Eine Ulmerin im Filmfieber
Judith Fülle ist Producerin der Vier-Millionen-Euro-Produktion „Tigermilch“, die ab morgen in den Kinos läuft
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ULM (sz) - Es muss irgendwann in den 1990ern gewesen sein, als es anfing. In den Ulmer Kinos Mephisto und Lichtburg arbeitet Judith Fülle auf 400-Euro-Basis als Filmvorführerin und fängt sich den Virus ein. Und dann erscheint 2001 dieses Kunstwerk als Verstärker: „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Jene stilbildend gefilmte, romantische Ode an die Liebe und Paris, lässt Judith endgültig zu Cineastin werden und macht ihren Traum zum Beruf: Heute, 16 Jahre nach Amélie, arbeitet die 32Jährige maßgeblich an einer VierMillionen-Euro-Produktion, die der Kino-Sommerferienhit 2017 werden könnte: „Tigermilch“.
Doch erst zurück in das Jahr 2001, als die in Heroldstatt (Alb-DonauKreis) aufgewachsene Judith Fülle ihr Abitur an der Ulmer Valckenburgschule macht. Einmal steht die junge blonde Frau in dieser Zeit auch vor der Kamera: Für einen Kurzfilmwettbewerb dreht sie mit Klassenkameraden einen kleinen Film über Jugendgewalt.
Und so scheint eine Karriere als Lehrerin vorgezeichnet. Wäre sie nicht auf dem Weg zur Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg rein zufällig an einem verlockenden Schild vorbeigekommen: Filmakademie Baden-Württemberg. Amélie wirkt nach: Der Traum, tief in die Filmwelt einzutauchen, wird zum Verlangen. Trotz zweier Zusagen für einen Studienplatz an Pädagogischen Hochschulen in der Tasche bewirbt sich Judith bei Filmakademien.
Aus Ludwigsburg kommt zwar eine Absage, doch in der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film überzeugt Judith erst die gestrenge Vorauswahlkommission, um dann auch noch bei der mündlichen Eignungsprüfung zu glänzen. Damit öffnen sich viele Türen. Die Absolventenliste liest sich wie das „Who is Who“der deutschen Kinolandschaft: Größen wie Bernd Eichinger, Roland Emmerich, Wim Wenders oder Sönke Wortmann lernten hier ihr Handwerkszeug. Fülle schreibt sich für den Diplomstudiengang Produktion und Medienwirtschaft ein, der zu den renommiertesten in Europa gezählt wird.
Ausbildung zum Film-Tausendsassa
An der staatlichen Filmhochschule in Trägerschaft des Freistaats Bayern wird die Ulmerin zum Film-Tausendsassa ausgebildet. Stoffentwicklung, Dramaturgie, Finanzierung und Rechtskunde, nationaler Verleih oder Weltvertrieb heißen die grundverschiedenen Lehrinhalte. Praktika etwa bei „The Match Factory“, einer der führenden Weltvertriebe für internationale Kinospielfilme, liefern praktische Erfahrung.
So stellt Fülle schon während des Studiums den so wichtigen Kontakt zur Branche her, der sie letztlich zur Unterföhringer Film- und Fernsehproduktionsfirma Akzente Film führt. Ein ebenso renommiertes Unternehmen: Akzente Film produzierte etwa das Fernsehspiel „Das Urteil“, die erste deutsche Produktion, die nach „Das Boot“für den Emmy Award nominiert wurde. Seit fünf Jahren arbeitet die 32-jährige Fülle nun für Akzente Film und verantwortete als Producerin unter anderem die ZDF-Krimireihe „Kommissar Marthaler“.
Kino ist allerdings die Königsdisziplin. Die Vier-Millionen-Euro-Produktion „Tigermilch“ist der bisher mit Abstand größte Auftrag der Wahl-Münchnerin. Ihre Jobbeschreibung ist kompliziert: Producer darf man in der Filmwelt nicht mit Produzenten verwechseln. Producer kümmern sich um die praktische Durchführung, Fertigstellung und um die Finanzierung von Film- und Fernsehproduktionen. Die Produzentin des Films ist hingegen Fülles Chefin Susanne Freyer, die letztlich die wirtschaftliche Verantwortung trägt.
Viele Menschen reden bei derartigen Großproduktionen mit: So gibt es neben Producerin und Produzentin auch noch zwei Executive Producer. In sämtliche Produktionsschritte ist Fülle involviert und muss sich im Team abstimmen. Von Finanzierungsfragen über die Location-Auswahl bis hin zum Casting.
Im Falle von „Tigermilch“kommen noch jugendschutzrechtliche Fragen hinzu: Weil die beiden Hauptdarstellerinnen beim Dreh erst 14 Jahre alt waren, durfte nur drei Stunden am Tag mit den jungen Darstellerinnen gefilmt werden. „Tigermilch“ist ein Film über zwei Freundinnen und das Erwachsenwerden im multikulturellen Berlin. „Wir wollten einen authentischen Jugendfilm machen“, sagt Judith Fülle. Denn die Jugend merke sofort, ob da Erwachsene am Werk waren, die sich gedacht haben, so müssen wohl Jugendliche reden, oder ob das wirklich Leute sind, die diese Sprache beherrschen. Und so entschied sich das Team trotz der schwierigen Drehbedingungen am Ende für authentische 14-jährige Berlinerinnen.
Auf jedes Detail mussten die Producerin und ihr Team achten: Tragen Jugendliche wirklich solche TShirts? Welche Musik passt? Gedreht wurde mit spezieller Kameraoptik, um dem Film einen optischen RetroLook durch die Dominanz gedeckter Farben zu verleihen. „Es hat einfach irre Spaß gemacht.“
Hinter „Tigermilch“steht mit Constantin Film das wohl erfolgreichste unabhängige deutsche Produktionsund Verleihunternehmen. Das beruhigt Fülle einerseits, andererseits erhöht es auch den finanziellen Erwartungsdruck, sodass sie ab 17. August, dem Kinostart, nervös auf die Zuschauerzahlen schauen wird. Auch wenn sie längst am nächsten Projekt arbeitet: der Verfilmung des Erfolgsromans „Teenie-Leaks“, eine Geschichte über „den ganz normalen Pubertätswahnsinn“aus der Sicht eines 15-Jährigen.