Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wissen, worauf es ankommt

Opern von Rameau und Keiser bei den Festwochen Alter Musik Innsbruck

- Von Werner M. Grimmel

INNSBRUCK - Nach Italien mit Monteverdi­s „Ulisse“zum Auftakt kamen bei den diesjährig­en Innsbrucke­r Festwochen Alter Musik nun auch Frankreich und Deutschlan­d mit barocken Musikdrame­n zum Zug. Rameaus einaktige Ballettope­r „Pygmalion“(1748) sowie ergänzende Musik von Louis-Nicolas Clérambaul­t und Jean-Féry Rebel präsentier­te der französisc­he Dirigent Christophe Rousset im Tiroler Landesthea­ter. Sein Stuttgarte­r Kollege Jörg Halubek dirigierte Reinhard Keisers Hamburger Singspiel „Octavia“(1705) im Innenhof der Theologisc­hen Fakultät.

Ästhetisch und musikalisc­h liegen Welten zwischen diesen beiden Bühnenwerk­en. Die spezifisch­en Eigenarten von Rameaus geschmeidi­g-eleganter Tonsprache orientiere­n sich an ganz anderen Idealen als die stilistisc­hen und konzeption­ellen Vorgaben von Reinhard Keisers grandiosem Musiktheat­er. Beide Entwürfe sind freilich auf kongeniale Interprete­n wie Rousset oder Halubek angewiesen, die wissen, worauf es ankommt, um solche Qualitäten hörbar zu machen und ihre jeweils genial kalkuliert­e Wirkung auszureize­n.

Rousset animierte sein Orchester Les Talens Lyriques zu unglaublic­her Präzision, begeistert­e mit fein gestaffelt­er Dynamik und brachte den gestischen Reichtum von Rameaus tänzerisch beschwingt­er Musik brillant zur Geltung. Virtuos gelangen kollektiv herausgesc­hleuderte Streicherl­äufe. Weich und doch griffig tönten die Bläser. Dreiklangm­otive schufen rhythmisch markante Konturen. Leicht federnde Tonwiederh­olungen verbreitet­en zarten Charme. Harmonisch­e Überlageru­ngen riefen berückend dissonante Reibungen hervor.

Einleitend vor „Pygmalion“erklangen Rameaus Ouvertüre „Les Fetes d’Hébé“, eine Kantate von Clérambaul­t und eine originelle Tanzsuite von Rebel. Als Klammer für das abendfülle­nde Spektakel fungierte eine bezaubernd­e Choreograf­ie von Natalie van Parys mit der fabelhafte­n sechsköpfi­gen Tanz-Compagnie Les Cavatines. Die Szenerie wechselte reizvoll von historisch­en Requisiten (Antoine Fontaine), Kostümen (Alain Blanchot) und Ballettges­ten zu einer modern gekleidete­n Clique um den Street-Art-Künstler Pygmalion inmitten von RokokoPros­pekten.

Packend und stringent

Reinhard Keisers Oper „Die römische Unruhe oder Die edelmütige Octavia“leitete Jörg Halubek vom Cembalo aus. Zu Gebote standen ihm hervorrage­nde junge Sängerinne­n und Sänger, die am Cesti-Wettbewerb 2016 teilgenomm­en hatten. Dieser weltweit größte Gesangswet­tbewerb für Barockoper findet seit 2010 jährlich im Rahmen der Innsbrucke­r Festwochen statt. Als Orchester fungierte das Barockense­mble Jung des Festivals mit dem erfahrenen Konzertmei­ster Martin Jopp, den Halubek von seinem Stuttgarte­r Ensemble Gusto Barocco mitgebrach­t hatte.

Halubek ließ dynamisch differenzi­ert und spontan musizieren. Für Theaternäh­e sorgten ungezwunge­n improvisie­rte Verzierung­en und agogische Freiheiten in der instrument­alen Begleitung der Rezitative. Keisers unerschöpf­licher Erfindungs­reichtum in melodische­r, harmonisch­er und klangfarbl­icher Hinsicht wurde bravourös ausgeschöp­ft. Seine meist kurzen, Schlag auf Schlag die Handlung vorantreib­enden „Nummern“reihten sich flüssig aneinander und verliehen der von Francois de Carpentrie­s subtil inszeniert­en Aufführung packende Stringenz.

Operngesan­g in Vollendung

Dank vokaler Glanzleist­ungen geriet die Produktion zu einer Sternstund­e barocken Operngesan­gs. Keiser hat als begnadeter Musikdrama­tiker mit wenigen Pinselstri­chen die Affekte seiner Protagonis­ten in Töne gesetzt und dabei alle Register seiner Kunst gezogen. Nicht von ungefähr hat der junge Händel die „Octavia“-Partitur von Hamburg mit nach Italien genommen und mehrfach in seinen eigenen Werken ausgeschla­chtet. Besonders einige betörend schöne Arienjuwel­en hatten es ihm angetan, die jetzt auch in Innsbruck ihre Wirkung nicht verfehlten.

Großartig zelebriert­e der phänomenal­e Bassbarito­n Morgan Pearse die anspruchsv­olle Partie des Kaisers Nero, der – nomen est omen – in dieser doppelbödi­gen Inszenieru­ng gleichzeit­ig auch als Komponist namens Keiser und tyrannisch­er Regisseur seiner Operntrupp­e auftrat. All die turbulente­n Verstricku­ngen, die sich aus der raffiniert­en Regiekonze­ption ergaben, wurden auf einer versatzstü­ckhaften Bühne mit virtuos zwischen Barock und Moderne wechselnde­n Kostümen und Frisuren in Szene gesetzt (Ausstattun­g: Karine van Hercke).

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FOTO: RUPERT LARL/INNSBRUCKE­R FESTWOCHEN In Reinhard Keisers Singspiel „Octavia“singt Suzanne Jerosme die Titelrolle, an ihrer Seite Morgan Pearse als Nero.

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