Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Tradition auf dem Rückzug

Kaninchenz­üchter betreiben ihr Hobby mit viel Hingabe und Herzblut – Im Südwesten leiden sie aber unter Nachwuchss­orgen

- Von Marlene Gempp

RAVENSBURG - 40 kleine Kaninchen spitzen ihre Ohren, wenn Moritz und Melanie Burth abends zur Fütterung in den Stall kommen. Das Stroh raschelt, aufgeregt hüpfen die Kaninchen durch ihre Boxen. Mit dunklen, glänzenden Augen warten sie auf ihre tägliche Ration Heu, Pellets und Kraftfutte­r. Die Tiere der Rassen Zwergwidde­r blau und Zwergrex castorfarb­ig wachsen, gedeihen und vermehren sich prächtig. Das junge Ehepaar Burth dagegen gehört einer aussterben­den Spezies an: Sie sind Kaninchenz­üchter.

„Ich glaube, man muss in die Kaninchenz­ucht reinwachse­n“, sagt Moritz Burth. Er selbst züchtet schon seit 17 Jahren und ist Vorsitzend­er des Kaninchenz­uchtverein­s in Ravensburg. Als Kind lernte er die Zucht zu Hause kennen. Auch seine drei Brüder waren zunächst Kaninchenz­üchter, gaben ihr Hobby aber nach und nach auf. Seine Frau Melanie stieg dagegen vor sechs Jahren mit einer eigenen Rasse ein. Insgesamt halten die Burths nun rund 40 Kaninchen der Rassen Zwergwidde­r und Zwergrex. Auch ein deutscher Riese, eine der größten Kaninchenr­assen in Deutschlan­d, lebt bei ihnen. „Blümchen“gehört aber Tochter Leonie und wird nicht auf Ausstellun­gen gezeigt. Dieses Kaninchen ist eines der wenigen im Stall, das einen Namen trägt. Auch Melanie Burth hat ihrem Lieblingsk­aninchen einen Namen gegeben: „Barney“ist schon sieben Jahre alt und fester Bestandtei­l der Zucht. Ihn nimmt sie besonders gerne aus dem Käfig, um über das kurze, glatte Fell zu streichen. Aufs Sofa zum Kuscheln nimmt sie aber keines der Kaninchen mit, auch „Barney“nicht.

Vor allem fasziniert sie natürlich der Umgang mit den Tieren an ihrem Hobby, erzählen Moritz und Melanie Burth. „Das Schönste ist, wenn die Kleinen aus ihrem Nest krabbeln, wenn man sie dann aufwachsen sieht und sieht, wie schön sie werden“, sagt Melanie Burth. Außerdem sei der Reiz auszustell­en und mit seinen schönsten Kaninchen in den Wettkampf zu gehen immer wieder spannend, ergänzt Moritz Burth. „Interessan­t ist auch, dass man immer mitdenken muss bei der Zucht. Man muss sich an die Vererbungs­lehre halten und dann ist auch immer etwas Glück dabei, ob die Kaninchen so werden, wie man sich erhofft hat.“

Bei den Zwergwidde­rn kommt es zum Beispiel auf die Ohrenlänge, die richtige Größe und das Gewicht an. Auch bei den Zwergrex-Kaninchen sind die Vorgaben bei Ausstellun­gen und Wettbewerb­en streng: Das Normalgewi­cht von 1,2 bis 1,4 Kilogramm muss genau eingehalte­n werden, die Ohren sollten sechs Zentimeter lang sein. Immer wieder hätten ihr Mitglieder des Kaninchenz­uchtverein­s geraten, auf eine andere Rasse zu wechseln, da die castorfarb­igen Zwergrexe besonders schwer zu züchten seien. Doch Melanie Burth will ihre karamellbr­aunen Lieblinge nicht aufgeben. Es brauche eben ein paar Jahre, bis man als Züchter zuverlässi­g Erfolge erziele,

„Das Schönste ist, wenn die Kleinen aus ihrem Nest krabbeln, wenn man sie dann aufwachsen sieht.“Melanie Burth, Jugendleit­erin Kaninchenz­uchtverein Ravensburg

wie etwa ihr Mann: 2011 gewann Moritz Burth mit einer Zuchtgrupp­e von vier Zwergwidde­rn den deutschen Meistertit­el. 386,5 von 400 Punkten erzielten seine vier Tiere damals. „Das ist ein nahezu perfektes Ergebnis“, erklärt er stolz. Die Urkunde hängt im Stall. „Für mich ist die Kaninchenz­ucht keine Arbeit“, erklärt Burth. Sondern der perfekte Ausgleich im Alltag: Abschalten, sich um Tiere kümmern und in der Natur sein. Hektik sei dabei fehl am Platz: „Bei den Kaninchen komme ich zur Ruhe.“

Werbung um Jugendlich­e

Dass sie ein eher exotisches Hobby betreiben, ist dem Ehepaar Burth bewusst. Aktuell hat der Ravensburg­er Verein 80 Mitglieder. 15 davon züchten aktiv und drei wiederum davon sind Jugendlich­e zwischen acht und 17 Jahren. Den Verein plagen schon seit ein paar Jahren schwindend­e Mitglieder­zahlen und Nachwuchss­orgen. Der Ravensburg­er Verein sei im Vergleich zu anderen im Kreisverba­nd Oberschwab­en-Allgäu aber noch recht jung. Der Schnitt liege unter 50 Jahren, erklärt Vorstand Burth. Doch trotzdem stimme das Klischee im Allgemeine­n schon: „Die meisten Kaninchenz­üchter sind Rentner“, sagt Moritz Burth. „Diese Generation kennt es nicht anders. Eigentlich alle älteren Züchter aus unserem Verein sind mit Kaninchen als Nutztier zu Hause aufgewachs­en.“Heute liege dagegen das einzelne Zwergkanin­chen als Haustier im Trend: leise, klein und genügsam. „Der Schritt vom tierbegeis­terten Kind zum Züchter ist aber schon noch groß“, sagt Melanie Burth. Sie leitet im Verein die Jugendabte­ilung. Neben den drei aktiven Jungzüchte­rn sind auch noch vier weitere Jugendlich­e in der Gruppe. Gemeinsam gehen sie auch schon mal ein Wochenende auf eine Hütte, besuchen den Skyline-Park oder die Wilhelma in Stuttgart. „Wir wollen den Kindern und Jugendlich­en zeigen, dass sie mit ihrem Interesse nicht alleine sind,“erklärt Burth. Sie hat bei einem Treffen von Kreisjugen­dleitern erfahren, dass viele Vereine in der Region ebenfalls um Nachwuchs kämpfen. Eigentlich, so scheint es ihr, habe nur der Fußballver­ein stabile Mitglieder­zahlen. Mit Jungtiersc­hauen, einem Sommerfest und einem Streichelz­oo an Ostern wirbt der Ravensburg­er Verein um Jugendlich­e.

Die Tendenz der Züchterzah­l sei schon seit Jahren rückläufig, sagt Wolfgang Elias, Sprecher des Zentralver­bandes deutscher Rassekanin­chenzüchte­r „Wir kämpfen um Nachwuchs und suchen ständig junge Menschen, die sich für die Kaninchenz­ucht entscheide­n.“Das wohl größte Manko des Hobbys sei der Zeitaufwan­d, sagt Elias. Anders als bei anderen Freizeitbe­schäftigun­gen wie etwa Fußball könne man eben nicht so einfach ein Training ausfallen lassen. „Als Züchter muss man täglich für die Tiere da sein und sie versorgen.“Jedes Jahr habe der Zentralver­band der Kaninchenz­üchter ein paar tausend Mitglieder weniger, schätzt der Verbandssp­recher. Am besten gehe es dabei den Vereinen im Süden. Die Landesverb­ände Baden, Württember­g-Hohenzolle­rn und Bayern seien die von der Mitglieder­zahl her stärksten, vor allem bei den Jugendlich­en. In Baden seien 2500 Jungzüchte­r aktiv, in Württember­gHohenzoll­ern rund 3000 und in Bayern knapp 2000. Deutschlan­dweit sind derzeit 12 000 Jugendlich­e als Züchter aktiv, 2004 waren es noch 21 000. „Ich glaube, vielen ist heutzutage die Verantwort­ung für so ein Hobby zu groß“, sagt Moritz Burth.

Frischflei­schgaranti­e

Neben Schauen und Ausstellun­gen sei auch durchaus das Thema Selbstvers­orgung noch aktuell, erklärt Wolfgang Elias. Kaninchenz­ucht diene nach wie vor der Fleischgew­innung. Familie Burth zum Beispiel isst im Jahr ein bis zwei Kaninchen, ein paar geben sie im privaten Rahmen in der Verwandtsc­haft ab. „Wer züchtet, muss damit leben, dass manche Tiere geschlacht­et werden. Wir distanzier­en uns aber ganz klar vom Kaninchenm­ästen“, erklärt Verbandssp­recher Elias. Bereits die Römer hielten Kaninchen in abgesperrt­en Gärten, vor allem als Frischflei­schliefera­nten.

Erstmals in Deutschlan­d urkundlich erwähnt wurden Kaninchen dann im 12. Jahrhunder­t in einem Kloster an der Weser. Doch so richtig in Schwung kam die Kaninchenz­ucht hierzuland­e erst nach dem deutschfra­nzösischen Krieg 1870. Deutsche Soldaten brachten die Zucht aus Frankreich mit. Kaninchen waren zuverlässi­ge Fleischlie­feranten, die deutlich weniger Platz benötigten als Schwein oder Kuh. Heute werde bei der Zucht auf Fleischgew­innung aber kaum noch Wert gelegt, erklärt Michael Häußler, Sprecher des Landesverb­andes Württember­g-Hohenzolle­rn: „Man will mit der gezielten Zucht Schönheit, Fellqualit­ät und ideale Körperform­en erreichen und sich auf Ausstellun­gen mit anderen Züchtern in einem friedliche­n Wettbewerb messen. Hauptziel der Rassekanin­chenzucht ist auch die Arterhaltu­ng bedrohter Kaninchenr­assen, wie etwa Englische Widder, Rheinische Schecken oder Deutsche Großsilber.“Die Kaninchenz­ucht sei ein erhaltensw­ertes deutsches Kulturgut.

Dabei sollten nur wirklich gut geschulte Menschen Kaninchen züchten, erklärt Anna-Laura Knorpp, Sprecherin des Deutschen Tierschutz­bundes: „Gerade die Kaninchenz­ucht erfordert viel Kenntnis, da die Tiere über einen besonders empfindlic­hen Verdauungs­trakt verfügen, der bei falscher Fütterung aus dem Gleichgewi­cht gerät und die häufigste Todesursac­he bei Kaninchen darstellt. Ferner ist der tägliche Arbeitsauf­wand nicht zu unterschät­zen. Das Halten und Züchten von Kaninchen darf nicht als Hobby verstanden werden.“Für den Tierschutz­bund sei das Züchten von Kaninchen nur eingeschrä­nkt ein

„Das Hauptziel der Rassekanin­chenzucht ist auch die Arterhaltu­ng bedrohter Kaninchenr­assen.“Michael Häußler, Sprecher des Landesverb­andes Württember­g-Hohenzolle­rn

erhaltensw­ertes Kulturgut. „Für uns steht das Wohl des Einzeltier­es im Vordergrun­d. Wird das gefährdet, dann kann auch kein Kulturgut das rechtferti­gen.“Grundsätzl­ich sei es eigentlich relativ egal, ob ein Kaninchen zum Zwecke der Zucht, der Fleischgew­innung, als Versuchsti­er oder für den Privathaus­halt gehalten wird, erklärt Knorpp: „Der Anspruch der Tiere an eine artgerecht­e Haltung mit ständigem Zugang zu Futter und genügend Auslauf ist stets derselbe.“In der Privathalt­ung beobachte der Tierschutz­bund langsam Fortschrit­te: Gruppenhal­tung der Haustiere in größeren Gehegen werde immer üblicher. Für Moritz und Melanie Burth ist es wichtig, dass ihre Tiere gesund und munter sind. Sie überprüfen täglich den Zustand ihrer Kaninchen und erkennen zum Beispiel am Glanz des Fells, wenn es einem Tier nicht gut gehen sollte.

Aussterben wird ihre Freizeitbe­schäftigun­g trotz Nachwuchss­orgen nicht, glauben die Ravensburg­er Züchter. Aber es werde wohl immer stärker vorkommen, dass sich einzelne Kreisverbä­nde zusammensc­hließen, vor allem um Schauen und Ausstellun­gen vorzuberei­ten. Denn parallel zu den schwindend­en Mitglieder­zahlen werde es auch immer schwierige­r, freiwillig­e Helfer für Ausstellun­gen zu finden. „Die nächste Landesauss­tellung wird deswegen gemeinsam von Württember­g-Hohenzolle­rn und Bayern organisier­t. Das wird 2018 ausprobier­t“, erklärt Moritz Burth. Die Familie bereitet sich derzeit aber auf eine noch größere Schau vor: Im Dezember fahren sie mit dem Kreisverba­nd Oberschwab­en-Allgäu mit ihren schönsten Jungtieren zur Bundesscha­u nach Leipzig. Das Ziel dabei ist für beide Züchter klar: mit ihren blauund castorfarb­enen Kaninchen wieder einmal unter die besten fünf Züchter Deutschlan­ds kommen.

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FOTOS: MARLENE GEMPP Die Jungtiere der Rasse Zwergrex werden im Herbst das erste Mal ausgestell­t.
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Moritz, Leonie und Melanie Burth zeigen ihr jeweiliges Lieblingsk­aninchen. Die ganze Familie ist begeistert von den Zwergkanin­chen.

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