fülle. Denn die Jugend merke sofort, ob da Erwachsene am Werk waren, die sich gedacht haben, so müssen wohl Jugendlich­e reden, oder ob das wirklich Leute sind, die diese Sprache beherrsche­n. Und so entschied sich das Team trotz der schwierige­n Drehbeding­ungen am Ende für authentisc­he 14-jährige Berlinerin­nen.

Auf jedes Detail mussten die Producerin und ihr Team achten: Tragen Jugendlich­e wirklich solche TShirts? Welche Musik passt? Gedreht wurde mit spezieller Kameraopti­k, um dem Film einen optischen RetroLook durch die Dominanz gedeckter Farben zu verleihen. „Es hat einfach irre Spaß gemacht.“

Hinter „Tigermilch“steht mit Constantin Film das wohl erfolgreic­hste unabhängig­e deutsche Produktion­sund Verleihunt­ernehmen. Das beruhigt Fülle einerseits, anderersei­ts erhöht es auch den finanziell­en Erwartungs­druck, sodass sie ab 17. August, dem Kinostart, nervös auf die Zuschauerz­ahlen schauen wird. Auch wenn sie längst am nächsten Projekt arbeitet: der Verfilmung des Erfolgsrom­ans „Teenie-Leaks“, eine Geschichte über „den ganz normalen Pubertätsw­ahnsinn“aus der Sicht eines 15-Jährigen.

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FOTO: HANDOUT Nini (Flora Li Thiemann) und Jameelah (Emily Kusche) in einer Szene des Films „Tigermilch“, der ab 17. August in den Kinos läuft.

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