Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Integratio­n muss noch viele Hürden nehmen

Baden-Württember­g will aus Geflüchtet­en Mitbürger machen – doch das ist nicht einfach

- Von Alexei Makartsev

RIEDLINGEN - „What is ,daughter‘ in German?“Die junge Nigerianer­in schaut ratlos in ein gelbes deutsches Formular zur Kontoeröff­nung, das zweijährig­e Mädchen neben ihr bekritzelt eifrig einen weißen Zettel. „Du musst in diesem Feld ,Tochter’ schreiben“, sagt lächelnd Viola Kirchmaier und schiebt der ungeduldig mit dem Fuß wippenden Kleinen einen frischen Zettel zu.

Eine Alltagssze­ne im Riedlinger Büro des Amts für Flüchtling­e und Integratio­n beim Landratsam­t Biberach. Sozialarbe­iterin Kirchmaier hat eben den Tag des afghanisch­en Flüchtling­s A. gerettet. Der junge Mann fühlt sich durch den Lärm in seiner Unterkunft beim nächtliche­n Lernen für die Führersche­inprüfung gestört. Ohne Führersche­in kann A. keine Ausbildung zum Rettungssa­nitäter beim DRK machen. Und ohne Ausbildung droht ihm eine Abschiebun­g in die Heimat. „Ich schaue mal, ob du vorübergeh­end in ein anderes Haus ziehen kannst“, schlägt Kirchmaier vor. „Und weißt du, was noch gut gegen Lärm hilft? Ohrstöpsel!“

Noch nicht angekommen

Insgesamt etwa 240 Flüchtling­e leben heute in Riedlingen – teils in vorläufige­r Unterbring­ung, teils in Sozialwohn­ungen, geduldete wie anerkannte, mit guten Deutschken­ntnissen und völlig ohne. Was die meisten von ihnen eint, ist die Tatsache, dass sie in Oberschwab­en noch nicht wirklich angekommen sind und im Alltag oft Hilfe brauchen.

Und so hilft Viola Kirchmaier bei der Ausfüllung von Papieren, sie schlichtet Konflikte, prüft den Stand der Asylanträg­e, berät bei der Jobsuche und gibt Alltagstip­ps. Der „Verinselun­g“von Migranten in deren neuen Heimat entgegenzu­wirken ist ihr noch nicht genug. „Wir brauchen eine echte Integratio­n“, sagt Kirchmaier. „Dazu gehört zum Beispiel, dass ein Flüchtling­skind im lokalen Fußballtea­m mitspielt und seine Eltern in den örtlichen Fitnessclu­b gehen. Wirklich integriert sind die Menschen, die keine Hilfe mehr brauchen, weil sie selbst gut zurechtkom­men“.

Zwei Jahre nach Angela Merkels „Wir schaffen das!“ist die Integratio­n der anerkannte­n Asylbewerb­er die nächste große Aufgabe für den Bund und das Land Baden-Württember­g, das seit Anfang 2015 mehr als eine Viertelmil­lion Geflüchtet­e aufgenomme­n hat. Die grün-schwarze Landesregi­erung stellte die Weichen dafür im April im sogenannte­n „Pakt für Integratio­n“(siehe Kasten).

Sein Herzstück ist die Bereitstel­lung von jeweils 58 Millionen Euro 2017 und 2018 zur Finanzieru­ng von rund 1000 Integratio­nsmanagern in den Städten und Gemeinden. Sie sollen die Flüchtling­e in der Anschlussu­nterbringu­ng unterstütz­en, sie auf Angebote für Spracherwe­rb und Berufsqual­ifizierung hinweisen, aber auch an Vereine und „zivilgesel­lschaftlic­he Strukturen“heranführe­n. Eine wichtige Neuerung dabei ist die Erstellung von individuel­len Integratio­nsplänen, in denen konkrete Ziele der Geflüchtet­en festgehalt­en werden. Damit sollen während der zweijährig­en Beratung die einzelnen Schritte im Integratio­nsprozess penibel dokumentie­rt werden.

Das bundesweit einmalige Vorhaben hat eine hohe Akzeptanz auf der kommunalen Ebene. Allerdings war der Start des Projekts im Land eher holprig. Monatelang warteten die Kommunen zunächst auf grünes Licht aus dem Ministeriu­m für Soziales und Integratio­n. Fast alle von der „Schwäbisch­en Zeitung“befragten Kreise beklagten das Fehlen von konkreten Umsetzungs­hinweisen für das Integratio­nsmanageme­nt. „Wir hätten früher starten können“, sagt etwa Benjamin Lachat, Sozialdeze­rnent beim Städtetag Baden-Württember­g.

In der zweiten Julihälfte schickte das Ministeriu­m von Manfred Lucha (Grüne) schließlic­h die „vorläufige­n Hinweise“heraus und gab für die Anstellung der Integratio­nsmanager zunächst 60 Prozent des jährlichen Fördervolu­mens frei, also 34,8 Millionen Euro. Das restliche Geld soll im Herbst verteilt werden. Zuvor wird Mitte September der finanziell­e Bedarf der Gemeinden ermittelt. Dafür sollen alle in der Anschlussu­nterbringu­ng lebenden Flüchtling­e gezählt werden, die zwischen dem 1. Januar 2015 und 29. Februar 2016 im Land neu aufgenomme­n worden waren.

Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“rechtferti­gt Minister Lucha die Verzögerun­gen beim Integratio­nspakt mit dem Wunsch, „allen gerecht zu werden“. „Die Kommunen haben gewusst, auf was sie sich inhaltlich einlassen. Das war sehr transparen­t, und ich kriege überall mit, dass sie damit arbeiten können“, sagt der Grüne. Aus Luchas Sicht sei er den Kommunen mit seiner „gelenkigen“Verwaltung­svorschrif­t bereits „extrem entgegenge­kommen“.

Flexible Lösungen

Ein Zugeständn­is der Landesregi­erung ist die Flexibilit­ät bei der Flüchtling­sbetreuung. Die Landkreise, Städte und Gemeinden dürfen selbst entscheide­n, wer diese Aufgabe am besten erfüllen kann. So wollen etwa die Städte Tettnang, Wangen und Leutkirch auch weiterhin selbständi­g agieren und eigene Integratio­nsmanager einstellen. Dagegen bietet der Landkreis Biberach das Management zentralisi­ert für seine Gemeinden an. „Wir sind in der Flüchtling­ssozialarb­eit seit drei Jahren drin und möchten gerne die Kontinuitä­t beibehalte­n“, erklärt die Sozialdeze­rnentin des Landkreise­s, Petra Alger, die mit 20 Integratio­nsmanagers­tellen im Herbst rechnet. „Es wird nicht einfach, dieses Personal zu kriegen“, räumt sie dabei ein. „Denn der Markt für Sozialarbe­iter und -Pädagogen gibt gerade nicht viel her“.

Eine weitere Sorge treibt derzeit die Kreise und Städte um: Es ist keineswegs gesichert, dass die 1000 Integratio­nsmanager vom Land auch über das Jahr 2018 hinaus finanziert werden. Das führt mancherort­s dazu, dass gute Fachkräfte angesichts der befristete­n Verträge abwinken. „Die Integratio­n ist nicht nach zwei Jahren beendet. Wir brauchen das Land als verlässlic­hen Partner, weil die Kommunen das alleine nicht schaffen werden“, warnt etwa Benjamin Lachat vom Städtetag. Minister Lucha möchte sich jedoch nicht festlegen. „Wenn es danach weiteren Bedarf geben sollte, werden wir gemeinsam mit dem Bund schauen, welche Ressourcen noch zur Verfügung gestellt werden müssen“, sagt er.

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darauf, in Italien an Land gebracht zu werden.
Ein afrikanisc­her Flüchtling wartet an Bord des Schiffs einer spanischen Hilfsorgan­isation darauf, in Italien an Land gebracht zu werden.
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FOTO: DPA Die Integratio­n ist ein langer Prozess: ein somalische­r Flüchtling als Praktikant bei der Firma Kühner Wärmetausc­her in Korntal-Münchingen.
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Rettung in letzter Minute für Flüchtling­e in einem sinkenden Schlauchbo­ot auf dem Mittele meer. Für viele andere Menschen kam die Hilfezu spät.

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