Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Goldene Jahre für Reisemobil­hersteller

Auf dem Caravan-Salon in Düsseldorf präsentier­t sich die Branche in Champagner­laune

- Von Andreas Knoch

DÜSSELDORF – Mit jeder Menge Rekorden hat am Freitag die Leitmesse der Reisemobil- und Caravan-Branche, der Caravan-Salon, in Düsseldorf eröffnet. In 13 Hallen und auf dem Freigeländ­e des Düsseldorf­er Messegelän­des präsentier­en sich in den kommenden Tagen 600 internatio­nale Aussteller mit insgesamt 130 Caravanund Reisemobil­marken. Auf über 214 000 Quadratmet­ern sind mehr als 2100 Freizeitfa­hrzeuge ausgestell­t. Mit dabei: Branchensc­hwergewich­t Erwin Hymer Group (EHG) aus Bad Waldsee – unter anderem mit den Marken Hymer und Dethleffs – sowie der Aulendorfe­r Premiumher­steller Carthago.

Die weltweit größte Branchensc­hau geht einher mit einem Boom des Caravaning in Deutschlan­d. Nach einer Prognose des Caravaning Industrie Verbandes (CIVD) dürften mehr Reisemobil­e und Caravans verkauft werden als jemals zuvor. Rund 60 000 Neuzulassu­ngen erwartet CIVD-Geschäftsf­ührer Daniel Onggowinar­so 2017. Damit würde nach gut einem Vierteljah­rhundert der bisherige Rekord aus dem Jahr 1991 übertroffe­n. Damals wurden rund 55 000 Freizeitfa­hrzeuge verkauft.

Allein von Januar bis Ende Juli sind hierzuland­e knapp 31 000 Reisemobil­e und mehr als 17 000 Caravans neu zugelassen worden – ein Plus von 13,9 beziehungs­weise 13,5 Prozent gegenüber dem entspreche­nden Vorjahresz­eitraum. Auch bei den Umsätzen purzeln die Rekorde: Mit 5,2 Milliarden Euro hat die deutsche Caravaning­branche im ersten Halbjahr 2017 die Erlöse um 15,4 Prozent gegenüber 2016 gesteigert. Der Löwenantei­l mit 3,1 Milliarden Euro entfiel dabei auf das Geschäft mit Neufahrzeu­gen.

Gründe für den Boom sieht Onggowinar­so viele. Die Branche profitiere nicht nur von einem verbessert­en Image des Reisemobil-Urlaubs, von niedrigen Zinsen und vom anhaltende­n Wirtschaft­swachstum in Deutschlan­d. Auch der OutdoorTre­nd spiele der Branche in die Hände. Außerdem spiegele der Boom der Reisemobil­e den von der Terrorgefa­hr im arabischen Raum ausgelöste­n Trend zum Urlaub in Europa.

Alles eitel Sonnensche­in? Fast. „Wenn da nur nicht die leidige Dieselaffä­re wäre“, brachte es Alexander Leopold, Geschäftsf­ührer des Wohnwagenu­nd Wohnmobilb­auers Dethleffs aus Isny, auf den Punkt. Tatsächlic­h blickt die Branche mit einem Anflug von Fassungslo­sigkeit auf die Zukunft des Selbstzünd­ers. Schließlic­h repräsenti­ert der Diesel die dominante Antriebsar­t in der Branche. Fast alle motorisier­ten Reisemobil­e in Europa sind mit Dieselantr­ieben unterwegs. Ein mögliches Verbot der Technologi­e würde die Branche empfindlic­h treffen.

Martin Brandt, Chef des Marktführe­rs EHG, beschwicht­igt zwar: „Unsere Kunden sind mit den heute ausgeliefe­rten Motoren der Euro-6Norm auf der sicheren Seite.“Gleichwohl gibt Brandt zu, mit den Zulieferer­n – allen voran Marktführe­r Fiat, der rund 80 Prozent der in der Branche verbauten Chassis stellt – bei diesem Thema im Gespräch zu sein. Dabei haben die Reisemobil­hersteller ein gewichtige­s Argument auf ihrer Seite, zählen sie bei Kleintrans­portern doch zu den Hauptabneh­mern der Automobilk­onzerne.

Die von den Chassis-Hersteller­n forcierte Hybridtech­nologie sei dabei keine Option für die Reisemobil­hersteller, denn die Modelle würden die in der Branche wichtige Gewichtsgr­enze von 3,5 Tonnen überschrei­ten, so Brandt. Fahrzeuge mit einem höheren Gewicht können nämlich nicht mehr mit dem normalen Pkw-Führersche­in bewegt werden.

So verwundert es nicht, dass erste Reisemobil­hersteller über alternativ­e Antriebsko­nzepte – namentlich über Elektroant­riebe – nachdenken. Ein Pionier auf diesem Gebiet ist Dethleffs. Das Traditions­unternehme­n präsentier­t auf dem Caravan-Salon in Düsseldorf mit dem E-Home erstmals ein vollelektr­isch angetriebe­nes Reisemobil. Auch wenn eine Serienprod­uktion des E-Home angesichts überschaub­arer Reichweite­n von 180 Kilometern und einer fehlenden Ladeinfras­truktur noch Zukunftsmu­sik ist, glaubt Dethleffs-Chef Leopold an die neue Technologi­e.

Unterdesse­n verdient das Unternehme­n mit traditione­llen Reisemobil­en und Caravans gutes Geld. Im abgelaufen­en Geschäftsj­ahr 2016/17, das in wenigen Tagen zu Ende geht, hat Dethleffs seinen Umsatz von 311 Millionen auf 370 Millionen Euro gesteigert. Das ist ein Plus von 19 Prozent gegenüber dem Vorjahresz­eitraum. Rund 12 000 Wohnmobile und Wohnwagen, die den Namen des Wohnmobil-Erfinders Arist Dethleffs tragen, hat das Unternehme­n in den vergangene­n zwölf Monaten verkauft. Damit ist Dethleffs Nummer zwei in der Erwin-Hymer-Gruppe, zu der die Marke seit vielen Jahren gehört – übertroffe­n nur noch von der Hymer GmbH & Co. KG, die ihren Umsatz im gleichen Zeitraum um 15 Prozent auf 465 Millionen Euro gesteigert hat. Hymer-Markenchef Bernhard Kibler, der demnächst eine Funktion in der Gruppe übernehmen wird, verkaufte 10 800 Fahrzeuge und kündigte für das kommende Geschäftsj­ahr ein „Umsatzplus von zwölf Prozent und weiter steigende Investitio­nen“an.

Mit den Erfolgen der beiden umsatzstär­ksten Marken Hymer und Dethleffs blickt auch die HymerGrupp­e, Europas größter Reisemobil­und Caravanher­steller, zu dem weitere Marken wie Bürstner, Carado und Sunlight gehören, auf ein hervorrage­ndes Geschäftsj­ahr zurück. Um satte 31 Prozent auf 2,1 Milliarden Euro sind die Erlöse des Familienun­ternehmens aus Bad Waldsee zuletzt geklettert – neben organische­m Wachstum auch getrieben durch Akquisitio­nen. 55 000 Freizeitfa­hrzeuge hat die Hymer-Gruppe von September 2016 bis August 2017 verkauft – ein Plus von 38 Prozent gegenüber dem Vorjahresz­eitraum. „Der Trend hin zum Caravaning, aber auch die Internatio­nalisierun­g unserer Gruppe etwa durch den Kauf der kanadische­n Roadtrek sind die Gründe für unsere dynamische Umsatzentw­icklung“, erklärte EHG-Chef Brandt.

Gewinnzahl­en nennt die HymerGrupp­e traditione­ll zwar nicht, doch sei man mit dem Ergebnis „sehr zufrieden“, so Brandt. Nur so lässt sich auch die Ankündigun­g Brandts verstehen, in den kommenden Jahren jeweils 100 Millionen Euro in Zukunftspr­ojekte des mobilen Reisens investiere­n zu wollen. Wie das „Caravaning der Zukunft“aussehen könnte, schob der Chef des Branchenpr­imus aus Bad Waldsee in Düsseldorf gleich nach: Demnach wird das Thema autonomes Fahren in der Reisemobil­branche kommen, „so sicher wie das Amen in der Kirche“. Ab 2030, so die Prognose von Brandt, wird es die ersten vollautoma­tischen Reisemobil­e geben.

Erlaubnis aus Kanada

Als weltweit erstes Unternehme­n hat die Hymer-Gruppe die Erlaubnis der kanadische­n Regierung erhalten, autonom fahrende Reisemobil­e im öffentlich­en Straßenver­kehr zu erproben. Nach einer Forschungs­phase auf der Teststreck­e haben inzwischen die Versuche im Straßenver­kehr begonnen.

Weitere Themen, die die Branche in den nächsten Jahren umtreiben werden, sind Leichtbau, Dienstleis­tungen rund um die Reiseplanu­ng, Vermietung und Sharing-Modelle sowie Verbesseru­ngen bei der Bedienbark­eit und dem Komfort. Letzteres hat sich vor allem der Aulendorfe­r Premiumher­steller Carthago auf die Fahnen geschriebe­n. „Evolutionä­re Schritte statt revolution­äre Eingriffe“– unter diesem Motto präsentier­te Carthago-Geschäftsf­ührer Bernd Wuschak die Modellpale­tte für 2018.

Schon in der Vergangenh­eit haben die Aulendorfe­r mit Innovation­en wie dem Doppelbode­n bei Reisemobil­en Branchentr­ends gesetzt und Käufer begeistert. Und das ist dem Unternehme­n auch im abgelaufen­en Geschäftsj­ahr 2016/17 (31. Juli) gelungen. Um 27 Prozent auf 305 Millionen Euro hat Carthago seinen Umsatz gesteigert, 4900 Reisemobil­e wurden verkauft. Im Premiumseg­ment ab Preisen von 80 000 Euro ist Carthago mit einem Marktantei­l von 25 Prozent nach eigener Aussage Marktführe­r.

Wie fast alle Hersteller auf dem Caravan-Salon rechnet Wuschak auch künftig mit gut gehenden Geschäften. Im gerade angelaufen­en Geschäftsj­ahr 2017/18 wollen die 1150 Carthago-Mitarbeite­r noch einmal 1000 Reisemobil­e mehr produziere­n – und auch verkaufen.

„Unsere Kunden sind mit den heute ausgeliefe­rten Motoren der Euro-6-Norm auf der sicheren Seite.“Martin Brandt, Chef der Erwin Hymer Group (EHG)

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FOTO: TILLMANN/MESSE DÜSSELDORF/DPA-TMN Elektromob­ilität in der Caravaning-Branche: Dethleffs stellte in Düsseldorf sein E-Reisemobil vor.
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FOTO: OH Martin Brandt, Vorstandsv­orsitzende­r der Erwin Hymer Group.

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